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  • Wieso hast du mir das nicht gleich gesagt?

    Kolumnist Daniel hat ein Problem mit Ironie. Und hinterfragt sich unfreiwillig, indem er darüber genauer nachdenkt.

    Ich liebe Vielschichtigkeit. Aber ich mag keine Ironie. Weil ich sie oft nicht verstehe. Dafür entschuldige ich mich nicht. Ironie ist die lauwarmste Art der Kommunikation. Klare Aussagen wie letztere bewirken genau das, was Ironie sich verbietet: die direkte Konfrontation. Ironie umschifft die tatsächliche Problematik, ohne sie zu verfehlen. Moment mal, kann das nicht praktisch sein?

    Der russische Autor Michail Bulgakow war ein bekannter Ironiker. In „Der Meister und Margarita“ nimmt er die Moskauer Gesellschaft zur Zeit Stalins auf die Schippe. Damals war jede direkte Kritik lebensgefährlich.

    Kolumnist Daniel hinter einer Zeitung

    Hinter Ironie kann man sich verstecken, wie hinter einer Zeitung sieht schlau aus, aber verhindert den Dialog. Foto: privat.

    Vielleicht ist Ironie nur in der Sphäre der zwischenmenschlichen Problemlösung fehl am Platz, während sie bei der Kritik gesellschaftlicher Problemen hilfreich sein kann. Bei Konflikten mit Partner*innen und Freund*innen ist sie passiv-aggressiv und schafft Verwirrung, beim Aufzeigen allgemeinmenschlicher Fehlverhaltensweisen kann sie ein glänzendes Darstellungsinstrument sein, wenn sie andere Formen nicht verdrängt. Auch Pathos kann zum Nachdenken anregen – emotional bewegt werden, sich identifizieren und dadurch eine neue Sicht auf die Welt entwickeln, so funktioniert die Katharsis im Theater. Ironie wirkt eher durch die Distanz, die sie erzeugt. Beides hat seine Berechtigung.

    Ich hab auf einem Poetryslam mal eine Geschichte vorgelesen – ein Plädoyer für Polyamorie, obwohl meine Meinung etwas differenzierter ist. Ich wollte mich gezielt in die andere Position hineinversetzen. Feedback einer anderen Lesenden: „Du packst aber ganz schön die Moralkeule aus.“ In dieses Extrem will ich nicht verfallen, aber ich liebe Klarheit. Die Bandbreite an Eindrücken, mit denen mich mein Bewusstsein überflutet, nötigt mich zu einer klaren Ausdrucksweise. Ich weiß, dass mir das nicht immer gelingt – allein wie oft ich diesen Text umgestellt und geändert habe… Soll ich meine Sprache durch Ironie verkomplizieren? Vielleicht ist Letztere ja wie eine Zutat, die nicht zu allen Gerichten passt. Oder ein Antibiotikum, das man nur in Notfällen verwendet. Oder die Ornamentik eines Jugendstilhauses, die bei einem spritsparenden Fahrzeug die Aerodynamik zerstören würde – also etwas Gutes, das in der richtigen Situation eine Funktion hat. Vielleicht habe ich keine Schwierigkeiten mit Ironie, sondern damit, dass Leute nicht immer wissen, wie man sie verwendet. Das schließt mich mit ein. Kann ja nicht jede*r Köchin*Koch, Ärztin*Arzt, Architekt*in oder Autodesigner*in sein.

    Ich lache gern und viel. Aber mein Humor ist sehr einfach gestrickt. Ich mag lustig verstellte Stimmen und Videos von Katzen, die seltsame Dinge tun und dabei scheitern, wie wir Menschen halt. Meine Lieblingskomödie ist „Das Leben des Brian“. Man kann den Film zum Beispiel als Satire auf religiösen Wahn verstehen oder als Karikierung zwischenmenschlicher Verhaltensweisen. Uups, ich mag Ironie doch – wenn sie Tiefe hat. Wenn sie die Realität verdeutlicht, statt sie zu verstellen.

    Mein Vater hat mir vor einiger Zeit eine Geschichte erzählt. Seine Eltern kamen als türkische Gastarbeiter*innen in den Sechzigern nach Deutschland. Eine ältere Frau aus seiner Familie sah in dieser Zeit zum ersten Mal einen Film im Fernsehen. Sie weinte, weil sie die gespielten Szenen für real hielt und wurde stinksauer, als ihre jüngeren Verwandten sie über die Situation aufklärten. Ihre Worte: „Wieso habt ihr mir das nicht gleich gesagt, ihr …“.

    Wieso hast du mir das nicht gleich gesagt? Diese Frage muss sich jede Person, die gern ironisch ist, von mir gefallen lassen. Und ich hoffe, die Erklärung ist so gut wie bei Bulgakow oder Monty Python.

     

    Foto: Pinterest

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