Sprachgewalt
Wissen ist Macht; wie du es ausdrücken kannst auch. Kolumnistin Adefunmi hinterfragt Sprachfähigkeiten und die Privilegien, die damit einhergehen.
Vor kurzem war ich bei einem Workshopwochenende. Es ging um Dialog. Zu Beginn sollte ich erklären, welche Erfahrungen mich dorthin gebracht haben. Wie gewohnt trug ich meine Gedanken nach außen. Erst als ich fertig war, bemerkte ich, dass ich sehr schnell und in verschachtelten Sätzen gesprochen habe. Für meine Gegenüber ist Deutsch nicht die Muttersprache, tatsächlich lebt sie erst seit wenigen Jahren in Deutschland. Da wurde mir bewusst, wie akademisiert und privilegiert meine Sprache ist. In den darauffolgenden Tagen übte ich mich immer wieder in simpler Sprache und erkannte, wie schwer mir das fällt.
In den folgenden Tagen reflektierte ich: Deutsch sprechen zu können, hat in diesem Land einen besonderen Stellenwert. Die eigenen Fähigkeiten bestimmen gesellschaftliche Teilhabe und mit der Art des Sprechens gehen unterschiedliche Privilegien einher.
„Lern erst mal richtig Deutsch!“, heißt es in manchen Kommentarspalten. Die Aussage mag sich auf einen Das-dass-Fehler beziehen oder auf eine Person, deren Fehler in Grammatik und Rechtschreibung Vorurteile auslösen. In manchen Fällen kann man es als kleinlich beschreiben. In anderen schlicht als ausgrenzend.
Teilhabe am Diskurs sollte niemandem abgesprochen werden, nur weil der deutsche Wortschatz noch erweiterbar ist oder nicht durchakademisiert. Die eigene Meinung ausdrücken zu dürfen und der Wert, den sie hat, ist nicht an grammatikalische Satzstrukturen gebunden.
Im „erst mal“ liegt die Implikation (Folgerung), man dürfe am Gespräch sonst nicht teilnehmen. Was „richtig“ ist, bestimmt die belehrende Person. So verschließt sich der Diskurs zum Beispiel gegenüber Menschen, die aus einem anderen Land nach Deutschland kamen. Die Debatte verpasst Wissen und kluge Perspektiven. Als könnte gesellschaftlich ein hochwertiger Diskurs nur in akademischer Sprache stattfinden.
Unterbewusst erkannte ich die Macht von Sprache schon früh in meinem Leben. Ich nutzte die deutsche Sprache als wertvolles Werkzeug. Fast schon als Waffe zückte ich sie, wenn ich neue Menschen kennenlernte. Dann brachen Wortschwalle aus mir, angereichert mit imposanten Adjektiven von agil über lethargisch bis rudimentär. Ich machte die Erfahrung, dass die Frage, die meinem Gegenüber manchmal schon beim ersten Ansehen auf den Lippen liegt: „Und woher kommen Sie ursprünglich?“, häufiger ausblieb, wenn ich möglichst hochdeutsch und gebildet klang. Seltener hielten mich Fremde für eine Ausländerin. Davor hatte ich auch Angst. Diese Assoziation bedeutet oft noch mehr Vorurteile und Diskriminierung. Umso klarer meine Sprachgewandtheit zum Ausdruck kam, umso größer die gesellschaftliche Anerkennung und umso mehr Ansehen und Chancen erhielt ich. Wirke ich intellektuell, kann ich etwas beitragen und anscheinend bin ich dadurch in einer Leistungsgesellschaft mehr wert.
Ich erkannte, dass Sprachfähigkeiten für Diskriminierung verschiedenster Art eine große Rolle spielen. Nach den äußeren Merkmalen sind sie oft der zweite Zugangspunkt, um Menschen in Schubladen zu stecken.
In meinem Fall bricht meine Sprachsicherheit etwas auf und sorgt für Irritation. Noch unglaublicher scheint es, wenn eine Schwarze Person schwäbisch schwätzt oder eine asiatisch gelesene Person säggselt, nu.
Die Bedeutung des Dialekts ändert sich wiederum, wenn eine weiße Person ihn spricht. Ihr wird schnell zugesprochen, ungebildet zu sein oder mit einer politischen Linie, der konservativen oder rechten, verbunden zu sein. Tatsächlich ist Bildungssprache an Gymnasien und Hochschulen in Texten und Diskursen sehr präsent. Das Problem liegt aber nicht darin, welchen Abschluss man hat, sondern darin, wie dieser gesellschaftlich beurteilt und anerkannt wird. Den unterschiedlichen Abschlüssen folgen verschiedene demokratische Teilhabe und sprachliche Repräsentation. Neben Dialekten gibt es etliche Beispiele, die einem*r unterschiedlich ausgelegt werden. Zum Beispiel die Vermischung von Sprachen, vor allem mit den Sprachen, die gesellschaftlich weniger anerkannt sind, wie Arabisch oder Türkisch, das Nutzen von Jugendwörtern, veralteten Worten oder Stottern.
Eigentlich keine große Erkenntnis, dass sich die verschiedensten Diskriminierungsformen von Rassismus, Xenophobie, Klassismus, Ableismus, (Hetero-)Sexismus bis hin zu Altersdiskriminierung auch über die Art, wie wir sprechen, ableiten. Ganz unabhängig von dem Inhalt des Gesagten.
Aber ich habe das lange nicht reflektiert. Ich habe Sprache genutzt, um meine Bildung auszudrücken, meine Intelligenz. Darin konnte ich Anerkennung finden. Glücklicherweise bin ich familiär unter Umständen aufgewachsen, die meine Liebe zu Büchern, Schreiben und Wortspielereien gefördert haben. Dafür bin ich dankbar. Ich erkenne, welch wertvolles Privileg ich besitze: Andere hören mir eher zu, wenn ich meine Gedanken teile. Ich musste nicht darüber nachdenken, dass Personen in Autoritätspositionen mich auf Grund des Klangs meiner Sprache nicht ernst nehmen würden. Und es ist vor allem ein Privileg, weil meine Rassismus Erfahrungen nicht durch meine Sprache verstärkt werden. Ja, sogar abgeschwächt werden. Aber auch meine Sprache ist nicht allen gleichwertig zugänglich. Das habe ich während des Workshop Wochenendes festgestellt.
Im Dialog und bei demokratischer Teilhabe sollte Sprache möglichst diskriminierungsfrei sein. Das ergibt sich durch die Worte, die wir nutzen, und die, die wir ausschließen sollten. Aber es gehört noch viel mehr dazu. Es ist der Zugang von Politik und Wissen auch in leichter Sprache. Es ist unsere Haltung und ein vorweggehender Schubladencheck, mit dem wir in jeden Dialog eintreten sollten. Es ist die Repräsentation von Geschichten und Personen in Talkshows und Diskursen.
Für mich persönlich bedeutet das: weiter üben. Meine Sätze sind oft noch zu lang. Im Schreiben von (journalistischen) Texten sollten meine Erzählungen, Beschreibungen und meine Gedankenwelt möglichst zugänglich sein. Klar, es gibt fabelhafte Worte, die ein Gefühl oder einen Gedanken perfekt beschreiben, und es macht Spaß, knifflige Wortgefechtsschlösser zu bauen. Aber ich möchte gesellschaftliche Teilhabe fördern. Und die beginnt bei sprachlicher Teilhabe.
_____
*Die Autorin schreibt weiß klein und kursiv, um seinen Charakter als Konstruktion statt physischer Tatsache zu markieren. Der Begriff beschreibt eine soziale Position und Privilegien. Wer dazu gehört unterscheidet sich abhängig vom gesellschaftlichen Kontext. Außerdem schreibt sie Schwarz groß im Sinne der politischen Selbstbezeichnung, die ebenfalls eine gesellschaftliche Position markiert.
Titelbild: Freepik
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.