Aufpassen reicht nicht
2020 gab es in Leipzig 11.925 Verkehrsunfälle. Seit Januar soll deshalb die Kampagne „Leipzig passt auf“ den Straßenverkehr sicherer gestalten. Ein erstrebenswertes Ziel – doch es gibt viel Kritik.
Fast 12.000 Verkehrsunfälle in einem Jahr – diese Zahl erhob die Stadt Leipzig für 2020. Getötet wurden dabei 14 Personen. Um diese erschreckenden Zahlen zu senken, rief die Stadt zusammen mit den Leipziger Verkehrsbetrieben und der Polizeidirektion Leipzig die Kampagne „Leipzig passt auf“ ins Leben. Sie soll zunächst von Januar bis Ende März 2022 laufen und danach noch um weitere Themen ergänzt werden, beispielsweise die Schulwegsicherung. Übersehen kann man die Kampagne kaum: In Straßenbahnen, auf Werbetafeln und auf Social Media begegnen uns Bilder mit Sprüchen wie „Mehr Rücksicht, mehr Oma“ oder „Rücksicht steht allen gut“.
Das vorrangige Ziel der Kampagne wird hier schon deutlich: Die Menschen sollen dazu animiert werden, sich im Straßenverkehr rücksichtsvoller und achtsamer zu verhalten. Fraglos eine Entwicklung, die sich viele Leipziger*innen wünschen würden, doch setzt die Kampagne da wirklich an der richtigen Stelle an? Einige Stimmen widersprechen dem – beispielsweise mit Blick auf die Adressat*innen der Kampagne. Thomas Gentsch von Verkehrswende Leipzig, einer Initiative, die sich für einen sicheren und umweltfreundlichen Verkehr einsetzt, erklärt: „Es ist Fakt, dass die meisten Unfälle durch Autos verursacht werden und auch die Schwere der Unfälle dabei am stärksten ist.“ Dennoch wird das Auto in der Kampagne nicht als Hauptaggressor dargestellt. Michael Jana, Amtsleiter des Verkehrs- und Tiefbauamts der Stadt Leipzig, begründet das damit, dass „in der Kampagne niemand an den Pranger gestellt werden sollte“. Alle Verkehrsteilnehmer*innen sollten demnach gleichermaßen angesprochen werden – denn gegenseitige Rücksichtnahme und Achtsamkeit seien nicht auf eine bestimmte Gruppe zu beschränken, sondern grundsätzlich unverzichtbar.
Die fehlende Thematisierung des Autos als Aggressor bleibt jedoch nicht der einzige Kritikpunkt. „Wir denken, dass die Stadt da Verantwortung von sich wegschiebt“, meint Gentsch. „Diese Werbekampagne ist an sich natürlich schon mit relativ großem Aufwand verbunden, und wir stellen da die Frage, ob man mit diesem Aufwand nicht durch eigenes Handeln mehr erreichen könnte.“ Eigenes Handeln – das fordert Verkehrswende Leipzig insbesondere durch die Schaffung einer „Fehler verzeihenden und Fehler vermeidenden Infrastruktur“, sagt Gentsch. Konkret bedeutet das auch, „dass umweltfreundliche Verkehrsformen eine höhere Priorität als der Autoverkehr bekommen“. Laut Jana wird der sichere und umweltfreundliche Ausbau der Infrastruktur auch nicht durch die Kampagne ausgeschlossen: „Uns war es wichtig, dass dieses Thema auf die Straße kommt und öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt wird.“ Die Kampagne soll also eher als Ergänzung zu weiteren Maßnahmen funktionieren, um die steigende Aggressivität im Straßenverkehr zu mildern.
Und weitere Maßnahmen gibt es: Auf dem Dittrichring beispielsweise sollen beidseitig Fahrspuren für den reinen Radverkehr umgestaltet werden. „Wir haben das Gefühl, dass in der letzten Zeit seitens der Stadt ein erhebliches Umdenken stattgefunden hat“, sagt Gentsch. Jana erklärt, der Ausbau der Infrastruktur laufe parallel zur Kampagne weiter. Die Maßnahmen der Stadt zur Verbesserung des Straßenverkehrs sollen sich also nicht auf diese beschränken.
Die Effektivität der Kampagne bleibt dabei weiterhin fraglich: Werden Menschen wirklich achtsamer im Straßenverkehr, wenn sie ein Schild mit der Aufschrift „Mehr Rücksicht, mehr Oma“ sehen? Und handelt es sich dabei nicht ohnehin um eine unangemessen zynische Wortwahl? „Es ist in Ordnung, für eine Kampagne aufzufallen“, entgegnet Jana. Gerade die Kontroversität sorge dafür, dass die Kampagne einprägsam werde und etwas in den Köpfen der Menschen bewirke. Ob die Kampagne tatsächlich auch langfristig etwas verändern kann, muss sich noch zeigen – doch um es mit den Worten von Thomas Gentsch zu sagen: „Schaden tut sie sicherlich nicht.“
Foto: Leipziger Gruppe
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