Prioritäten setzen
Kolumnistin Sophie beschäftigt sich mit der Notwendigkeit der Priorisierung und setzt sich mit der Frage nach deren Umsetzung auseinander.
Ich sitze an meinem Schreibtisch und starre auf einen blanken Bildschirm. Es ist vier Uhr nachmittags und ich habe nur einen Bruchteil meiner To-Do-Liste abgearbeitet. Doch womit weitermachen? Arbeite ich weiter an der Prüfungsleistung, die in einigen Tagen fällig ist oder schreibe ich endlich die Praktikumsbewerbungen, die seit Monaten anstehen? Klar muss die Prüfungsleistung erledigt werden, aber mir läuft die Zeit für die Praktikumsbewerbungen davon. Und das nur, weil immer etwas anderes wichtiger erschien. Seufzend stehe ich auf und hole mir noch einen Kaffee, bevor ich an einem Artikel für luhze weiterschreibe.
Es ist sieben Uhr abends, mein Handy vibriert. Einladung zu einem spontanen Spieleabend. Ich bin zerrissen. Meine Zeit ab acht Uhr ist eigentlich für ein Freizeitprojekt reserviert, doch ich habe mir auch vorgenommen, mehr an meinen sozialen Kontakten zu arbeiten. Naja, an dem Projekt kann ich ja morgen wieder arbeiten. Also los zum Spieleabend.
Wieder ist ein Tag verstrichen, ohne dass ich an den Praktikumsbewerbungen oder meinem Projekt gearbeitet habe. Und mein Spanisch-Pensum wollte ich eigentlich auch erhöhen.
Ein tägliches Dilemma.
Denn irgendetwas kommt immer dazwischen. Dinge, die im Moment noch in weiter Ferne liegen oder im gesellschaftlichen Kontext nicht als wichtig erachtet werden, bleiben links liegen. Aber es ist auch nicht einfach. Neben dem Studium soll man zum einen weitgefächerte Interessen und berufsorientierte Aktivitäten sowie zum anderen ein aktives Sozialleben und am besten noch einen Job meistern. Und alles zeitgleich. Da heißt es Prioritäten setzten.
Doch wie wähle ich aus, was Vorrang hat? Verbringe ich meine Zeit mit dem Erlernen einer Sprache, die ich für meinen Master brauche, oder arbeite ich an den Aufgaben für ein Seminar, das relevant für meinen Bachelorabschluss ist? Schreibe ich Praktikumsbewerbungen für die dringend benötigte praktische Erfahrung oder verfeinere ich lieber meine Schreibfertigkeiten bei luhze und erlerne dabei wichtige Techniken fürs spätere Berufsleben? Arbeite ich in meiner Freizeit an einem Herzensprojekt, das schon seit Jahren auf meiner To-Do-Liste steht, oder versuche ich ein Loch in den Stapel ungelesener Bücher zu schlagen, der mich jeden Tag aufs Neue anbettelt? Die logische Herangehensweise wäre, mit dem anzufangen, dessen Deadline am nächsten liegt. Doch eine Sprache lässt sich auch nicht in vier Wochen lernen und Praktikumsbewerbungen müssen sechs Monate vor dem erhofften Praktikum verfasst werden, wenn man eine Chance haben möchte. Ganz zu schweigen davon, dass alles, was keinen Stichtag zugeordnet bekommt, sofort unter den Tisch fällt.
So passiert es, dass Projekte jahrelang auf der To-Do-Liste vor sich hin schmoren, weil die Verantwortung gegenüber Studium und Beruf wichtiger erscheint. Und darin liegt doch die entscheidende Frage. Wo und wie setze ich im Leben meine Prioritäten? Die Lösung, die ich für mich gefunden habe, lautet: Ich mache mir klar, was mein Ziel ist, nämlich die Arbeit mit Literatur und Sprachen, streiche alles, was von meinem Weg abweicht und vor allem, finde heraus, was mir wirklich am Herzen liegt, wie ein Projekt, das lange hintenanstehen musste. Wenn das nicht ausreicht, dann gibt es nur eins: Mut zur Lücke. Nicht alles muss perfekt sein und nicht jeder Text muss gelesen werden. Vorrang hat, was mich wirklich interessiert. Viele Wege führen nach Rom und ich kann nun mal nicht alle auf einmal beschreiten.
Fotos: Sophie Heinen
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