Mit Kurs auf Neuanfang
Kolumnistin Johanna stellt sich der großen Suche nach der Zukunft nach dem Bachelor. Dabei fällt ihr auf, dass der Weg ihrer Wünsche noch angsteinflößender ist, als sie bereits erwartet hatte.
In meinem Kopf höre ich das Ticken der Uhr, die mir immer und immer wieder sagt, dass die Zeit rast. Hätte man mir vor meinem Studium gesagt, wie kurz sich sechs Semester anfühlen, hätte ich schmunzelnd den Kopf geschüttelt. Nun aber stehe ich vor der großen, weißen Leinwand, die meine Zukunft sein wird. Durch die Geschichten der Menschen, die ihren Weg in ihr jetziges Leben gefunden haben – das Leben nach dem Studium –, dachte ich stets, die Entscheidungen über die Zukunft sähen wie ein Supermarktregal aus: eine riesige Auswahl an Dingen, die ich in meinen Einkaufskorb legen könnte, aber nicht will; eine kleine Auswahl, die zu mir passt und die ich will; und eine genauso kleine Auswahl, die ich gerne hätte, die aber leider ausverkauft ist. Jetzt stehe ich vor diesem Regal und muss feststellen, dass es leer ist. Da ist noch nicht einmal ein Regal oder ein Supermarkt. Nichts, was auch nur annähernd daran erinnert. Nein, vor mir erstreckt sich ein leeres Blau. Es sieht aus wie das weite Meer, ohne Fische und ohne Algen, nicht einmal Müll schwimmt darin. Nur das indigo-gefärbte Nichts vor meinen Augen, in dem ich treibe, das mir keine Richtungen und Möglichkeiten empfiehlt. Ich muss selbst entscheiden, wohin ich mich wende. Ob ich auf etwas stoßen werde, wirkt wie pures Glück, das ich auf mich zukommen lassen muss. Jedoch muss ich mich dazu bewegen, ich muss schwimmen. Wenn ich mich treiben lasse, verliere ich nur umso mehr die Orientierung. Und das Ticken der vergehenden Zeit würde umso lauter werden.
Ich bin an einem Punkt, an dem ich entscheiden muss, wie es weitergeht. Einen Master machen? Einen Job suchen? Ins Ausland gehen? Oder doch lieber ein Praktikum machen? Die Optionen sind genauso vielfältig, wie sie rar sind. Ich bin nicht die Einzige, die es in den Journalismus treibt. Neben mir sind hunderte, tausende junge Absolvent*innen, die überlegen, was sie wählen sollten. Ich fühle mich hilflos. Es gibt so viele Dinge, für die ich mich begeistern kann. Aber es gibt genauso viel Konkurrenz, der es ebenso geht. Die Anforderungen sind hoch, die Plätze gering. Selbst als selbstbewusster Mensch, für den ich mich halte, ist das einschüchternd. Ich zweifle nicht an meinen Fähigkeiten, lediglich am Glück, an das ich wahrscheinlich zu sehr glaube.
Die Angst, dass es nach dem Studium nicht weitergeht, hat wohl jede*r schon einmal verspürt. Das zu wissen, macht mich hoffnungsvoller, aber nicht weniger nervös. Noch vor Kurzem dachte ich, ich hätte alles unter Kontrolle. Rechtzeitig setzte ich mich an meinen Computer und recherchierte die zahlreichen Möglichkeiten, die mir die große Welt bieten würde. Mit jedem Klick schwand mein Optimismus und mit jedem Wort fiel ich tiefer in mein kleines, dunkles Loch. Die Dinge, die ich las, waren nicht unmöglich. Sie wirkten nicht einmal zu unwahrscheinlich. Aber die Messlatten lagen hoch. Kein Problem, dachte ich. Ich bin bereit zu lernen. Ich bin bereit, hart dafür zu arbeiten. Doch während ich mir diese aufmunternden Worte zuflüsterte, schaute mir das Gros der Mitbewerber*innen über die Schulter.
Ich halte nichts von Rivalität, das ist meiner Meinung nach nicht zielführend. In diesem Prozess jedoch ist es nicht vermeidbar, ob ich will oder nicht. Es wird andere geben – Bessere und Schlechtere. Mir geht es nicht darum, sie zu besiegen, mir geht es um den Platz, den ich möchte. Diesen zu gewinnen bedeutet jedoch, mit anderen zu kämpfen. Ein Schema, das mir eigentlich nicht gefällt. Das ist nur einer der vielen Aspekte, die mir Ehrfurcht bereiten.
Trotz dieser Unsicherheiten weiß ich, dass es vorangehen muss. Es wäre kontraproduktiv, weiterzutreiben und zu sinken. Auch wenn ich mich sonst immer wieder gerne von der Strömung mitreißen lasse, ist das nicht die Zeit oder die Angelegenheit, um so ein Konstrukt wie Glück für mich entscheiden zu lassen. Einen neuen Abschnitt zu beginnen wird hart. Das ist es mir auch wert. Ich habe bereits ein paar Neuanfänge gestartet. Das Studium, neue Jobs, neue Wohnungen. Das gehört dazu. Warum auch immer, habe ich jedoch nicht an diesen enorm wirkenden Sprung zwischen Studium und dem, was diesem folgt, gedacht. Vielleicht doch, nur habe ich es gut verdrängen können oder ich hatte es nicht für so schwierig gehalten. Letztlich muss ich ruhig bleiben, Luft holen und weiter durch das eiskalte Blau schwimmen. Wie bei so vielen Dingen ist das hier nicht so schlimm, wie es aussieht. Ich hätte bloß nie gedacht, dass das Leben aus so vielen kleinen Neuanfängen besteht.
Titelfoto: Pexels
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