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  • Das „Wohl“ in Lebwohl

    Kolumnistin Leoni hat festgestellt, dass sie kein Problem mit Abschieden hat. Mehr noch, dass sie sie sogar ein wenig mag. Warum hat sie so positive Gefühle zu einem so negativ konnotierten Ereignis?

    Ich mag Abschiede.
    Abschiede, so pathetisch es klingt, gehören zum Leben wie Anfänge.
    In letzter Zeit denke ich oft darüber nach, dass ich das Gefühl habe, innerhalb der letzten Jahre öfter mit Abschiedsmomenten konfrontiert gewesen zu sein, als normal. Was mir allerdings erst kürzlich bei Gesprächen über Abschiede bewusst geworden ist – ich habe kein Problem mit ihnen. Vielmehr habe ich das Gefühl, die einzige Person zu sein, die ich kenne, die das Abschiednehmen genießt.

    Es ist doch so: Wenn man etwas verabschiedet, unerheblich dessen, ob es eine Person ist, ein Moment, eine Lebensphase, ein Job, eine Stadt – dann bekommt jedes dieser Fragmente des eigenen Lebens ein Ende. Ein offizielles Ende. Ich weiß nicht weshalb, aber ich finde, das hat etwas sehr Beruhigendes. Dinge, die enden. Vielleicht weil das Verabschieden an sich nichts Schlechtes ist. Das Verabschieden sagt für mich nichts darüber aus, wie schön die kurze oder lange Weile war, die ich mit jemandem oder irgendwo verbracht habe. Aus irgendeinem Grund differenziere ich, was das angeht, sehr deutlich. Für mich steht der Abschied für sich. Und die Gefühle für das Erlebte werden in keinster Weise weniger, oder weniger wertschätzend, nur weil darauf ein Ende folgt. Im Gegenteil. Das Ende beeinflusst nicht das Gute an einem Zustand, der gut gewesen ist. Und das Positive wird nicht im Nachhinein gemindert, nur weil es ein Ablaufdatum hatte.

    Leoni Habedank sitzt auf einem Stromkasten auf einem Gehweg.

    Was wäre, wenn morgen alles neu beginnt?

    Freund*innen ist aufgefallen, dass ich wohl oft eine Art Situationsframing betreibe. Ich stelle mir Szenarien vor, wie sie sein könnten, wie sie wirken würden oder wie sie von außen wirken. Durch dieses Framing habe ich verhältnismäßig oft sogenannte Main Character-Momente. In denen ich auf Parkbänken sitze, in der Tram sitze, durch Städte laufe. Meine Stadt verlasse, in eine neue ziehe, Freund*innen verlasse und neue finde, mich verliebe und wieder entliebe, dabei Phoenix höre und mich fühle, als wäre mein Leben ein Film, ich die Hauptfigur und dieser Moment gerade eine Schlüsselszene, in der den Zuschauenden klar wird, an wen ich gerade wirklich denke und sie die Musik im Hintergrund shazamen.

    Mir ist schon klar, dass nur ich mein Leben manchmal wie einen Film betrachte, aber vielleicht ist es genau dieses Framing, was ich mehr oder weniger unterbewusst betreibe, das dafür sorgt, dass ich es gut finde, wenn etwas endet.

    Und unabhängig davon mag ich das Gefühl, zu wissen, dass etwas endet, weil es mich das, was ich fühle, intensiver fühlen lässt. Wenn man weiß, dass man geht, weiß man das, was man gerade noch hat, mehr zu schätzen. Hinzu kommt ein Gefühl, das ich Prä-Vermissen nenne. Das aufkommt, wenn man weiß: Etwas wird bald nicht mehr sein. Es ist ein bisschen wie Vermissen in weniger drastisch, dafür mehr sentimental. Und es passiert nicht im Herzen, sondern im Kopf. Wenn man sich noch während etwas bereits präventiv an die Zeit erinnert, die bald hinter einem liegen wird, wenn das Lebewohl noch vor einem liegt.

    Ohne Abschiede hingegen kann ich nicht gut leben. Vielleicht schätze ich das „Tschüss, es war sehr schön mit dir“ so sehr, weil ein Ende ohne Abschied viel mehr weh tut.

    Und Abschiede mir das Gefühl geben, ich hab nochmal alles eingeatmet und kann im Gefühl des Lebewohls noch eine Weile die Luft anhalten, bevor ich langsam weiteratme – was immer gut tut.

    Was dann folgt, ist das, was ich Post-Vermissen nenne. Die Angst vor dem Zurückkommen. Weil der Abschied von etwas so gut war, so vollkommen in sich und so ein gutes Ende von etwas, das eine Zeit lang alles war, dass man sich nicht vorstellen kann, dass es nochmal so gut sein könnte. Der Wunsch, dass, nachdem etwas beendet ist, es für immer dieselbe schöne Geschichte bleibt, an die man sich post-sentimental zurückerinnern kann.

    Vielleicht weil Vermissen auch schön sein kann. Und einem bewusst macht, was man schon mal hatte, was sich kurz nach Glück angefühlt hat. Bevor man weitergezogen ist, um wieder etwas zu finden, das sich so anfühlt, dass man den Abschied, der irgendwann unweigerlich folgt, genießen wird.

    Fotos: Privat

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