Versnobte Aristokratie trifft auf vulgäre Neureiche
„Die Dollarprinzessin“ ist noch bis Anfang April in der Musikalischen Komödie zu sehen.
Komponiert von Leo Fall mit einem Libretto von Alfred Maria Willner und Fritz Grünbaum, wurde „Die Dollarprinzessin“ erstmals 1907 aufgeführt. Über 100 Jahre später möchte die Oper Leipzig mit der Operette nach eigenen Angaben Leo Fall und sein Schaffen ehren.
Die Protagonistin Alice Coulder lebt mit ihrem Vater als Neureiche den „amerikanischen Traum“ frei nach dem Gebot: je lauter und schriller, desto besser. Zum Spaß und weil man es kann, besteht die gesamt Bedienstetenschaft aus verarmtem europäischen Adel. Als Fredy Wehrburg sich ebenfalls als mittelloser Graf ausgibt und im Hause Coulder anheuert, setzt sich Alice in den Kopf, diesen Fremden zu heiraten. Natürlich nur aus praktischen Gründen. Sie ahnt nicht, dass Fredy das gleiche Ziel verfolgt. Zeitgleich bandelt Alices Cousine Daisy mit dem aristokratischen Reitlehrer Hans Freiherr von Schlick an. Fredys Ex gibt sich währenddessen als russische Gräfin aus, die sich Vater John Coulder als zukünftigen Ehemann ausgesucht hat.
Wie schon an der Handlungsbeschreibung deutlich wird, lebt das Stück von der Chemie seiner Paare. Wenn Alice und Fredy sich auf der Bühne spielerische Wortgefechte liefern, dann erwacht das Stück plötzlich zum Leben. Und auch wenn das zweite Liebespaar des Stückes nicht ganz mit diesem Wettstreit an Koketterie mithalten kann, fehlt es ihnen nicht an Lebendigkeit. Die zwei neu entwickelten Figuren, das aristokratische Butler*innenduo, fügen sich nahtlos in das Figurenorchester ein, obwohl sie in der Originalversion nicht auftauchen. Das sarkastische Gejammere der beiden eröffnet eine kommentierende Metaebene, die dem Stück guttut. Besonders Olga wird für ihre beeindruckende Bühnenpräsenz vom Publikum gefeiert, als wäre sie die Hauptfigur.
Doch das dynamische Spiel der Schauspieler*innen kann nicht darüber hinweghelfen, dass „Die Dollarprinzessin“ nach drei Stunden einen durchwachsenen Eindruck hinterlässt.
Versnobte Aristokratie trifft auf vulgäre Neureiche aus den USA. Diese absurde Gegenüberstellung zweier Stereotypen soll die Grundlage für allen Humor des Stückes bieten. Schwierig wird es nur, wenn diese Stereotypen stellenweise schwammig, und undurchsichtig werden. Ursprünglich verortet im Beginn des 20. Jahrhundert soll über den aussterbenden Adel und geldverrückte US-Amerikaner*innen gelacht werden. Elemente dieser Rollenaufteilung ziehen sich auch kontinuierlich durch das Stück. So mokieren sich die Herzogsbutler*innen über die neuartige Demokratie in den USA während Napoleons Schreckensherrschaft dem europäischem Ex-Adel noch tief in den Knochen steckt. Eine sehr simple Rollenaufteilung, in der das Publikum auch 100 Jahre später noch den Humor findet. Allerdings finden sich auch Spuren einer anderen, neueren Welt auf der Bühne. Angefangen mit den Kostümen bietet sich dem Publikum ein buntes Best-of der Modetrends des letzten Jahrhunderts. Neonlila Tüll, Cowboy-Stiefel, Piloten-Sonnenbrillen und Plateaustilettos im Leopardenmuster lassen rätseln, zu welcher Zeit sich die Figuren auf der Bühne einkleiden. Die Referenzen reichen von Obamas „Yes We Can“ bis zu den gescheiterten Demokratieversuchen in Europa Anfang 1900. Bei einem so großen Zeitraum stellt sich die Frage, über wen hier eigentlich gelacht werden soll. Die Motive der intellektuellen, verklemmten Europäer*innen und der geldbesessenen, lauten Amerikaner*innen sind in gewisser Weise zeitlos, schaffen es aber am Ende nicht, eine Brücke über die Unstimmigkeiten zu bauen. Statt mit dieser veralteten Dichotomie zu spielen, schafft das Stück stellenweise mehr Verwirrung als Unterhaltung. Besonders in einer Operette, die auf eindeutige Klischees baut, kann diese Verwirrung das Stück schwächen.
Aktuell ist das Aufeinandertreffen der „alten und neuen Welt“ nicht. Muss es ja auch gar nicht sein, schließlich ist das Stück nun über 100 Jahre alt. Anlässlich der Wiederaufnahme ins Programm stellt sich allerdings schon die Frage, in welchem Kontext das Stück aufgeführt werden soll. Einen Anlass zur Modernisierung hat wohl auch Matthias Reichwald gesehen, der die Regie führt. 1923 endete das Stück mit der Wiedervereinigung von Alice und Fredy als glückliches Paar. 2022 in einem gloriosen Feuerwerk der vermeintlich feministischen Ermächtigung. Alice braucht keinen Mann. Weder ihren unfähigen Vater, noch ihren besitzergreifenden Auserwählten. In ihrer Selbstbestimmung wird sie vom Ensemble als Heldin und feministische Ikone gefeiert. Es regnet Glitzer, pinke Quarterbacks tanzen um sie herum und eine pastellfarbene Flagge wird geschwenkt. Für eine Geschichte, in der es selbst-proklamiert keine „Moral der Geschichte“ gibt, lässt sich doch schnell erkennen, worauf die angekündigte Modernisierung des Stückes hinausläuft. Alice reiht sich ein in eine Linie voller Hauptfiguren, die im Zuge der Zeitmäßigkeit zu Sternleuchten der Gleichberechtigung werden sollen. Am Ende schafft es das Stück teilweise diesen Sinneswandel zu verkaufen. Zwar deutet sich Alices Emanzipation schon früh im Stück an, allerdings eher durch ihre beherrschende und geldversessene Art als durch ihr Streben nach Gleichberechtigung. Eben diese Figur dann mit Kitsch und Pompösität vom Publikum feiern zu lassen, fühlt sich zu einfach an. Dass diese Farce trotzdem funktioniert, liegt hauptsächlich an der starken Aufführung der Alice. Die Hauptfigur überzeugt mit Charakterstärke, ohne ihre Verletzlichkeit zu verlieren. Allgemein zieht sich diese Form der seichten Kritikversuche mehr aus Pflicht als aus Anlass durch das ganze Stück. Dabei gäbe es so viel Potenzial für Kapitalismuskritik oder Feminismus, bei dem die Hauptfiguren auch unsympathisch enden dürfen. Stellenweise wagt der Text einen Annäherungsversuch, es könnten allerdings noch so viele mehr geben. Statt ein Stück gezeichnet von zynischem Humor und scharfsinnigen Karikaturen zu inszenieren, baut Reichwald auf eher oberflächliche Belächelung. Mit der Folge, dass selbst John Coulder, der Inbegriff der Grausamkeit des Kapitalismus, zu einem mitleidserregenden Vater weichgezeichnet wird. Und mit ihm jeglicher Versuch ernsthaft Kritik zu üben. Zugegeben, der Anspruch an eine Operette im großen Stil Gesellschaftsmissstände aufzuarbeiten, ist vielleicht fehl-platziert. Trotzdem täte es der Operette als Unterhaltungsform unrecht, sie vollständig von einer differenzierten Auseinandersetzung mit ihrer Handlung freizusprechen. Gerade in ihrer pointierten Verwendung von Sarkasmus und Zynismus liegt die Stärke den Finger draufzuhalten ohne anzuklagen. Auf Absurdität hinzuweisen, ohne an ihr zugrunde zu gehen. Als ein Erfolg wird die Aufführung vermutlich trotzdem gewertet werden. Das Publikum schien begeistert und die Folgevorstellungen sind bereits ausverkauft.
Fotos: Tom Schulze
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