Frei sein
Kolumnistin Leoni hinterfragt, was „frei sein“ bedeutet. Und was es mit ihr macht. Ungezwungen, locker, casual sein, verbinden wir unweigerlich mit „Freiheit“. Aber ist es vielleicht genau andersrum?
Ich habe oft den Eindruck, dass viele Leute Probleme damit haben, sich festzulegen. Weil sie Festlegen als etwas Negatives sehen. Schließlich ist es das Streben nach Freiheit, was viele Menschen auszumachen scheint, sich nicht binden müssen, nicht entscheiden, dass man eine Sache will, sondern alles wollen kann.
Ich denke da zum Beispiel an das Gefühl, das mich selbst über Jahre begleitet, irgendwie rastlos zu sein, was das Empfinden für einen Ort als Heimat angeht. Alle paar Jahre denken: „So, das wars doch jetzt noch nicht, where to go next?“ An jedem Gleis fühlen, wie viele Zielorte einen umgeben, und an jedem fremden Bahnhof glücklicher sein als in der eigenen Stadt.
Ich denke auch an den Beginn einer Liebe, oder die Ungewissheit darüber, was genau das ist, dem man sich gerade zuwendet, wie lange es noch ist und wie intensiv es noch wird. Aber ohne das seinem Gegenüber offen zu kommunizieren, aus Angst, die „Freiheit“, die im Ungewissen liegt, zu verlieren. Aus Angst, das Gegenüber selbst könnte diese Angst haben. Oder aus der Annahme heraus, dass das gar nichts ist, wonach man sich sehnt. Sich festlegen auf jemanden. Wieso denn, wenn man damit seine „Freiheit“ aufgibt?
Ich denke an Karriereideen. Die Gedanken, die man sich macht über das eigene Erwachsenwerden und Im-Arbeitsleben-ankommen-„müssen“ und wie wir alle auf keinen Fall zwischen Neun und Fünf in einem Bürostuhl sitzen wollen. Diese Dystopie, die wir selbst erschaffen, von etwas, vor dem wir eigentlich keine Angst haben müssten, wenn wir uns nicht so vor Verbindlichkeiten scheuen würden. Vorausgesetzt man genießt das Privileg, etwas zu finden oder gefunden zu haben, für das man morgens gerne aufsteht.
Wenn man sich so sehr versucht, vor Abhängigkeiten zu schützen, dass man eigentlich nur für sich selbst lebt, macht man sein Leben dann nicht ziemlich klein? Nur um sich selbst zu kreisen, erscheint mir unheimlich anstrengend, während ein Zugehörigkeitsgefühl zu egal was oder wem all den Druck, der sonst nur auf einem selbst lastet, sinnvoll zu verteilen scheint.
Bewusste Entscheidungen zu treffen, erscheint mir viel wertvoller, weil die Entscheidung für etwas dafür sorgt, dass ich zumindest für den Moment festlegen kann, wer ich gerade sein will und was ich gerade fühle, was mich glücklich macht. Und auch in einer Entscheidung liegt eine Freiheit. Weil man andere Möglichkeiten ausschließt. Jede getroffene Entscheidung sorgt für einen Paradigmenwechsel vom Leben im Konjunktiv zu einem Leben im Indikativ.
Nur Freiheiten zu haben, macht auf Dauer unglücklich. Ich glaube nicht, dass die große Freiheit das ist, wonach ich streben sollte. In der großen Freiheit findet sich nicht das große Glück. In der großen Freiheit steckt die große Unverbindlichkeit. Und diese große Unverbindlichkeit bedeutet eine Ablehnung von Langfristigkeit.
Sich nach Freiheit zu sehnen, heißt doch, dass man immer nur abhängig ist vom Moment. Der einen glücklich machen muss. Und sich gegen alles zu entscheiden, um sich etwas zu erhalten, das einen nicht langfristig, sondern von Moment, zu Moment, zu Moment glücklich machen soll.
Camus sagte etwas davon, dass Freiheit nichts mit Privilegien, sondern mit Pflichten zu tun habe.
Vielleicht die Pflicht, sich davon freizumachen, Freiheit als einer Art gesellschaftliches Nonplusultra hinterherzueifern, und dabei zu vergessen, dass es sich auch frei anfühlen kann, die Existenz von Co-Abhängigkeiten in seinen eigenen Dimensionen als befreiend anzuerkennen.
Und wenn man das schafft, hat man vielleicht nicht mehr so viel Angst.
Und eine klare Sicht auf die Dinge, die einen vielleicht glücklich machen könnten, wenn man ihnen wiederum die Freiheit einräumen würde, die man ihnen aus Sorge um seinen eigenen Freiheitsentzug, einer Freiheit, die man nicht mal benennen kann, verwehrt.
Hätte, würde, könnte ist so anstrengend.
Fotos: Leoni Habedank
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