Ostdeutsche Rektor*innen?
In der Aprilausgabe von luhze berichtete Julius Mau über die Ungleichgewichte ostdeutscher Respräsentation an der Spitze deutscher und insbesondere der Leipziger Hochschulen.
Zum April erhält die Uni Leipzig mit Eva Inés Obergfell eine neue Rektorin. Mit Blick auf ihren Werdegang fällt etwas auf: Alle Hochschulen, an denen sie studiert, gelehrt oder sonst gearbeitet hat, liegen in den ‚alten‘ Bundesländern oder im (westlichen) Ausland. So wie die anderen beiden Rektor*innen, welche in diesem Jahrhundert gewählt wurden, ist sie ‚Wessi‘. An den anderen Leipziger Hochschulen verhält es sich ähnlich. Exemplarisch für den Osten?
Zuerst ein bisschen Wikipedia-Rumgerechne: Zum Wintersemester 20/21 finden sich in Deutschland 423 Hochschulen. Davon sind 68 im Osten, also rund 16 Prozent. Berlin zählt trotz seiner Lage nicht zum Osten, weil es historisch zur Hälfte westlich und strukturell dem Westen ähnlich ist. Von den Einwohner*innen Deutschlands befinden sich rund 15% in diesen Bundesländern. Soweit passt das Verhältnis schonmal. Etwas mehr als ein Siebtel der Hochschulen befinden sich dort, wo etwas mehr als ein Siebtel der Bevölkerung ist. Auf der Ebene der Hochschulleitungen ist der Osten nicht derart repräsentiert. Ein Missverhältnis, welches sich seit der Wiedervereinigung in der Elitenforschung zu erkennen gibt.
Ein Bericht des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) von Februar 2019 befindet, dass von den 81 Rektor*innen der staatlichen Universitäten in Deutschland keine*r aus den ostdeutschen Bundesländern (oder dem Saarland) stammte. Ähnliche Befunde lieferten 2016 Olaf Jacobs und Michael Bluhm vom Institut für Kunst- und Medienwissenschaften an der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit dem MDR in einer Studie über ostdeutsche Eliten mit dem Titel: „Wer beherrscht den Osten“. Darin ermitteln sie, dass der „Anteil Ostdeutscher unter den Rektoren und Kanzlern der größten Hochschulen in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) 2004 und 2015/2016“ von 22 Prozent auf 14 Prozent zurückgegangen ist. Allgemein stellt die Studie fest, dass „Ostdeutsche in gesellschaftlichen Führungspositionen noch immer nicht adäquat repräsentiert“ sind. Gründe dafür zieht die Studie im Fazit heran: „Das durch den Wegzug Anfang der 90er Jahre verminderte Reservoire potentieller ostdeutscher Eliten ist dabei ebenso ein Grund, wie es die neu im Osten etablierten oder auf den Osten erweiterten und westdeutsch dominierten Netzwerke sind.“
Auf diese Studie bezieht sich auch der Rostocker Soziologe Steffen Mau (keine Verwandtschaft) in seinem 2020 erschienenen Buch ‚Lütten Klein‘. Mau beschreibt das Ungleichgewicht im Bereich der Eliten wie folgt: „Die Ostdeutschen kamen in der Bundesrepublik an, als der Fahrstuhl oder die Rolltreppe nach Oben gerade ins Stocken geriet“. Dass die Eliten zu großem Teil nicht aus dem Osten kommen, spiegelt sich auch in Gefühlen des Fremdregiertwerdens wider. Der Draht zwischen Elite und ‚normalen Menschen‘ sei nicht gegeben, man wisse nicht, wie der*die andere ticke, was für Umstände die Leben der anderen Schichten ausmachen.
Hier sollen Rektorin Obergfell oder die anderen Rektoren der Hochschulen in Leipzig nicht als „Besatzer*innen aus dem Westen“ diffamiert werden, dennoch zeigen sich strukturelle Symptome des Wiedervereinigungsprozesses. In Leipzig ist übrigens seit 2020 ein in der DDR Geborener Rektor der Hochschule für Musik und Theater.
Foto: Archiv; Grafik: Greta Ridder
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