• Menü
  • Hochschulpolitik
  • Fast wie im Club

    Einer Onlinevorlesung zu folgen, kann für Studierende mit Behinderung ähnlich schwer sein, wie in der Disco eine Seminararbeit zu schreiben. Hat die Universität die barrierefreie Onlinelehre im Griff?

    „Der ständige Wechsel zwischen Präsenz-, Hybrid- und Onlinelehre ist super stressig, weil meine ganze Routine, mein ganzer Tagesablauf durcheinandergeworfen wird und ich mich auf nichts mehr verlassen kann“, sagt Toni [1] zum letzten Semester an der Universität Leipzig. Es ist Autist*in und studiert an der Universität Leipzig (Toni verwendet „es“ und „nims“ als Personalpronomen). „Im Alltag übernimmt meine persönliche Assistenz die meisten Aufgaben und sorgt für einen routinierten Tagesablauf“, erzählt Toni.

    Tonis Professor in diesem Semester ist sehr supportive. „Da habe ich einfach Glück“, sagt Toni. Das könne aber auch anders aussehen. Auf einen von nims Anträgen auf Nachteilsausgleich erhielt es eine E-Mail, in welcher der Professor meinte, dass es mit nims Behinderung nicht in die Universität gehören würde und es im Berufsleben auch keine Nachteilsausgleiche gäbe. Von solchen Erfahrungen kann auch Marie Polonyi vom Referat für Inklusion des Studierendenrates der Uni Leipzig berichten. „Es gibt Dozierende, die nicht ganz verstehen, wieso behinderte Studierende überhaupt studieren oder warum ein solches Studium vielleicht länger dauert“, erklärt sie.

    In einer Hand liegen zwei spezielle in Ear Kopfhörer. Daneben sitzt eine Katze.

    Diese Ohrstöpsel von Toni können störende Geräusche herausfiltern.

    „Ich muss in jedem Wahlbereich einen eigenen Antrag auf Nachteilsausgleich beim zuständigen Prüfungsamt stellen. Das sind jedes Mal fünf bis sechs Stunden Präsenzaufwand und Diskussionen.“, berichtet Toni. Für es sind Liveveranstaltungen besser geeignet als Audioaufnahmen. „Bei Audioaufnahmen gehen alle Nebengeräusche, die ich normalerweise herausfiltern könnte, direkt durch die Kopfhörer rein“, sagt Toni. Man könne sich das so vorstellen, als würde man in einem Technoclub stehen, der Strobo leuchtet, alles vibriert, glitzert, blinkt und funkelt und jemand brüllt dir seine Lebensgeschichte ins Ohr. „Und dabei soll man sich konzentrieren“, sagt Toni.

    Die Studierenden mit Behinderung und chronischen Erkrankungen haben ganz verschiedene Bedürfnisse, was eine barrierefreie Onlinelehre für sie bedeutet. Um möglichst alle zu erreichen, komme es auf die Nutzung mehrere Kanäle an, also zum Beispiel die Bereitstellung der Vorlesungsaufzeichnung als Skript und als vertonte Power Points, erklärt Polonyi. Auch sei es sinnvoll, Powerpoints simpel zu gestalten, auf Rot-, Grau- und Grüntöne als Schrift- und Hintergrundfarbe zu verzichten, Schriftarten ohne Serifen zu wählen und den Untertitel einzuschalten. Grün ist schlecht für Menschen mit Rot-Grün-Schwäche geeignet, während Grau wegen des geringen Kontrastes Sehbehinderten das Lernen erschwert. Rot ist schließlich eine Reizfarbe, die besonders Autist*innen Probleme macht. Eigentlich komme es immer darauf an, ob Dozierende für das Thema Behinderung sensibilisiert sind, sagt Polonyi. Das merke man auch in der digitalen Lehre. „Es gibt Dozierende, die offen kommunizieren, welche Tools sie benutzen und gleichzeitig bereit sind, die Tools bei Bedarf noch einmal anzupassen, die Tendenz ist aber noch gering“, erklärt Polonyi.

    Von der Universität gibt es aber zumindest Leitfäden zur Umsetzung einer barrierefreien (Online-)Lehre. Insbesondere der Aktionsplan Inklusion sei das zentrale Dokument zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention an der Universität Leipzig, erklärt Susanne Römer, Beauftragte für Studierende mit Behinderung und chronischen Erkrankungen der Universität Leipzig. Es würde schrittweise an der Barrierefreiheit gearbeitet, berichtet sie. „Es ist jetzt bekannter, wie Nachteilsausgleiche gestellt werden können“, erzählt Polonyi. Die Universität hat dazu Informationen zu dem Verfahren der Antragsstellung und ein entsprechendes Formular in dem Informationsportal zu Nachteilsausgleichen zur Verfügung gestellt. Potentiale gäbe es aber immer, stellt Römer fest.

    „Wir müssen von dem individuellen Modell wegkommen und Behinderung im sozialen Modell denken“, sagt sie. Auf diesem sozialen Modell baut auch die UN-Behindertenrechtskonvention auf. Dabei ist die Behinderung kein individuelles, biologisch-medizinisches Problem des Einzelnen, der daran arbeiten muss, sich in die Gesellschaft einzufügen. Vielmehr ist nach dem sozialen Modell die Umgebung das Problem, diese muss sich verändern, damit eine vollständige Inklusion stattfinden kann. „Inklusion muss nicht nur vorgeschrieben, sondern im täglichen Miteinander gelebt werden“, betont Römer.

    Die Umstellung von vorgeschriebenen Klausuren auf eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Form der Prüfungsleistung, das Bereitstellen von Untertiteln in Vorlesungen oder auch das Abschaffen von nur drei Wiederholungsversuchen in Klausuren sei für die einen mehr Komfort, für die anderen schaffe es Zugang, erläutert Polonyi. Momentan besteht dieser Zugang aber noch nicht. Alle drei sind sich einig, als Studierender mit Behinderung kann man im Moment noch nicht jeden Studiengang studieren. „Aber unser Anspruch ist es, jeden Studiengang studierbar zu machen“, sagt Römer.

    [1] Name von der Redaktion geändert

    Titelfoto: Pixabay

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    Dem Stigma entgegen

    In unserer Mai-Ausgabe beschäftigen wir uns im Thema-Ressort mit mentaler Gesundheit. Studierende mit psychischer Krankheit berichten von ihrem Studium und ihren Herausforderungen.

    Thema | 30. Mai 2020

    Von der Werkstatt an die Uni

    Das Projekt Quabis setzt sich in Sachsen für eine diversitätssensiblere Hochschullandschaft ein. Ziel ist es, Forschung und Lehre neu zu denken.

    Hochschulpolitik | 17. Juni 2021