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  • Das ist ein Liebesbrief

    Kolumnistin Leoni macht eine Liebeserklärung, die schon lange überfällig war, und für die jetzt der einzig richtige Zeitpunkt ist.

    Ich hab eigentlich gedacht, du wirst mein Für-immer.

    Ich hab das schon gedacht, bevor ich dich kannte. Als ich noch von dir träumte. Von dir und mir und einem Uns, was es damals noch nicht gab, und auch lange nicht geben sollte.

    Für dich war ich mutig, löste mein altes Leben auf und stieg in den Zug, ohne zu wissen, ob du mich auffangen würdest. Und es war die beste Entscheidung.

    Ich bin irgendwie erwachsen geworden, hab mich viele Male selbst aufgefangen, hab angefangen zu suchen, was ich brauchte, und zu finden, was ich nicht brauchte.

    Hab das erste mal so richtig geliebt, viel geliebt, aber immer dich.

    Kolumnistin Leoni und ihre Liebe

    Leipziger Nächte.

    Du hast mich eingesogen und ich hab viel in mich aufgesogen. Manches durch die Nase. Vieles direkt ins Herz. Du hast mein Herz gebrochen und mich wieder aufgebaut, so lange, bis ich das Gefühl hatte, wieder ganz zu sein. Du hast mich ganz gemacht. Immer und immer wieder.

    Und obwohl du mir nie geben konntest, was ich dachte zu wollen, hast du mir genug gegeben mit dem Gefühl, immer bleiben zu wollen. Ich hab mich noch nie so zuhause gefühlt, bin unter keiner Sonne so gerne spaziert und hab auf keiner Fußgängerbrücke zuvor schönere Sonnenuntergänge gesehen. Ich hab verhältnismäßig oft Sonnenaufgänge mit dir gesehen. Bin zu lange mit dir wach geblieben, zu gerne mit dir eingeschlafen und zu gerne morgens bei dir aufgewacht. Hab jeden Teil von dir erkundet, war in jedem Winkel, in manchen auch öfter und in einigen für länger.

    Mit dir hab ich meine schwerste Krise erlebt, durch dich realisiert, dass ich nicht mehr kann, du hast mir klar gemacht, wer ich eigentlich bin, und wer ich in den letzten Jahren vorgegeben hab zu sein. Mit niemandem war ich je so ehrlich. Nicht mal mit mir selbst.

    Und dennoch ist es vorbei.

    Ich kenne dich in- und auswendig, deine Viertel, deine Ecken, deine Macken.

    Ich hab an jedem Flussufer, jeder WG, jeder Bar und auf jedem Balkon eine Geschichte. Weiß, wo die Endstation der 7 ist. Kann nicht mehr zum Bio-Späti in der Holbeinstraße gehen und nicht mehr zum Blutspenden in die Gohlis-Arkaden. Ich weiß, wie der Obdachlose mit dem Rolli auf der Eisi heißt, hab hunderttausendmal von oben auf die Brache hinuntergeguckt, selbst als sie noch eine Brache war. War viel zu oft high mit dir und anderen.

    Ich hab am Torgauer Platz geknutscht, in Schleußig und in dieser einen dubiosen leerstehenden Kneipe zwischen Friedrich-List-Platz und Hauptbahnhof, die irgendwas mit „Jesus“ heißt. Ich hab Substanzen ausprobiert, Nacktbaden ausprobiert, Wachbleiben ausprobiert, draußen schlafen ausprobiert und mich ausprobieren lassen.

    Ich hab mich drei Semester nacheinander an deiner Uni beworben und bin jedes Mal abgelehnt worden.

    Ich hab diverse Male die Nahtoderfahrung machen müssen, an einem Wochenende im verloren zu gehen und erfahren, wie es ist, wenn man sonntags den Rewe im Hauptbahnhof nutzen muss. Hatte zwei Fahrradunfälle, unzählige platte Reifen und bin bei Instagram immer noch in einem Profil eingeloggt von einem Wohnungslosen aus dem Lene-Park, dessen größte Sorge war, ob das Gurl, in dessen DMs er geslided war, bevor er wohnungslos wurde, ihm schon geantwortet hat.

    Der Besitzer von Sesam Grill weiß, dass ich meinen Seitan-Döner mit Mangosoße esse, was der Großteil meiner Freund*innen widerlich findet, und dank dir habe ich angefangen, Freund*innen zu sagen. Dank dir hab ich meine besten Freund*innen kennengelernt.

    Leute sagen, ich sehe jetzt nach dir aus, meine Haare waren noch nie so blond, meine Arme nie so tätowiert und meine Nägel nie zuvor die unlackierten in meinen Beziehungen.

    Ich bin jetzt eine Leipzigerin. Und ich liebe dich immer noch und werde es immer tun.

    Aber ich muss gehen, weil Liebe nicht reicht, um glücklich zu werden.

    Wollt dir nur noch sagen, wie schön es mit dir war. Und dass ich Cigarettes After Sex – Apocalypse hören werde beim Wegfahren und heulen wie eine Wahnsinnige.

    Danke für alles.

    Fotos: Leoni Habedank

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