Die Sprache der Wutbürger*innen
Sprache ist eine allgegenwärtige Begleiterin und das Thema unserer Juniausgabe. Emma Wendland nähert sich dem Ursprung des schlechten Rufs des Sächsischen und räumt dabei mit einigen Vorurteilen auf.
Es gibt nichts Ulkigeres als einen Sachsen, der sich geniert, einer zu sein.“ Das meinte Lene Voigt, die im 20. Jahrhundert in Leipzig lebte und in ihren „Säk’schen Balladen“ detailverliebt den Alltag beschrieb. Dabei verwendete sie bewusst den Dialekt als Stilmittel und zeigte, dass sie stolze Sächsin war. Deshalb machte sie sich gerade über die lustig, die versuchten, ihr „Sächsisch-Sein“ zu verstecken.
Zu genau diesem Versteckspiel fühlen sich auch heute immer mehr Sächs*innen gezwungen, gerade wenn es um ihre Sprache geht. Denn wiederholt zeigen Studien, dass der sächsische Dialekt mit negativen Eigenschaften assoziiert wird und im Vergleich zum sogenannten Standarddeutsch, aber auch zu anderen Dialekten, unbeliebter ist. Woran kann das liegen?
Laut Beat Siebenhaar vom Institut für Germanistik der Universität Leipzig nutzte Martin Luther bei der Bibelübersetzung um 1520 das Sächsische, weil es ihm viele Vorteile bot. Dabei orientierte er sich an der sächsischen Kanzleisprache, welche sich zwar vom damals gesprochenen Sächsisch unterschied, jedoch weithin verständlich und gut angesehen war und somit auch einen positiven Einfluss auf die Verbreitung der Luther’schen Bibel hatte.
Noch im 18. Jahrhundert galt die sächsische Mundart gerade in der Oberschicht als besonders kultiviert und edel. Doch nach dem verlorenen Siebenjährigen Krieg gegen Preußen verblühte der Ruf des Kurfürstentums Sachsen und mit ihm verwelkte das Bild seiner Sprache. Dabei ist unter Sprachwissenschaftler*innen umstritten, ob der Krieg der einzige Auslöser des Imageverlusts war. Seit circa 100 bis 150 Jahren ist der sächsische Dialekt genau genommen ausgestorben, die strengen sprachlichen Kriterien, zum Beispiel bezüglich der Grammatik oder Aussprache eines Dialekts, sind nicht mehr erfüllt und Sprachwissenschaftler*innen sprechen heute von einem Regiolekt.
Seit Jahrzehnten wird mit dem Sächsischen bäuerliche Einfältigkeit und Engstirnigkeit verbunden. So entsteht ein Teufelskreis zwischen fehlender positiver Repräsentation und negativen Vorurteilen. Die Stigmatisierung der Mundart im Westen als Sprache der DDR hält noch heute an. Meist sind es Vertreter*innen von Pegida, der Querdenkenbewegung oder der AfD, die als sächselnde Wutbürger*innen in den Medien inszeniert werden und somit dem Klischee entsprechen und es reproduzieren. Wer progressive Ideen vertritt, tut das heute nicht auf Sächsisch, um nicht in die gleiche Ecke verbannt zu werden. Es ist leichter gesagt als getan, diesen Kreis zu durchbrechen. Wer versucht, das verlorene Prestige eines Regiolekts auf künstliche Art und Weise wiederzugewinnen, erreicht eher das Gegenteil.
Dabei bedeutet für viele der Klang des Regiolekts ein Gefühl von Heimat und Verbundenheit und ist Teil einer gemeinsamen Identität. Diese Werte aufrechtzuerhalten und den Regiolekten ihre Bedeutung weiterhin zuzusprechen, ist wichtig für ein kollektives Selbstwertgefühl. So schrieb auch schon Lene Voigt: „Ne Mundart lässt sich nich verbieten, weil blutsgebunden bis ins Mark, dr Volksmund selwer weeß zu hieten, sei Vätererbe drei un stark.“ („der Volksmund selber weiß zu hüten, sein Vätererbe treu und stark“)
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