Haarige Angelegenheit
Kolumnistin Adefunmi trug im letzten Monat Box Braids. Das hatte für sie eine besondere Bedeutung, entfachte aber auch neue Konflikte.
Cool, krass, crazy und voll schön! Mit diesen Worten wurden meine Braids kommentiert. Manchmal aber auch gar nicht. Und ich frage mich, was mir eigentlich lieber ist.
Über vier Stunden saß ich Anfang Mai bei einer Bekannten meines Vaters, die, wie er, aus Nigeria kommt und mir die kleinen Zöpfe flicht. Am Ende ragen mir um die 60 bis kurz über die Brust. Als mein Vater mich abholt, bin ich überglücklich. Ich fühle mich schön, selbstbewusst und stark in meinem Schwarzsein.
Es ist erst das zweite Mal in meinem Leben, dass ich Braids trage, und für mich sehr besonders. Denn obwohl ich mit meinem Vater aufgewachsen bin, blieb meine kulturelle Prägung stets sehr deutsch, sehr weiß. Und immer, wenn mein Schwarzsein im Raum stand, wenn ich gefragt wurde, woher ich komme, und ob ich denn auch Nigerianisch sprechen könne (die Sprache existiert nicht), wollte ich hinausschreien: „Ich bin doch so Deutsch wie ihr, ein Anders gibt es gar nicht!“. Deutsch ist meine Muttersprache, Englisch habe ich in der Schule gelernt. Bisher war ich noch nie in Nigeria und Yoruba (eine der nigerianischen Sprachen) spreche ich leider nicht, dafür kann ich den „Erlkönig“ auswendig aufsagen, seitdem ich sieben bin.
Ich will aber gar nicht darüber reden, was es eigentlich bedeutet, Deutsch zu sein, auch wenn ich weiß, dass ich es unbedingt sein wollte. Es hat Jahre gedauert und Black Lives Matter gebraucht, bis ich mich mit meinem Schwarzsein beschäftigt und mich stärker mit der Kultur verbunden gefühlt habe, die mein Papa nur in Teilen auslebt. Nun verspürte ich den Wunsch, die Kleider, die mir von meiner Familie aus Lagos geschickt wurden und ich sonst nur zuhause anhatte, draußen zu tragen. Und ich wollte Braids.
In meiner Jugend glättete ich meine Haare. Damals mussten Locken prinzipiell „gebändigt“ werden, „krauses“ Haar war gleichgesetzt mit Schmucklosigkeit. Schwarze Vorbilder, vorrangig aus den USA, trugen ja auch glatte Haare und endlich konnte ich die gleichen Frisuren wie meine weißen Freundinnen tragen. Im Gegensatz dazu empfinde ich meine Braids als Bekenntnis zu dem Teil meiner Herkunft, den ich mir oft weniger auffällig gewünscht habe.
Mein ganzes Leben waren meine Haare Bestandteil von vielen Gesprächen und blieben selten unkommentiert. Das mag an meiner Identität als Frau und auch als Black Person of Colour liegen. Mit meinen Braids standen meine Haare auf eine andere, neue Weise im Mittelpunkt. An meine Locken hatte man sich ja schon gewöhnt. Ich war manchmal entsetzt, welche Fragen mir zu ihnen gestellt wurden. Denn nein, natürlich sind das nicht alles meine Haare, eben entsprach meine Haarlänge gerade mal einem Bob. Und da es Braids sind (auf deutsch: Geflecht), lassen diese sich auch einfach durch Entflechten wieder entfernen.
Meine Haare erzeugen Aufmerksamkeit und Fragen, bei denen ich die Augen verdrehe. Ich bin konfrontiert mit den neuen alten Formen von Mikroaggressionen und Rassismus. Nicht böse gemeint, heißt noch lange nicht gut gesagt. Mein neues Selbstbewusstsein trübt sich. An manchen Tagen laufe ich durch die Straßen, in der Angst, mehr aufzufallen, leichter mit rassistischen Kommentaren von Fremden angegriffen zu werden.
In der Krönung des letzten Monats wurde ich gefragt, wo ich meine Haare habe machen lassen, ob das beim Jahrmarkt gewesen sei. Dahin ist mein Gefühl von Stolz und Stärke. Ich fühlte mich beleidigt und das sagte ich auch. Ich erklärte es sogar. Wenn sich nicht-westliche Kulturgüter angeeignet und abgewertet werden, sogar als primitiv erachtet werden, reihen sich mit dieser Frage meine Braids ein in eine Fortsetzung des Verkleidens. Im Kontext des Jahrmarks symbolisiert meine Frisur dann nur Spaß und Belustigung ohne persönliche und kulturelle Bedeutung.
Bei all den Einwänden zur Oberflächlichkeit waren Haare, Kleidung und Make-Up immer schon eine Möglichkeit, sich selbst auszudrücken. Sie sind eine Quelle für Selbstbewusstsein und bestimmen Zugehörigkeiten. Es hat seinen Preis damit aufzufallen, aber gibt im Stärken der eigenen Identität genauso viel zurück. Deshalb will ich bei all den Schwierigkeiten immer wieder den Mut und die Kraft aufbringen, den Ausdruck meiner Selbst nach außen zu tragen. Angefangen bei meinem bunten nigerianischen Kleid.
Titelbild: Pixabay
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