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  • Fruchtfliege ebnet Nobelpreisträger*innen den Weg

    Vom großen Wert der kleinen Fliegen handelt Caroline Wiedes Artikel aus der luhze-Juniausgabe. Mit dem Insekt haben wir Menschen sogar 60 Prozent unseres Erbgutes gemeinsam.

    Ein bekanntes Bild: Vorgestern eingekauft, heute sind die Bananen schon fast braun. Und als ob das noch nicht reichen würde, tummeln sich zusätzlich auch haufenweise Fruchtfliegen auf dem Obst. Doch was viele nicht wissen: Diese (mitunter nervige) kleine Fliege hat nicht nur quasi schon mehrfach den Nobelpreis gewonnen, sondern teilt sich mit uns auch mindestens 60 Prozent der Gene. Was genau hat es also mit der Fruchtfliege auf sich?

    Drosophila melanogaster, wie die altgriechische Bezeichnung der Fruchtfliege lautet, ist schlichtweg der perfekte Modellorganismus. Die Fliege gehört weltweit zu den best­erforschtesten Tieren. Seit dem Jahr 2000 ist ihr Genom zu 97 Prozent entschlüsselt. Weiterhin erfüllt sie die wichtigsten Anforderungen der Wissenschaft an einen Modellorganismus. Neben günstiger und leichter Züchtung hat sie eine schnelle Generationsnachfolge von nicht einmal 14 Tagen. Das vereinfacht die Forschung mit ihr ungemein, da genetische Veränderungen innerhalb kürzester Zeit untersucht werden können. Auch ihr simples Genom, bestehend aus vier Chro­­mosomenpaaren, erleichtert die Forschung. Chromosomen sind die Träger der Erbinformationen und liegen bei den meisten Tieren als Paare vor. Ein Mensch hat zum Vergleich 23 Chromosomenpaare, eine Maus 20.

    Äußerlich haben wir mit der Fliege wohl kaum Gemeinsamkeiten, dafür aber eine hohe genetische Ähnlichkeit. Das bietet Wissenschaftler*innen die Chance, Krank­heiten zu untersuchen, welche bei der Fliege die gleichen Strukturen und Prozesse angreifen wie beim Menschen. Auch Tobias Langen­han, Professor für Biochemie an der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig beschäftigt sich mit diesem Thema. Gemeinsam mit Kolleg*innen der Universität Würzburg untersuchte er kürzlich an der Fruchtfliege die Mutation eines neuronalen Gens. Sie kann beim Menschen neben dem Verlust des Sehvermögens auch einen überdurchschnittlic hohen Intelligenz­quotienten bewirken, denn „die Mutation führt dazu, dass die Kommunikation zwischen den Nervenzellen verstärkt wird“, so Langenhan. Ebenfalls ist die Fliege als Modellorganismus hilfreich, um embryonale (Fehl)ent­wicklungen oder Ner­ven­­krankheiten wie Parkinson zu untersuchen.

    Doch auch dieser Modellorganismus als Wunderwaffe der Wissenschaft hat Grenzen. „Wenn wir uns Organfunktionen anschauen, sollte man vorsichtig werden mit der Über­tragbarkeit auf den Menschen, da die Architektur der Organe zum Teil sehr verschieden ist“, sagt Langen­han. Und neben wissenschaftlichen Grenzen kommt wie bei jeder Forschung mit Tieren auch hier die Frage nach ethischen Gren­­­­zen auf. Nach dem deutschen Tierschutzgesetz gilt die Forsch­ung mit der Frucht­fliege nicht als Tierversuch. Auf der Website der Max-Planck­-Gesellschaft heißt es, eine artgerechte Haltung könne garantiert wer­­den, denn die Fliegen benötigen wenig Platz und haben keine hohen Ansprüche an ihre Umgebung. Sie werden in Kolben mit etwas Nährmedium und einem luftdurchlässigen Pfropfen gehal­ten.

    Welchen großen Dienst die Fliege der Wissenschaft bisher erwiesen hat, zeigen Nobel­preis­träger wie Tho­mas M. Hunt und Hermann J. Muller. Mithilfe der Droso­phila belegte Hunt die Möglichkeit der Gen­kopp­lung, ein ge­­ne­tisches Phä­­nomen, das die ge­­mein­­same Vererbung von räumlich nah bei­einander­liegenden Genen beschreibt. Muller bewies, dass Radio­aktivität ein Haupt­­­verur­sache­r von Gen­muta­tion und Chro­mo­­­­so­men­brüche ist. Auch Tobias Langenhan hat zukün­­­ftige Projekte in Aussicht, um weiterhin die synaptischen Über­­tra­gungs­wege, also die Kommunikation zwischen Nervenzellen, zu un­ter­­­­suchen. Wir dürfen gespannt bleiben, was uns die kleine Fliege aus der Küche in Zukunft noch lehren wird.

    Foto:  Mohamed Nuzrath / Pixabay

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