Fußball, Vernunft und Weihnachtsstimmung
Das Verhältnis zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar ist für Kolumnist Eric ambivalent. Warum es ihm schwerfällt, sich mit diesem Turnier anzufreunden.
Zum Zeitpunkt, an dem diese Zeilen veröffentlicht werden, sind es genau sieben Tage bis zur Fußball-Weltmeisterschaft der Männer. Eine Zeit, die für mich früher Ekstase pur bedeutete. Bei jeder Sammelaktion – ob Panini, Rewe oder Hanuta – war ich dabei. Sonderhefte wurden von vorne bis hinten (oft doppelt und dreifach) gelesen. Die Namen der Spieler aus den unterschiedlichen Nationen habe ich auswendiggelernt und persönliche Prognosen aufgestellt. Auf dem Schulhof war die „Mini-WM“ die Lieblingsbeschäftigung von meinen Freunden und mir. Klar, die Fußball-Playlist lief in Dauerschleife. Und über jede Nutella-Werbung wurde sich sowieso gefreut, wenn die Profis mit ihren genialen Schauspielkünsten in die Kameras grinsten. Fußballfieber für Fortgeschrittene nenne ich das.
Doch wir befinden uns im Jahr 2022 und die Weltmeisterschaft wird in Katar ausgetragen. Eine Weltmeisterschaft, die bei mir ähnliche Emotionen wie der Anblick von Heidi Klum in einem Halloween-Kostüm auslöst: zum Schreien und Wegrennen, doch hinschauen muss ich trotzdem.
Warum? Ein Großevent in einem Wüstenstaat, dessen klimatische Bedingungen alles andere als zum Profisport einladen, man denke nur an die Leichtathletik-WM 2019, welche ebenfalls in Katar stattfand. Ein Fußballturnier, welches in einem Monat mehr Kohlenstoffdioxid-Emissionen anhäuft als einzelne Staaten in einem ganzen Jahr. Und ja, eine Weltmeisterschaft, welche auf dem Fundament verletzter Menschenrechte baut. Geldgier, Machspiele und viele Tote: Wer sagt, das wird die „beste WM aller Zeiten“ (Gianni Infantino, Präsident der FIFA), hat wohl den Verstand nie kennengelernt. Wenn ich Zeit hätte, würde ich ihn bedauern, doch leider gehört mein Mitgefühl den Menschen, die unter qualvollen Bedingungen dieses Ereignis erst realisieren mussten.
Natürlich gab es in der Vergangenheit schon einige Turniere, die unter fragwürdigen Bedingungen stattfanden. Doch bei kaum einem anderen Sportevent muss man so sehr die Frage nach der Sinnhaftigkeit stellen. Für drei bis vier Milliarden Euro acht (!) Sportstadien für eine einzige Veranstaltung zu errichten, welche also nach dem 18. Dezember praktisch sinnlos sind? Freunde des gesunden Menschenverstands, was bei der Vergabe 2010 alles falsch lief, kann ganze Chroniken füllen.
Es mag sein, dass ich jetzt wie ein kleiner „Fußball-Grinch“ daherkomme. Und vielleicht entwickelt sich ja meine emotionale Verbindung vom – frei nach dem reizenden grünen Wesen – „totalen Ekel-Ekel“ hin zu einer halbwegs positiven Verbindung. Glauben tue ich es jedoch nicht.
Es mag auch ein wenig daran liegen, dass ich dieses Fußballformat immer mit der Sommerzeit verbinde. Als Abschluss einer (hoffentlich) geilen Saison in den Vereinswettbewerben. Die Assoziation einer Weltmeisterschaft mit dem Spätherbst und der schon bald beginnenden Adventszeit kann ich einfach noch nicht herstellen. „Last Christmas“ statt „Sportfreunde Stiller“? Räuchermännchen statt Grill-Geruch? Weihnachtspulli statt Fußballtrikot? Letztlich muss ich wohl alles miteinander verbinden, denn am Ende ist mein Interesse dann doch zu groß.
Man kann die Spielregeln kennen und auch ein bisschen Ahnung von Taktik haben, doch um den Fußball wirklich zu verstehen, muss man wissen, was dieser Sport mit dem Menschen macht und welche positiven Emotionen er auslösen kann. Wenn diese Emotionen fehlen, ist der Fußball noch nicht einmal halb soviel wert. Leider erscheint es mir, als hätten einige Funktionäre in diesem Hamsterrad den Sport nie verstanden.
Selbst bin ich kein Moralprediger, der alles richtig macht. Sonst dürfte ich kein Fußballspiel im Profigeschäft schauen, mir kein Trikot meiner Lieblingsmannschaft (mit bestimmten Sponsoren) mehr holen, nicht endlos Geld in diese Blase hineinpumpen. Ich spreche nicht als Traditionalist, noch als Aktivist. Hier spricht nur ein Fan, welcher mal wieder von seiner großen Liebe, dem Fußball, enttäuscht wurde. Ein Fan, der sich am liebsten von dieser Weltmeisterschaft abwenden würde. Denn Fakt ist: Diese Weltmeisterschaft ist so sexy wie Mister Bean in Unterhosen.
Schauen werde ich sie trotzdem – und ich schäme mich ein wenig dafür.
Fotos: Eric Binnebößel
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