Lieber Hölle als Stille
In der neuen Komödie von Pascal Elbé, „Schmetterlinge im Ohr“, kann man sich endlich mal wieder von Wohlfühl-Unterhaltung berieseln lassen, während man Popcorn isst und Cola schlürft.
Der alleinstehende Geschichtslehrer Antoine (Pascal Elbé) macht keine Pläne mehr fürs Leben. Irgendwie steht alles still. Er verliert den Bezug zu seinen Schülern, die Kollegen gehen zunehmend auf Distanz und in der Liebe funktioniert auch nichts mehr. Dazu kommt seine neue Nachbarin Claire (Sandrine Kiberlain), die sich ständig bei ihm beschwert. Mal ist es der Wecker, den Antoine nicht ausstellt, mal die Musikanlage, die auf voller Lautstärke läuft, während er das Haus schon längst verlassen hat. Dazu kommen noch die Missverständnisse mit Freunden und Kollegen, wenn er mal wieder wichtige Informationen während eines Meetings überhört hat. Selbst bei wichtigen Themen wie sexueller Belästigung an der Schule, scheint er völlig desinteressiert zu sein.
Antoine macht das aber nicht mit Absicht, bloß weiß das keiner. Denn seit geraumer Zeit leidet er unter Schwerhörigkeit, ist eigentlich fast taub. Wahrhaben möchte er das nicht. Antoine, das ist ein Klischee eines reifen Mannes mit Egoproblem wie es im Buche steht. Unglaublich überheblich, überragend in seiner Profession, für das eigentliche Leben eher weniger zu gebrauchen, wäre da nicht dieser Charme, der von ihm ausgeht, wenn er total durch den Wind mit Dreitagebart und einem Rollkragenpullover den Raum betritt. Irgendwann muss aber auch er sich seinen Dämonen stellen, geht zum Arzt und bekommt die zu erwartende Diagnose. Schwerhörig, ohne ein Hörgerät geht es nicht mehr. Hörgerät, von solchen Erfindungen für alte und noch ältere Menschen möchte Antoine nichts wissen, er selbst sieht sich noch als jungen Hüpfer. Wie sehe das denn aus mit so einem Gerät im Ohr, nein, das könne er sich nicht vorstellen, meint er zum Arzt. Am Ende entscheidet er sich doch dafür, es geht eben nicht anders. So nimmt die Geschichte ihren Lauf und auch die anfangs noch nervige Nachbarin, die ja eigentlich nur mit ihrer Tochter kurzfristig bei ihrer Schwester wohnt, ist auf einmal gar nicht mehr so nervig, nein, Antoine findet sogar Gefallen an ihr und auch zu ihrer stummen Tochter Violette (Manon Lemoine) scheint es eine Verbindung zu geben. Sie stumm, er taub.
Der Ort des Geschehens wird im Film nie genannt, er spielt zum Großteil in einer französischen Stadt mit schöner Architektur und den typisch sandfarbenen Gebäuden. Ab und zu verlagert sich die Handlung dann in ein kleines Küstendorf, beispielsweise wenn Antoine seine Mutter besucht. Untermalt wird das Alles von einem unglaublich guten Soundtrack, aber das ist letztendlich Geschmackssache. Zwar ist der Film an sich etwas formelhaft und man fragt sich gleich zu Beginn, wieso die Gespräche mit Kollegen in der Schule oder den Nachbarn im Treppenhaus problemlos funktionieren, das Klingeln des Weckers und der erotische Smalltalk einer Bettbekanntschaft dann jedoch wiederum unerhört zu Problemen führt. Die Taubheit scheint hier stark ans Skript gebunden zu sein, aber man verzeiht es dem Film, denn immerhin schaut man sich ja kein Porträt einer realen Person an, sondern eine klassische romantische Komödie.
Da ist es dann auch egal, dass sich Antoine als Lehrer eine viel zu große Wohnung leisten kann, mit Echtholzfußboden, teuren Möbeln und Buntglasfenstern, Claire alleinerziehende Blumenhändlerin ist, aber eben mal nachmittags einen Joint rauchen und auf der Couch einschlafen kann, denn in Frankreich sind eben alle Menschen entspannt, frönen der Kunst, der Musik, der Liebe und dem Essen. Für unteren Mittelstand in Problembezirken ist da kein Platz, versteht man, Armut sieht halt auch einfach blöd aus. Die Aufnahmen im Film hingegen sind durchweg wunderschön, Frankreich ist eine Augenweide, alles passt perfekt ins Bild. Irgendwann borgt sich Antoine dann noch das Auto eines Kollegen, natürlich ein alter Mercedes, während alle anderen auf der Straße langweilige Neuwagen fahren. Ebenfalls nicht fehlen darf die obligatorische Zeitrafferszene mit Indie-Musik im Hintergrund, aber es funktioniert eben. Ich erwarte keinen Film mit der Qualität einer Annie Hall (Woody Allen, 1977), auch wenn das Plakat zum Film sehr woodyesk wirken mag.
Das Drehbuch funktioniert, nach circa neunzig Minuten verlasse ich das Kino mit heiterer Stimmung und habe an der ein oder anderen Stelle sogar gelacht.
Fotos: Neue Visionen
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