Grün, Grün, Grün sind alle meine Aktien
Die Leipziger Fondsgesellschaft Evergreen ist nun B-Corp zertifiziert. Den Fragen, was dieses Zertifikat eigentlich ist und was grünes Investieren ausmacht, ging luhze in der Maiausgabe nach.
Nachhaltige Geldanlagen gewinnen für Anleger*innen zunehmend an Bedeutung und darauf reagieren auch die Finanzinstitute und bedienen diesen Trend mit Werbeslogans wie: „Nachhaltige Ideen rund um ihre Finanzen. Darum Deutsche Bank“. In dem Wirrwarr der Nachhaltigkeits-Label und Ratings, die versuchen nachhaltige Investments zu definieren, ist Greenwashing keine Seltenheit. Wirklich ernst möchte jedoch das Leipziger Start-Up Evergreen den Begriff nehmen. Anfang dieses Jahres erhielten sie als erstes Leipziger Unternehmen die B-Corp (Benefit Corporation) Zertifizierung, die Unternehmen auszeichnen soll, die sich für Gesellschaft und Umwelt einsetzen.
Eine Frage der Definition
In der Finanzwelt wird der Begriff Nachhaltigkeit anhand von ESG definiert. Das steht für „Ecology, Social and Governance“, also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Oft werden die Aspekte Umwelt und Soziales sehr weitläufig definiert. Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology von 2020 untersuchte verschiedene Ratings und konnte feststellen, dass dasselbe Unternehmen von verschiedenen Anbietern teilweise alle Noten zwischen eins und sechs in Bezug auf die ESG Kriterien erhielt.
Als Anleger*in verliert man schnell den Überblick. Da diese Bewertungen nicht staatlich reguliert werden, sei es vergleichbar einfach, einen Verein zu gründen, Ratings auszustellen und damit Geld zu verdienen, erläutert Gregor Weiß, Professor für Nachhaltige Finanzdienstleistungen an der Uni Leipzig. Er fügt hinzu: „Da die Unternehmen die Ratings selbst bezahlen, suchen sie sich diejenigen aus, die sie mit größter Wahrscheinlichkeit gut bewerten“. Deshalb sei insbesondere die Unabhängigkeit der Aussteller*innen wichtig.
Viele der großen Finanzunternehmen haben die Prinzipien für verantwortliches Investieren der Vereinten Nationen (UN PRI) unterschrieben. Diese beinhalten sechs Kriterien, um ESG als Werte im eigenen Handeln voranzubringen und darüber Bericht zu erstatten, „soweit mit treuhänderischen Verpflichtungen vereinbar“. Diese Zusage ist freiwillig und unverbindlich und die Unterzeichner*innen sind niemandem Rechenschaft über ihr Handeln schuldig, sodass zu großen Teilen weiterhin Geld in nicht nachhaltige Sektoren fließt, da diese seit Jahren den Gewinn sichern.
Das B-Corp Zertifikat geht einen Schritt weiter und fordert Unternehmen auf, ihre Bemühungen für Umwelt und Gesellschaft in ihre Satzung zu schreiben. Anders als bei klassischen Ratings ist das B-Corp Zertifikat nicht Teil einer Branche, sondern bewertet Nachhaltigkeit in allen Bereichen von Dienstleistung bis hin zur Produktion. Bekannte deutsche Unternehmen mit diesem Label sind die Suchmaschine Ecosia, der Kondomhersteller Einhorn und die Kleidermarke Patagonia. Die Zertifikate werden von der 2006 in den USA gegründeten, unabhängigen Non-Profit-Organisation B-Lab vergeben. Ziel sei es insbesondere, Unternehmen zu vernetzen, die strenge Sozial- und Umweltstandards erfüllen, transparent sind und nicht nur das Interesse der Aktionär*innen und Gesellschafter*innen vertreten, sondern das aller Interessensgruppen, die an den Unternehmensaktivitäten als Unternehmensführung, Mitarbeiter*innen, Umwelt, Gemeinschaft und Kund*innen beteiligt sind. Das bezeichnet man als Stakeholder-Ansatz, der im Gegensatz zum Shareholder-Ansatz nicht auf maximalen Gewinn aus ist.
Eine Frage der Motivation
Die Leipziger Fondsgesellschaft Evergreen ist neben der Tomorrow Bank eines der ersten deutschen Unternehmen im Finanzdienstleistungssektor, die diese Zertifizierung erhalten haben. Die Motivation des Gründers und CEO von Evergreen Iven Kurz war es, mit seinem Start-Up ein ökonomisch nachhaltiges Angebot mit guten Konditionen für Privatanleger*innen zu schaffen und eine faire Altersvorsorge, die jedem unabhängig vom Startguthaben zugänglich ist. Zudem will das Unternehmen ökologisch nachhaltig sein. Dabei stellte das Team fest: „Es macht keinen Sinn, in ein Unternehmen zu investieren, das seit Jahrzehnten mit einer Produktpalette sein Geld verdient, die zu 95 Prozent nicht nachhaltig ist, und das jetzt aufgrund eines Trends auch ein Produkt ins grüne Regal stellt“. Nachhaltigkeit beginne im Unternehmen selbst.
„Dasselbe gilt auch für uns“, sagt Kurz. Deshalb habe Evergreen sich zum Ziel gesetzt, sich als Start-Up zunächst gut aufzustellen. Im Bewusstsein, „dass es viele verschiedene Nachhaltigkeitsuniversen und Verständnisse gibt“, habe Evergreen nach einem passenden Rahmenwerk gesucht. In der Finanzbrache gebe es dafür kaum Anlaufstellen und dies führte sie zu B-Corp.
Um eine B-Corp zu werden, müssen Unternehmen das B Impact Assessment durchlaufen. Dieses öffentlich zugängliche Instrument fragt die fünf Stakeholder-Bereiche ab. Die Antworten werden bewertet und in ein Punktesystem übertragen. Mindestens 80 von 200 Punkten sind notwendig, um die Standards für B-Corp zu erfüllen. Die Besten erreichen das Doppelte. Evergreen hat zwölf Monate gebraucht, um all das abzuarbeiten. Ganz konkret bedeutete das unter anderem, Lieferketten nachzuverfolgen und deren Arbeitsweisen zu hinterfragen, Arbeitsverträge zu überarbeiten, die Menge an CO2 und Müll zu berechnen sowie verschiedenste Prozesse offenzulegen und zur Überprüfung einzureichen. Insgesamt konnte Evergreen in dem Assessment 110,1 Punkte erreichen. Die Punktzahl eines durchschnittlichen Unternehmens liegt laut Evergreen lediglich bei 50,9 Punkten.
In den weiteren Schritten musste B-Corp die Ziele zur Berücksichtigung der Stakeholder in ihre Satzung aufnehmen, die öffentlich für alle im Handelsregister zugänglich ist. Weiterhin wurde ein Ethikcodex erstellt und das Organisationshandbuch angepasst. Dieses beinhaltet alle Arbeitsabläufe und Grundlagen für Entscheidungsprozesse und ist ebenfalls rechtlich relevant, da dieses von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Wirtschaftsprüfer*innen und der Revision regelmäßig geprüft wird. Weiterhin bekennen sie sich zur NetZero 2030 Initiative von B-Corp, deren beteiligten Unternehmen Netto Null Emissionen bis 2030 erreichen wollen. Zudem müssen sie jährlich eine Zertifizierungsgebühr an B-Lab zahlen. Alle drei Jahre wird die Erfüllung der eingetragenen Ziele neu evaluiert, um das Zertifikat weiter tragen zu können.
Eine Frage der Funktion
Als unabhängige Non-Profit Organisation erfüllt B-Lab die erste Grundlage dafür, ein aussagekräftiges Zertifikat ausstellen zu können. Der Prozess und das Abschneiden der Unternehmen ist frei zugänglich und die Transparenz erhöht die Glaubwürdigkeit. Dadurch sind auch die Bereiche, in denen die Unternehmen während ihrer Zertifizierung schlechter abschnitten und in denen Verbesserungspotential besteht, öffentlich einsehbar. Bis ins Detail kann man die Beantwortung des Assessment Centers jedoch nur bei Aktienunternehmen und ihren Tochtergesellschaften verfolgen.
Dadurch, dass das B-Corp Zertifikat einen sehr hohen Arbeitsaufwand braucht und juristische Anpassungen nötig sind, spricht eine Zertifizierung dafür, dass Nachhaltigkeitsziele mit einer größeren Ernsthaftigkeit verfolgt werden, und bietet den Unternehmen die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Es bleibt allerdings eine Nische. Und damit bleibt auch das Problem in der Finanzbranche. „Für große und alte Finanzunternehmen sehe ich keine Chance, ein B-Corp zu werden. Sie müssten alle ihre Prozesse unterbrechen, mit denen sie bisher 80 Prozent ihres Gewinns gemacht haben“, schätzt Kurz ein. Die meisten nachhaltigen Investitionsmöglichkeiten lägen noch in den Händen von nichtnachhaltigen Finanzdienstleistern, die verkünden, grün zu sein. Für die Aussagekraft von Rankings und Zertifizierungen bedeuten staatliche Regulierungen aktuell lediglich, dass die Bewertungskriterien preisgegeben werden müssen.
Der Staat hängt hinterher, grundsätzliche Normen für Nachhaltigkeit festzulegen, über die Unternehmen Auskunft geben müssen und die falsche Zertifikate unmöglich machen.
Zertifikate, in die man sich ohne Aufwand einkaufen kann, schwächen den Nutzen, den sie tatsächlich für Kund*innen haben könnten. Bis dahin hilft nur, genau hinzuschauen und nach unabhängigen Anbietern Ausschau zu halten, die an den Prozessen kein Geld verdienen.
Titelfoto: Evergreen
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