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  • Hass im Netz

    Sprache ist eine allgegenwärtige Begleiterin und das Thema unserer Juniausgabe. In diesem Artikel geht Leo Stein der Frage nach, ob sie auch eine Gefahr für unsere Demokratie sein kann.

    In einem abgedunkelten Raum sitzt zwischen angefangenen Chipstüten, leeren Energydrinkdosen und Bergen von Schmutzwäsche ein Mann Ende 30, tätowiert mit Symbolen rechts-politischer Gruppierungen. Er starrt angestrengt auf seinen Computer. Plötzlich schlägt er auf den Tisch und brüllt eine Beleidigung. Die Wut flackert in seinen Augen. Er beginnt, wie wild zu tippen und sendet ihn ab, den nächsten Hate-Kommentar.

    „So ist es meist gar nicht“, erklärt Hannah Heuser. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Juristenfakultät der Universität Leipzig und beschäftigt sich in dem Projekt „Der strafrechtliche Umgang mit digitalem Hass“ von Professorin Elisa Hoven mit diesem Thema. Digitaler Hass ist ein Überbegriff für alle Formen von Angriffen auf Personen und Personengruppen im Netz, während Hate Speech nur Äußerungen umfasst, die bestimmte Gruppen diffamieren sollen.

    Der blaue Twittervogel hat ein rotes leuchtendes Auge.„Durch eine Analyse von Facebook-Beiträgen konnten wir he­-rausfinden, dass politische Kommentare sich oft gegen die Grünen und die AfD richten“, berichtet Heuser. Der Hass gehe nicht, wie häufig erwartet, ausschließlich von Rechten aus, sondern ziehe sich durch alle Altersgruppen und sozialen Milieus. Auch eine typische Ver­mutung sei, dass Frauen eher mit digitalem Hass angegriffen werden als Männer. „Das konnten wir nicht bestätigen, das Verhältnis ist eher umgekehrt“, sagt Heuser. 20 Prozent der Männer, aber nur 15 Prozent der Frauen in ihrer repräsentativen Studie waren schon einmal von digitalem Hass betroffen. Die Art der Angriffe unterscheidet sich jedoch. Männer würden noch eher auf einer sachlichen Ebene angegriffen, während es bei Frauen schnell persönlich werde.

    „Erschreckend ist, wie sich das Klima auch auf Nicht-Betroffene auswirkt“, meint Heuser. Unter den Personen, die noch nicht selbst von digitalem Hass betroffen waren, schränken sich 37 Prozent trotzdem ein und sind vorsichtiger in ihrem Posting und Kommentarverhalten geworden. „Dieser Silencing-Effekt ist eine Gefahr für unsere Demokratie, weil er den Diskurs einschränkt“, erklärt Heuser. Deswegen vertritt auch Hoven die Position, dass durch die Beleidigungsdelikte nicht mehr nur die persönliche Ehre, sondern auch der pluralistisch-demokratische Austausch, also die Demokratie als solche, ein durch das Strafrecht geschütztes Rechtsgut sein sollte. Ob eine Klarnamenpflicht Straf­ta­ten verhindern kann, sei fraglich, denn der Zusammenhang von Anonymität und digitalem Hass ist wissenschaftlich hoch umstritten. „Wir haben bei der Untersuchung von Ermittlungsakten verschiedener Staatsanwaltschaften auch herausgefunden, dass ein großer Teil der strafwürdigen, teilweise furchtbaren Beleidigungen von Personen begangen wurde, die unter Klarnamen aktiv sind“, berichtet Heuser.

    Aber was ist überhaupt strafbar? „Das kann man nicht pauschal sagen, es kommt auf eine Einzelfallbetrachtung an“, erläutert Heuser. Je nach Form, Inhalt und Ort eines Kommentars sei dessen Wirkung komplett verschieden. Beispielsweise können Privatnachrichten an einzelne Nutzer*innen oder Kom­mentarspalten, Fotos, Videos, Text- oder Sprachnachrichten genutzt werden. Strafrecht­lich bewege es sich aber vorwiegend zwischen den beiden Polen der Herabwürdigung und der Bedrohung, fasst sie zusammen. „Wir müssen aufhören, das Internet getrennt vom sogenannten ‚realen Leben‘ zu betrachten. Es ist ein Teil davon. Was im Internet gepostet wird, erreicht echte Menschen und beeinflusst diese in ihrem realen Leben“, sagt Heuser. „Zur Bekämpfung reicht nicht nur das Strafrecht, sondern wir brauchen auch ein gesellschaftliches Umdenken.“

    Grafiken: Linda Gronem

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