• Menü
  • Kolumne
  • Wer schön sein will, muss weiß sein

    It’s hot girl summer. luhze-Kolumnistin Michelle setzt sich mit (post-)migrantischer Unsicherheit auseinander, kritisiert Schönheitsideale und plädiert für ein bicultural hot girl year.

    An der Universität belege ich in diesem Semester einen Indonesisch-Sprachkurs. Ich schaue auf die Zoom-Kacheln und übersetze einen Satz: „Laut den Medien ist das Schönheitsideal in Indonesien: weiße Haut, schlanke Figur, langes, glattes, schwarzes Haar.“ Die Dozentin lacht und sagt: „So wie du.“

    Als ich vor fünf Jahren zuletzt in Indonesien bin, um meine Familie zu besuchen, creme ich mich an einem heißen Nachmittag mit Sonnencreme ein und lege mich auf dem Dach meiner Großeltern auf ein Handtuch. Als ich wieder nach unten komme, lacht meine Oma über mich, die Deutsche, die sich in die Sonne legt, um sich zu bräunen.

    In Indonesien falle ich plötzlich auf, bin ich plötzlich schön. Als Person mit asiatischen und europäischen Merkmalen zweifele ich in Deutschland hingegen lange an meiner Attraktivität. Vor allem während der Pubertät verspüre ich diese Unsicherheit oder habe Angst vor einer Fetischisierung. In der Schulzeit zieht mich abends einmal ein Freund zur Seite und sagt: „Pass lieber auf, der steht auf Asiatinnen.“ Kürzlich erzählt mir eine Freundin, auf einer Party hätte ein Typ zu ihr gesagt, er hätte noch nie eine Asiatin gehabt. Ich sage, er hätte wohl noch nie eine Schelle gehabt.

    Nach der Indonesisch-Stunde und dem Kompliment der Dozentin denke ich an den Tweet des Twitter-Users @Nadisugly:
    „Ok but when did you realize you weren’t ugly and that you were just a POC around too many white people.”
    Der Satz trifft mich. Ich bin in Frankfurt am Main aufgewachsen und dort von vielen als migrantisch gelesenen Personen umgeben gewesen, nichtsdestotrotz finde ich mich während meiner Kindheit und Jugend kaum in den Medien wieder.

    Beim letzten Besuch bei meinen Großeltern, langen Sommerferien, in denen ich fünfzehn Jahre alt bin, fallen mir im indonesischen Fernsehen zum ersten Mal Personen auf, die mir ähneln. Ich sitze an dem runden Tisch im Wohnzimmer auf Stühlen, deren Bezüge immer noch mit Plastik umwickelt sind, genauso wie die Fernbedienung, die ich in der Hand halte. In den Serien sehe ich Schauspielerinnen mit asiatisch-europäischen Merkmalen; in der Werbung Models mit unnatürlich hellem Teint, die hautaufhellende Cremes anpreisen.

    Kolumnistin Michelle trägt ein Leoparden Hemd.

    Kolumnistin Michelle ist ready für ein 24/7/365 bicultural hot girl year.

    Mit der Kolonialisierung Indonesiens durch die Niederlande und später Japan wurden auch die jeweiligen Schönheitsstandards der Kolonialherren eingeführt: Schädliche Cremes werden in das Land importiert, in Zeitschriften und Magazinen weiße Haut propagiert. Das Schönheitsideal „weiß“ zu sein, ist für den Großteil der Bewohner des ethnisch vielfältigen Inselstaates nicht zu erfüllen. Heute ist dieses Ideal immer noch ein für die Einwohner schädliches und für Unternehmen lukratives Überbleibsel der Kolonialisierung. Schönheitsideale sind immer verknüpft mit Macht und Geld.

    Die Macht über meine Selbstwahrnehmung möchte ich nicht mehr aus meinen Händen geben. Nichts hindert mich an einem hot girl summer oder noch besser einem bicultural hot girl year. Momentan binge-watche ich die 6. Staffel der Jugendserie DRUCK – bicultural queer love vom Feinsten. Auf meiner Fensterbank liegen zwei Bücher: „Wovon wir träumen“ von Lin Hierse und „Tao“ von Yannic Han Biao Federer. Im Frühjahr erschienene Titel, die so nah an mir und meiner Identität sind, Geschichten erzählen, mit denen ich mich so lange allein glaubte, dass ich bei der Lektüre oft weinen muss – Lin Hierse lese ich grundsätzlich nur mit verquollenen Augen.

    Meinem pubertierenden Ich hätte ich die Serie oder die Lektüren gerne gezeigt, mit einer kleinen Notiz oder einem kleinen Liebesbrief, Worten von Freund:innen, die ich mir mittlerweile selbst sagen und schreiben kann.

    To all my fellow bicultural kids – ihr seid wunder-wunderschön!

    Teaserfoto: Freepik

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    Haarige Angelegenheit

    Kolumnistin Adefunmi trug im letzten Monat Box Braids. Das hatte für sie eine besondere Bedeutung, entfachte aber auch neue Konflikte.

    Kolumne | 19. Juni 2022

    Wo kommst du her?

    Die Frage nach der Herkunft kann ein heikles Thema sein. Kolumnistin Sanja hat trotz aller Umstände gerne Wurzeln in zwei verschiedenen Ländern.

    Kolumne | 23. Mai 2021