Sexismus erhöht die Glaubwürdigkeit?
Eine neue Studie liefert überraschende Ergebnisse zu Sexismus und Glaubwürdigkeit im Journalismus: sexistische Kommentare können die wahrgenommene Glaubhaftigkeit einer Autorin erhöhen.
Als im letzten Sommer Ariane Hingst und Claudia Neumann fürs ZDF die EM kommentierten entlud sich auf Twitter ein von Sexismus nur so triefender Shitstorm. Vorfälle wie dieser brachten Kim Maurus auf die Idee in einer Studie für ihre Masterarbeit zu untersuchen, ob auch Journalistinnen, die „„nur“ Artikel schreiben und ähnlichen Kommentaren ausgesetzt sind, als weniger glaubwürdig wahrgenommen werden“.
Die Ergebnisse dieser Studie, die sie gemeinsam mit Mario Haim durchführte, der damals noch Professor an der Uni Leipzig war, erschienen unter dem Titel „Stereotypes and sexism? Effects of gender, topic, and user comments on journalists‘ credibility“ in der Zeitschrift Journalism. Das Fazit der Studie ist überraschend positiv: Es scheint, als gäbe es keinen Unterschied in der Glaubwürdigkeit von männlichen und weiblichen Medienschaffenden. Kim Maurus hebt als positiven Output der Studie hervor, dass es durch das Ergebnis noch weniger Argumente gäbe, bei Themen wie etwa Fußball Männer bei der Berichterstattung vorzuziehen.
Im Fall der Studie von Kim Maurus und Mario Haim nahmen 417 eingeladene Proband*innen aus Deutschland an einem Online-Experiment im Sommer 2020 teil. Durchgeführt wurde die Befragung auf der nicht-kommerziellen Plattform SoSci Panel, einem Projekt für sozialwissenschaftliche Forschung der LMU München. Die zufällig eingeladenen Mitglieder der Plattform – 219 Frauen und 195 Männer mit einem Durchschnittsalter von 47 Jahren – wurden in zehn Gruppen aufgeteilt. In einer Online-Befragung wurden ihnen jeweils ein Text von den fiktiven Journalist*innen Sabine Schmied, Peter Schmied oder ein offen als computergeneriert deklarierter Artikel vorgelegt. Beispielhaft für stereotyp zugeordnete Themen ging es in den News Artikeln um Fußball oder Filme. Die Artikel waren mit Autor*innen Fotos und jeweils drei anonyme Nutzer*innen Kommentare versehen, deren Inhalt entweder auf das Thema oder das Geschlecht des Autors*der Autorin bezogen waren. Im Anschluss an die Lektüre wurde abgefragt, wer der Autor*die Autorin des Textes war, welches Thema er hatte und sie sollten die Kommentare mit vorgegebenen Adjektivpaaren als sexistisch oder unproblematisch bewerten.
„Die Studienlage in anderen Kontexten, wenn es zum Beispiel um Moderator*innen im Fernsehen geht, zeigt, dass Frauen häufig als weniger glaubwürdig wahrgenommen werden als Männer“, sagt Kim Maurus. Eine Frage ihrer Studie war die nach dem Backlash-Effekt. Der Backlash-Effekt benennt die negativen Auswirkungen, die ein Abweichen von internalisierten geschlechterspezifischen Verhaltensweisen, insbesondere für Frauen haben kann. So ist es allgegenwärtig, dass eine Frau in einer Führungsposition, die für diese Position typische Eigenschaften wie Durchsetzungsstärke oder Dominanz zeigt, als unsympathisch und arrogant wahrgenommen wird. Diese negative Wahrnehmung ihrer Person kann sich schädlich sowohl auf ihre soziale als auch berufliche Stellung auswirken. Die genannten Eigenschaften sind männlich konnotiert, das bedeutet, dass sie einem Mann in der gleichen Position nicht als negative, sondern als positive oder gar unverzichtbare Eigenschaften ausgelegt werden. Und in bisherigen Studien zeichnete sich ein solcher Backlash-Effekt häufig ab.
Die Ergebnisse der neuen Studie bilden keinen Backlash-Effekt ab. Vielmehr wird deutlich, dass sich die Glaubwürdigkeit männlicher und weiblicher Journalist*innen nicht wesentlich unterscheidet. Und sexistische Kommentare scheinen die Glaubwürdigkeit von Text und Autorin zu steigern. „Es kann sein, dass man Frauen, wenn sie sexistisch angefeindet werden, als glaubwürdiger beurteilt, weil es für viele reichweitenstarke Frauen auch im Jahr 2022 ganz normal ist, im Internet beleidigt zu werden.“, – vermutet Kim Maurus. – Mario Haim sagt auf Nachfrage, er selbst sei überrascht von dem Ergebnis. Das insgesamt unerwartet positive Ergebnis der Studie führt er auf den in den letzten Jahren verstärkten gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Sexismus und eine dadurch entstandene Sensibilisierung für das Thema zurück.
Dennoch sind sich Kim Maurus und Mario Haim bewusst, dass die Studie kein unbedingtes Abbild der Realität ist, sondern lediglich ein kleines Schlaglicht auf eine Gruppe ausgewählter Personen und deren Wahrnehmung werfen kann. Außerdem merkt Kim Maurus an, dass es auch denkbar sei, dass der Backlash-Effekt von anderen Faktoren überlagert worden ist. So könnten etwa der Wunsch, Solidarität mit der Autorin zu zeigen, oder aber eine erhöhte Verarbeitung des Textes durch die Hasskommentare, die Aufmerksamkeit erregen, zu dieser positiven Beurteilung geführt haben. Das überraschend positive Ergebnis lässt dennoch etwas Hoffnung aufkommen. Aber obwohl die Debatte um Sexismus in gewissen Bubbles allgegenwärtig sein mag, wie auch Mario Haim hervorhebt, holt einen die gesamtgesellschaftliche Realität oft schlagartig ein, wenn man sich etwa in den Kommentarspalten auf Facebook umschaut. So gibt es sicher einen nicht kleinen Teil von Menschen, die sich und ihren internalisierten Sexismus zunehmend hinterfragen, ihn aufzubrechen versuchen. Dennoch darf ein positives Ergebnis nicht zur Annahme verleiten, dass Sexismus kein drängendes großes Problem mehr wäre. Er durchzieht noch immer zu allgegenwärtig sämtliche Bereiche unserer Gesellschaft; sei es im privaten Umfeld, im Sport, bei der Arbeit und auch im Journalismus und den sozialen Medien.
Grafik: Sara Wolkers
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