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  • „Ich war sofort begeistert von der afro-deutschen Geschichte“

    Auf dem DOK-Leipzig feierte der Dokumentarfilm „The Homes We Carry“ Weltpremiere. luhze hat mit der Regisseurin des Films, Brenda Akele Jorde, gesprochen.

    Der 89-minütige Film aus dem Jahr 2022 beginnt mit der Geschichte von Eulidio, der als Vertragsarbeiter aus Mosambik in die DDR kam. Im Zuge der Wende wird seine dort gegründete Familie auseinandergerissen, Tochter Sarah bleibt mit Mutter Ingrid in Deutschland, während er zurück nach Mosambik muss. Als erwachsene Frau beschließt Sarah, längere Zeit in Mosambik zu verbringen. Auf dem Rückflug ist sie schwanger. Der Dokumentarfilm widmet sich Sarahs Versuch, eine Verbindung zu ihrer „zweiten Heimat“ aufzubauen und fortzuführen.

    Im Interview mit luhze-Redakteur Hannes Ulrich erzählt Regisseurin Brenda Akele Jorde von den Dreharbeiten und wie die Idee für den Film entstand, aber auch, wie persönlich das Thema für sie ist.

    Regisseurin Brenda Akele Jorde im Interview. Foto: David-Simon Groß

    Wie war das für dich, deinen Film das erste Mal auf einer großen Leinwand zu sehen?

    Es war ein richtig krasses Gefühl. Als das erste Mal die Musik ertönte, hatte ich Tränen in den Augen. Denn wenn man fast vier Jahre an dem Film arbeitet, ist es wie dein eigenes Baby, was in die Welt geht.

    Wie kamst du dazu, dass dein erster Film ein Dokumentarfilm wird?

    Ich habe Dokumentarfilm im Master studiert und „The Homes We Carry“ ist mein Abschlussfilm. Damals habe ich mich für Dokumentarfilm entscheiden, weil ich gerne reise, mit Menschen in Kontakt trete und deren Geschichten dann teilen möchte.

    Man bekommt beim Film das Gefühl, dass das Thema dir persönlich sehr wichtig ist. Sind Trennung und Wiedervereinigung oder auch die eigenen Wurzeln präsente Materien in deinem Leben?

    Explizit auf das Thema vom Film bin ich durch den Kameramann gestoßen und war sofort begeistert von der afro-deutschen Geschichte, von der ich auch noch nie gehört hatte. Auch den Hintergrund mit den mosambikanischen Vertragsarbeitern in der DDR fand ich spannend. Ich bin selbst deutsch-ghanaischer Herkunft und auch ohne Vater aufgewachsen. Sehr viel, was Sarah in ihrer Kindheit gespürt hat, kenne ich daher auch selbst. Wie zum Beispiel mit dem Vater zu telefonieren und eigentlich gar nicht zu wissen, wer das ist. Und dann natürlich, nach Ghana zu gehen und sich trotzdem wie zu Hause zu fühlen, weil man mit offenen Armen empfangen wird. Während des Filmemachens ist Sarah und mir aufgefallen, dass es einfach schön ist und man stolz darauf sein kann, zwei Orte zu haben, wo man sich wie zu Hause fühlt.

    Ist der Titel „The Homes we Carry“ ein Fingerzeig auf dieses Thema?

    Genau, es geht darum, dass man auch zwei Orte seine Heimat nennen kann. Deshalb haben wir bewusst die Mehrzahl „Homes“ gewählt. Und genau dieses Gefühl und dieses Bewusstsein auf seine Herkunft trägt man sich drin.

    Wie kam der Kontakt mit Sarah zustande?

    Unser Kameramann hat in Mosambik gelebt und ist dort auf Sarah und ihre Geschichte gestoßen. Als sie sich wieder in Berlin getroffen haben, hat er gesehen, dass sie schwanger war. Ihm ist aufgefallen, dass sich die Geschichte wiederholt mit der Tochter, die den Vater nicht sehen kann, wie damals bei den Vertragsarbeitern. Das war der Moment, in dem die Filmidee entstand.

    Sie war also sofort dabei?

    Ich glaube, anfangs hat sie nicht erwartet, dass das Projekt so groß wird. Aber sie hat sich darauf eingelassen. Sie ist auch sehr stolz, das gemacht zu haben.

    Und ihre Familie? Die Kamera lief schließlich auch bei sehr intimen Momenten.

    Wir haben nicht immer die Kamera draufgehalten. Es gab Tage, an denen Sarah alleine sein wollte, um zum Beispiel mit Eduardo, dem Vater ihres Kindes, zu reden. Das ist natürlich schade für uns, weil wir dachten, das ist der wichtige Moment für den Film. Das müssen wir akzeptieren. Das erste Widersehen mit ihrem Vater haben wir auch nicht gefilmt. Wir haben uns aus ethischen Gründen dagegen entschieden, da wir der Person erstmal die Hand schütteln wollten. Das sind Opfer, die man für das Wohlbefinden der Leute erbringen muss. Aber insgesamt waren alle Menschen begeistert, als sie gehört haben, dass wir einen Dokumentarfilm drehen, und fanden es aufregend.

    Im Film sind die „Madgermanes“ wie Eulidio besonders wichtig.

    Das sind mosambikanische Vertragsarbeiter, denen in der DDR eine Berufsausbildung versprochen wurde. Es gab zirka 20.000 von ihnen. In Wirklichkeit haben sie eher den Arbeitskräftemangel in der DDR ausgefüllt. Der Protagonist Eulidio aus meinem Film beispielsweise arbeitete in einem Kernkraftwerk, andere in der Textilindustrie. Das sind alles Industrieanlagen, die in Mosambik bis heute nicht existieren. Die Menschen haben nichts gelernt, was ihnen später etwas gebracht hat, für die DDR waren sie aber billige Arbeitskräfte. Hinzu kommt, dass die Menschen, die nach dem Fall der Mauer zurück nach Mosambik kamen, ihren Lohn nie erhalten haben. Deshalb demonstrieren sie noch heute, 30 Jahre später.

    Habt ihr vor, den Film in Mosambik zu zeigen?

    Wir haben in erster Linie vor, den Film im Osten Deutschlands zu zeigen, da das Thema im Gebiet der ehemaligen DDR präsenter ist als woanders. Vor allem aber Kinder von Vertragsarbeitern sollen den Film sehen, da sie am glücklichsten sind, dass ihre Geschichte endlich erzählt wird. Und natürlich sollen die „Madgermanes“ in Mosambik den Film schauen können.

     

    Foto: Dok Leipzig

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