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  • Fühl mal, das ist schön, oder?

    Kolumnistin Lena verspürt gar keinen Drang, Kinder zu haben, zumindest in unserer Welt. Gerade hier hilft ihr dennoch deren Perspektive, ihre eigenen Sorgen beiseitezulassen.

    Warum Kinder so wertvoll sind und ich nie eigene haben möchte…

    Letzteres ist meinem Weltschmerz geschuldet: Ich werde ausgebeutet, um andere auszubeuten oder zumindest ausbeuten zu lassen – der Kapitalismus in verschiedenen grammatischen Phänomenen. Mein freier Wille sagt mir, dass ich weder das eine noch das andere will, schon gar nicht für diejenigen, die ich am meisten beschützen möchte. Mein Wunsch wäre es außerdem, meine Kinder zu frei und kritisch denkenden Menschen zu erziehen. Wie soll ich aber rechtfertigen, ein neues Leben unglücklich damit zu machen, auf einem sinkenden Schiff entstanden zu sein? Während meines Studiums sind eine Pandemie und ein Krieg ausgebrochen. Auch wenn Sicherheit nur ein Konstrukt ist, gibt es trotzdem bessere Zeiten zur Familienplanung.

    Ein weibliches Kind im Kindergartenalter im roten Pulli tollt auf einem Bett herum.

    Mein kindliches Ich gibt mir Halt in Zeiten von erwachsenen Problemen.

    Trotzdem trete ich gern in Kontakt mit Heranwachsenden, weil paradoxerweise oft genau sie es sind, die diesen Weltschmerz für einen Moment ins Wartezimmer abschieben. In den Augenblicken, in denen wir diskutieren, ob Eis oder Zimtschnecken das ganze Jahr gegessen werden können, lerne ich, die Welt wieder mit den Augen eines Kindes zu erleben. Ich gehe dem nach, was mir ins Auge sticht. Nicht, weil mir irgendwer eingeredet hat, dass es schön wäre und erst recht nicht, weil es vielleicht gut für meinen Lebenslauf sein könnte. Babysitten stellt für mich keine Arbeit im Sinne des Alle-paar-Minuten-auf-die-Uhr-Starrens, damit die Zeit hoffentlich ein paar Sekunden überspringen würde, dar. Wo andere in ihren Jobs stets Überhöchstleistungen im Überholtempo anstreben, darf ich regelmäßig stehenbleiben und erklären, warum Bienen im Winter tot auf der Straße liegen. Interessant ist übrigens, dass dem kleinen Mädchen nicht nur Dinge auffallen, die an ihr größenbedingt tatsächlich näher dran sind, sondern auch solche, die weit über ihr liegen. Den Schriftzug vor der Dachrinne etwa, habe ich zuvor nie bemerkt. Manchmal frage ich mich, ob Teile meines Horizonts mit steigender anatomischer Größe weichen mussten oder – ob ich bewusst die Augen verschließe, weil ich jetzt mehr sehen kann.

    Wahrscheinlich ist das ein Grund, weshalb manche Menschen Kinder nicht mögen. Auch wenn sie die Lautstärke ihrer Worte kritisieren, meinen sie doch vielmehr das Gefühl, das dabei mitschwingt. Dieses haben sie unter einem dunklen Berg verlorener Hoffnung begraben. Geblendet von den strahlenden Kinderaugen, schimmert auf einmal etwas Licht durch den staubigen Hügel der Scheinvernunft. Natürlich macht das auf den ersten Blick Angst. Auf den zweiten fangen meine Augen an, beim Anblick ihrer Kristalle und dem Lächeln, das sich darin spiegelt, mitzufunkeln. Normalerweise höre ich auf, Menschen zu beobachten, wenn die Schwelle des schönen Lächelns überwunden ist und in Selbstvermarktung umschlägt. Bei ihr sorge ich mich allerdings nicht, dass sie mehr als sich selbst damit beeindrucken möchte.

    Komm mit, ich muss dir was Cooles zeigen! Sie führt mich in die Küche und nimmt meine Hand, um eine Kette langsam darauf herabzusenken. Wenn du nah ran gehst, sieht es aus wie echtes Gold. Fühl mal, das ist schön, oder? Die kühle Kette ist tatsächlich angenehm leicht auf meiner Haut und das überrascht mich zunächst. Schließlich probiere ich es selbst nochmal aus. Danach bringe ich sie ins Bett. Wir reden über unseren Tag – wie meiner ablief, möchte sie immer vor dem Einschlafen wissen. Warum ihrer anstrengend war, hat sie schon vergessen und freut sich auf morgen. Kurz bevor sie schläft, fragt sie mich nach einer Umarmung und sagt mir, sie möge meine Haare, weil sie zu meinen Schuhen passten (Pony und Dr. Martens…). Nicht nur, weil ich ihre Aussage amüsant finde, sondern vor allem, weil es ihr noch nicht möglich ist, Menschen mit Pseudo-Nettigkeiten zu manipulieren, schätze ich ihre Worte sehr. Kritik geht übrigens auch. Meinen Ring etwa (das komische Plastik-Teil) mag sie gar nicht.

    Ich laufe einen Umweg nach Hause. Ich versuche jetzt öfter dem nachzufolgen, was sich gut anfühlt.

    Fotos: Lena Würstlein

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