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  • Wer studiert denn sowas? – Hebammenkunde

    Unsere neue Reihe "Wer studiert denn sowas?" nimmt verschiedene Studiengänge unter die Lupe. Wer weiß denn schon, welche Themen andere Studierende alltäglich beschäftigen. Heute: Hebammenkunde.

    „Die Hebamme beachtet die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Sie berücksichtigt die konkrete Lebenssituation, den sozialen, biographischen, kulturellen und religiösen Hintergrund, die sexuelle Orientierung sowie die Lebensphase der zu betreuenden Frauen und Familien. Sie unterstützt deren Selbständigkeit und achtet deren Recht auf Selbstbestimmung.“ Dieses Bekenntnis findet man in Paragraf Neun, Absatz Zwei des deutschen Hebammengesetzes – in dem Paragrafen, der die Überschrift „Studienziel“ trägt.

    Der Beruf der Hebamme ist einer der ältesten der Welt, das Studium hingegen, zumindest in Deutschland, ein sehr junges: Bis Januar 2020 handelte es sich in erster Linie um einen Ausbildungsberuf. Inzwischen hat Deutschland die Akademisierung des Hebammenberufs begonnen. Ein Studium ist nun verpflichtend. Grund für die Reform waren neben entsprechenden EU-Verordnungen auch gestiegene Anforderungen an den Beruf. Das vorherige Gesetz stammte noch aus den 1980er Jahren und war somit – gerade mit Blick auf neue medizinische Erkenntnisse – nicht mehr zeitgemäß. Ein wichtiges Charakteristikum des Studiengangs ist die Kombination von Theorie und Praxis: Das Studium der Hebammenkunde ist dual, es vereint also Hochschulstudium und Berufspraxis.

    In Leipzig wurde der Studiengang Hebammenkunde zum ersten Mal zum Sommersemester 2021 angeboten, er feiert dieses Jahr also sein einjähriges Jubiläum. Es sollen im Studium Inhalte vermittelt werden, die die Studierenden zu einer kompetenten stationären und ambulanten Arbeit als Hebamme befähigen, also zur Begleitung, Beratung und Unterstützung während der Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit.

    Eine Person mit orangenem Haarband und Locken in einem Dutt hat ihr Kinn auf der Hand gestützt und denkt nach.

     

     

    „Nur Frauen wollen Hebammen werden!“
    Leider ist dieses Vorurteil nicht aus der Luft gegriffen. Bis zum Beginn der Akademisierung des Berufs gab es in ganz Deutschland nur circa sieben voll ausgebildete männliche Hebammen – in Leipzig keine einzige. Auch im Studiengang Hebammenkunde ist an der Universität Leipzig aktuell keine männliche Person eingeschrieben.

     

     

    Lea Sarah Souleiman

    Lea Sarah Souleiman ist 21 Jahre alt und studiert an der Universität Leipzig Hebammenkunde im dritten Semester.


    Selfie der Studentin in einem gestreiften Tshirt.

    Foto: privat

    „Für mich stand schon früh fest, dass ich etwas Soziales und Medizinisches machen will, weil mich das einfach schon immer sehr interessiert hat. Nur Medizin war mir ein bisschen zu trocken, weil ich eben auch dieses Soziale mag, die Kommunikation mit Menschen. Als ich vom Studiengang Hebammenkunde gehört habe, dachte ich deshalb, dass das richtig gut zu mir passt. Ein Praktikum im Kreißsaal und auf der Wochenbettstation hat mich da nochmal bestärkt.

    Ich möchte im Studium die bestmögliche Betreuung für Frau und Kind erlernen, mich sozial weiterentwickeln und auch lernen, mit so viel Verantwortung umzugehen, die man als Hebamme hat, wenn man dabei hilft, ein neues Leben auf die Welt zu bringen. Gerade mit Blick auf das Studium, das ja die Ausbildung von früher ersetzt hat, hoffe ich auch, dass man lernt, sich ein bisschen mehr auf Studien zu stützen, und den wissenschaftlichen Aspekt noch mehr beachtet.

    Wir haben uns im ersten Semester mit der Schwangerschaft beschäftigt, da ging es viel um Anatomie und Physiologie, und dann im zweiten Semester mit der Geburt an sich. Im dritten Semester ist jetzt das Wochenbett als Thema dran. Es ist eigentlich wie ein kleines Medizinstudium.

    Die Verbindung von Theorie und Praxis ist total mein Ding. Ich glaube, nur in der Klinik zu arbeiten, wäre für mich noch viel zu anstrengend, aber wenn wir nur an der Uni wären, würde es uns wahrscheinlich auch viel zu sehr in den Händen kitzeln, das auch mal im Real Life zu testen und uns anzuschauen. Ich glaube, nur so kann man dieses Handwerk wirklich verstehen, indem man es auch richtig praktiziert, und nicht nur an Modellen. Ich finde, dass die Hebammenkunst noch viel mehr Aufmerksamkeit bekommen sollte. Außerdem wäre es schön, wenn der Hebammenberuf auch für Männer noch zugänglicher werden würde.“

     

     

    Deutschland ist europäisches Schlusslicht bei der Akademisierung des Hebammenberufs. Als letzter Mitgliedsstaat der Europäischen Union führte Deutschland im Januar 2020 das Studium als Berufsvoraussetzung für Hebammen ein.

     

     

     Dr. Henrike Todorow

    Henrike Todorow ist Studiengangverantwortliche des Studiengangs Hebammenkunde an der Universität Leipzig. Als solche ist sie für die Koordination und Leitung des Studiengangs zuständig. In der Vergangenheit war sie selbst als Hebamme tätig.


    „Die akademische Entwicklung der Hebammenausbildung ist aktuell in unserem Berufsfeld sehr vordergründig. Diese Akademisierung sehe ich durchweg positiv; sie war ein überfälliger Schritt. Wir konnten es nicht mehr schaffen, unter den Rahmenbedingungen dieser alten Ausbildungs- und Prüfungsordnung die angehenden Hebammen auf alle Anforderungen vorzubereiten. Wir hatten eine gute Hebammenausbildung, aber es fehlten einfach bestimmte Bereiche, gerade im medizinisch-wissenschaftlichen Bereich. Ich glaube, die Akademisierung ist ein Schritt, der für die Profession auch nochmal eine ganz andere Entwicklung bringt.

    Neben den Praxisanteilen geht es im Studium der Hebammenkunde zum einen um hebammenspezifische Inhalte, um Gesundheitsförderung und Prävention und natürlich auch um Krankheiten, die in einem Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt stehen. Dabei vermitteln wir eine frauenzentrierte Geburtshilfe. Die Bedürfnisse der Frauen und Familien stehen im Vordergrund. Es geht auch um eine sichere Geburtshilfe und um die Frage, wie man den Bedürfnissen der Schwangeren und Gebärenden gerecht werden kann. Natürlich gibt es auch Module zum wissenschaftlichen Arbeiten, weil die Studierenden ja am Ende des Studiums auch eine Bachelorarbeit schreiben müssen.

    Ich bin mit meinem ganzen Herzen Hebamme. Die Beziehung zu den Frauen und Familien in so einer besonderen Lebensphase, das Vertrauen, das in dieser Beziehung steckt, aber auch die ganz verschiedenen Menschen mit ihren verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen immer wieder zu erleben, das ist etwas, was ich unglaublich faszinierend finde.

    Ich würde mir von der Politik und der Gesellschaft noch wünschen, dass man diese Besonderheit berücksichtigt, dass wir einen sehr hohen Anteil an praktischen Fähigkeiten haben, die wir trainieren müssen, dass es also kein rein theoretischer Studiengang ist. In der Verbindung von Theorie und Praxis liegt ein hoher Aufwand. Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft das noch mehr wahrnimmt.“

    Teaserbild: ???, bearbeitet von Adefunmi Olanigan

    Grafiken: Sara Wolkers

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