Revolutionär vereint
In der Ukraine wütet Krieg. Auf Thema in unserer Aprilausgabe schauten wir auf das, was die Menschen dort mit den Menschen hier verbindet: nämlich eine 61 Jahre alte Städtepartnerschaft mit Kyjiw.
Leipzig und Kyjiw sind in ihrer gemeinsamen sozialistischen Geschichte, ihren Revolutionen und Umbrüchen seit über 60 Jahren miteinander verbunden und stehen sich unterstützend zur Seite in Zeiten des Krieges und darüber hinaus.
Es ist eine Städtepartnerschaft, die 1961 in zwei Staaten begann, die heute beide nicht mehr existieren und, anders als die meisten, nicht aus zivilgesellschaftlichem Engagement hervorging, sondern auf politischer Ebene von zwei Regimen bestimmt wurde. Die Brüderstädte sollten Erfahrungen im Aufbau des Sozialismus austauschen. In diesem Sinne wurde eine Vielzahl an politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Projekten angeschoben. Selbst kulinarisch waren die Städte miteinander verbunden. Das beliebte Lokal Stadt Kiew bot von 1963 bis 1991 eine Vielzahl an ukrainischen Speisen an, darunter ukrainische Draniki (dt. Kartoffelpuffer), Hühnerkotelett Kyjiwer Art und Krim Portwein. Ein entsprechendes Pendant dazu gab es auch in Kyjiw.
Die Leipziger Oper, das Rundfunk Sinfonieorchester und das Nationaltheater Taras Schewtschenko spielten regelmäßig in der jeweils anderen Stadt zu Gast. In der Broschüre „Kiew Leipzig – Polyphonie einer Städtepartnerschaft“, die anlässlich des 60-Jährigen Jubiläums 2021 gestaltet wurde, erinnern sich auf Deutsch und Ukrainisch Leipziger und Kyjiwer Bürger*innen an den Austausch zu DDR-Zeiten. Sie erzählen von Berufswettbewerben, die zwischen jungen Drechsler*innen befreundeter Unternehmen stattfanden, von der Schönheit Kyjiws, die im Studierendenaustausch entdeckt wurde, von Spielgefährt*innen im Feriencamp, von Strukturen im Aufenthalt, die von „oben“ bestimmt wurden, aber vor allem von Gastfreundschaft, die auch im Privaten zu wiederkehrenden Austauschen führte.
Diese engen Kontakte waren wichtig, um nach der friedlichen Revolution und Unabhängigkeit der Ukraine eine neue Form der Partnerschaft zu entwickeln. Eine maßgebliche Rolle spielt bis heute der ehrenamtliche Verein Ukraine-Kontakt, der 1999 gegründet wurde. Für Gründungsmitglied Renate Voigt geht dieser intensiv auf die Freundschaft zu Maria Tsybulenko zurück, die der Partnerorganisation Europa-Kontakt in Kyjiw vorsitzt. „Wir waren die vorgespannten Lokomotiven, die später die Partnerschaft vorangezogen haben“, erzählt Renate Voigt. Eine der ersten Initiativen war damals 1992 die Aufnahme von Kindern aus der Tschernobyl-Region zur Erholung. An den Wochenenden waren sie bei Gastfamilien untergebracht. Das Programm ging bis 2002. Später vermittelte der kleine Verein die Kontakte von Schulen, Kunst- und Kulturvereinen sowie Firmen jeweils miteinander. Zudem organisierten sie auch wieder Bürger*innenreisen.
Da sich zu Beginn der 90er Jahre die politischen Strukturen erst wieder neu bilden mussten, standen die Stadtverwaltungen in gemindertem Kontakt. Dennoch wurde bereits 1992 die Partnerschaft erneuert – Leipzig nun eine Stadt der BRD, Kyjiw Hauptstadt der unabhängigen Ukraine. Es gab neue Aufgaben, in denen die gegenseitige Unterstützung wichtig war und man voneinander lernte. Es galt Wege zu finden, in eine neue Form des Wirtschaftens überzugehen und Demokratie zu entwickeln. Erst letztes Jahr erinnerte der Kyjiwer Bürgermeister Vitali Klitschko in der „Rede zur Demokratie“, die alljährlich in Leipzig zum Gedenken an die friedliche Revolution gehalten wird, an die Kämpfe, die das ukrainische Volk zur Revolution der Würde, auch bekannt als Euromaidan, 2013/2014 geführt hat. Er betont zudem, welche wichtige Rolle die Partnerschaft bei der „Enfaltung der noch jungen ukrainischen Demokratie“ hat.
Städtepartnerschaften böten einen Anknüpfungspunkt, sagt Rosa Goldfuss, Mitarbeitende im Büro für Internationale Zusammenarbeit der Stadt Leipzig. So können aktuell über die trilaterale Städtepartnerschaft mit Krakau und über lokale Ansprechpartner*innen Hilfsgüterlieferungen direkt nach Kyjiw koordiniert werden.
Grafik: Sara Wolkers
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