This will be our winter
Kolumnist Daniel hat dieses Jahr Lust, eine ungenießbare Jahreszeit, die sich nicht abwenden lässt, so richtig zu feiern.
Nachdem Kolumnistin Isabella vor zwei Wochen darüber geschrieben hat, wie wohltuend das Betrachten der Sternenhimmels sein kann, möchte ich mich einem ähnlichen Thema widmen. Es wird momentan früh dunkel. Viele von uns merken das auch durch die Müdigkeit, die sich häufig schon an Nachmittagen einstellt. Oder an verschlechterter Stimmung bis hin zu depressiven Phasen.
Der letzte Winter war schrecklich. Ich war relativ neu in Leipzig. Wegen Corona gab es nur wenige Möglichkeiten, Menschen kennenzulernen. Und dann diese ewige Dunkelheit. Vor allem, wenn mensch studiert und viel sitzt, drückt die Abwesenheit der Sonne umso schneller auf die Stimmung. Vor dem Studium habe ich mehrere Jahre als Zimmerer auf der Baustelle gearbeitet. Die Winter in dieser Phase habe ich nicht in ganz so negativer Erinnerung. Weil ich mich viel bewegt habe und draußen war.
Ich bin irgendwie davon überzeugt, dass Schönheit wirklich im Auge der*des Betrachtenden liegt. Dass auch banale Dinge schön sein können, wenn ich es schaffe, einen gewissen Bezug zu ihnen herzustellen. Irgendwie habe ich den Vorsatz, im kommenden Winter die Schönheit dieser deprimierenden Jahreszeit zu entdecken. Meist gelingt das nicht, meist ziehen mich wolkige, graue Himmel, Schneeregen und Menschen mit Kapuzen, die durch windige Straßen eilen, ohne sich anzugucken, runter. Und dann diese Kälte… Ich spür meine Hand nicht mehr, kann durchaus sein, dass sie sich in ein Flutschfingereis verwandelt hat.
Trotzdem kann eine Winternacht wunderschön sein. Und zwar auch ohne Weihnachtsmarkt und zehn Glühwein. Zwei Tage vor dem Verfassen dieses Artikels: Ich sitze abends mit einer ausklingenden Erkältung zuhause rum und beschließe nach einem Telefonat mit einem guten Kumpel auf seine Anregung hin, mal eine Runde spazieren zu gehen. Ein paar Minuten später bin ich am Cossi, einer der Vorteile, wenn mensch im sonst eher langweiligen Markkleeberg lebt. Ich höre Musik, lasse meine Gedanken schweifen und mit dem Verlassen meiner Wohnung erweitert sich neben meiner äußeren auch meine innere Perspektive auf das Leben. Ich blicke über den dunklen See und fühle mich… Eins. Mit dem, was ich sehe und es ist so wohltuend, so schön, ich fange an, zu laufen und wie ein kleines Kind auf und ab zu springen und es ist einfach nur schön. Und stockfinster und eigentlich deprimierend. Aber nicht jetzt. Ich will nicht vom Tisch wischen, wie belastend diese Jahreszeit ist. Aber auch Dunkelheit hat irgendwie etwas Schönes. Um aus Benedict Wells Roman „Spinner“ zu zitieren: „Die Nacht ist keine Zeit. Die Nacht ist ein Ort.“ Sie hat eine eigene Atmosphäre, die sich auskosten lässt. Vielleicht sind diese Winterspaziergänge im Dunkeln eine Möglichkeit, genau das zu tun.
Manchmal fasziniert mich die Vorstellung, dass es in sehr nördlich gelegenen Gebieten im Winter fast immer dunkel bleibt. Ich stelle mir dann vor, dass die Menschen aufgrund dieser Tatsache bestimmte Gewohnheiten kultivieren, die sie zuvor nicht hatten: In hell erleuchteten Wohnzimmern zusammensitzen, viel Zeit miteinander verbringen, immer mit Laternen durch die Straßen laufen. Das sind Fantasien, die der harten Realität widersprechen. Aber der Grundgedanke hinter diesen Fantasien ist, dass der Winter auch abseits von Weihnachtsmärkten und Weihnachtsbeleuchtung etwas hat, das sich zu entdecken lohnt. Eine verborgene Schönheit.
Worst Case: Mir geht es ab jetzt einfach schlechter. Selbst das kann paradoxerweise gut sein. Im letzten Winter haben sich einige psychische Beschwerden bei mir dermaßen gesteigert, dass ich endlich eine Therapie begonnen habe. Danke Winter! Danke, dass ich auf die Nase gefallen bin und dabei gemerkt hab, was mir alles wehtut, dass ich mich dabei gespürt hab.
This will become our winter!
Fotos: Daniel Emmerling
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