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  • Was von einer Utopie übrig bleibt

    In Leipzig wird der Wohnraum knapp. Deshalb fördert die Stadt gemeinnützige Wohn- und Bauprojekte. Dabei hört sich die Idee einfach an, ist in der Realität aber meist komplizierter.

    „Wir wollen gemeinschaftlich und solidarisch zusammenwohnen und -leben. Nicht neben- oder gegeneinander, sondern miteinander. Solidarität soll unsere Antwort auf Vereinzelung, Konkurrenz, Unterdrückung und Diskriminierung sein.“ So steht es auf der Webseite der Klinge 10, dem gerade entstehenden Bauprojekt im Leipziger Westen.

    Dieses Konzept hört sich nicht nur gut an, es hat auch die Stadt Leipzig überzeugt. Für die Konzeptvergabe 2017 erhält das Bauprojekt ein Grundstück von der Stadt. Konzeptvergabe, das heißt, die wenigen noch freien Grundstücke in Leipzig werden nicht an den Investor mit dem größten Budget vergeben, sondern nach Inhalt der Konzeptidee der jeweiligen Wohnprojekte. Von solchen kooperativen Bau- und Wohnprojekten erhofft sich die Stadt eine Lösung für knappen Wohnraum, steigende Mieten und wenig freie Flächen. Dafür fanden Ende September die Leipziger Wohnprojekttage statt. Das Ziel: Gruppen unterstützen, die gemeinsam und solidarisch bauen wollen. Auch soll „ein Beratungsangebot zu Fragen um kooperatives Bauen und Wohnen“ geschaffen werden. Nachhaltiges und gemeinnütziges Wohnen tritt an die Stelle von Spekulation und Kapitalinteressen.

    Dabei ist auch das Netzwerk Leipziger Freiheit entstanden. Das Netzwerk verwaltet die dafür vorgesehenen Gelder der Stadt und unterstützt durch Beratungsangebote. Wie die Wohnprojekte aussehen können und wer darin wohnt, kann ganz unterschiedlich sein. „Cluster Wohnungen“ sind zum Beispiel Bauprojekte mit nur wenigen private Räumen, dafür viel Gemeinschaftsplatz. Andere Projekte ähneln eher den klassischen, geschlossenen Wohnungen und haben dafür weniger Gemeinschaftsfläche.

    Wohnen jenseits vom Spekulationsmarkt

    Zurück zur Konzeptvergabe. Im Fall der Klinge 10 pachtet das Bauprojekt das Grundstück auf der Klingenstraße für 99 Jahre in Form eines Erbbaupachtvertrags. Die Idee erklärt Tanja Korzer von der Koordinierungsstelle des Netzwerks Leipziger Freiheit so: „Die Mietpreise sollen nicht wertsteigernd, sondern -erhaltend sein, Wiederverkäufe sind also ausgeschlossen.“ So entziehen sich die Wohn- und Bauprojekte dem Spekulationsmarkt. Das setzt das Bauprojekt Klinge 10 durch den Zusammenschluss mit mehr als 120 selbstorganisierten Mietshäusern in Deutschland um: dem Mietshäuser Syndikat. Laut der Webseite stelle die Mitgliedschaft im Mietshäuser Syndikat die Unverkäuflichkeit des Hauses sicher. Das zeige sich auch an den Mietpreisen, die warm nicht mehr als zehn Euro pro Quadratmeter betragen werden.

    Ökologisches Bauen und ein nachhaltiger Alltag

    Neben stabilen Mietspreisen und dauerhaftem Wohnraum ermöglichen Bauprojekte im Idealfall auch ökologisch nachhaltiges Wohnen. Das „Atelier für Strategische und Nachhaltige Architektur“ (Asuna) unterstützt Bauprojekte bei der Planung und Umsetzung, darunter auch die Klinge 10. Dirk Stenzel von Asuna erklärt, dass vor allem auf Baumaterialien wie Holz gesetzt wird. Dies sei besonders nachhaltig, da es in der Bearbeitung von Rohstoff zu Baustoff wenig Energie benötige. Außerdem sei das Material regional verfügbar und nachwachsend. Strom und Wärmeversorgung sollen darüber hinaus aus erneuerbaren Energieträgern wie Erdwärme oder Solarenergie erzeugt werden.

    Nachhaltigkeit ist auch im alltäglichen Leben der Klinge 10 zentral.  Dazu gehören geteilte Waschmaschinen, Kühlschränke, Werkstätten, Töpfe oder besser: „Es muss nicht jeder einen Akkuschrauber haben, ein Akkuschrauber kann auch für das ganze Haus existieren“, erklärt David, Mitglied des Bauprojekts der Klinge 10. Nachhaltigkeit sei dabei ein Konzept, das über das Ökologische hinaus gehe. Zum Beispiel durch die „Wirkung im Quartier“, wie es das Netzwerk Leipziger Freiheit beschreibt, also durch Gemeinschaftsräume oder Straßenfeste auch dem Stadtteil zugutekommen.

    Utopie für jede*n?

    Fragt man genauer nach, dann werden auch die Grenzen der gelebten Utopie sichtbar. Meist spielt dabei Geld eine Rolle. „Bezahlbar“, sagt Tanja Korzer und malt mit ihren Fingern Anführungszeichen in die Luft. Mittlerweile muss das Netzwerk Leipziger Freiheit darum kämpfen, dass die Einstiegsmieten bei zwölf Euro pro Quadratmeter bleiben. Die ursprüngliche Obergrenze lag mal bei 10,50 Euro. Das sei aber jetzt aufgrund steigender Zinsen und Baukosten unrealistisch geworden, so Tanja Korzer. David betont, dass Mieten unter zehn Euro zwar ein wohnungspolitisches Signal seien, weil sie zeigten, dass sich neu bauen, bezahlbarer Wohnraum und nachhaltige Aspekte nicht ausschließen, für alle reiche das aber trotzdem nicht. Für Personen, die derzeit Hartz4 beziehen, sei die Miete in der Klinge 10 immer noch zu hoch. Um bezahlbaren Wohnraum zu gewährleisten, musste das Bauprojekt nicht nur bei der Energieversorgung und den Baumaterialien Abstriche machen, sondern auch bei der Barrierefreiheit. So existiert zwar ein Aufzugschacht, einen Aufzug kann es aber vorerst nicht geben. „Vielleicht in zehn Jahren”, sagt David und hofft, dass bis dahin die Investitionskosten aufgestockt sind. Barrierearm ist die Klinge 10 aber jetzt schon, so gibt es auf jeder Etage eine barrierefreie Sanitäreinheit.

    Nachhaltig ist nicht gleich nachhaltig

    Bezahlbare Mieten und ein beschränktes Budget – das stellt Grenzen auf, auch für nachhaltiges Bauen. So berichtet Dirk Stenzel, dass kostengünstig und nachhaltig nicht immer zu vereinbaren seien. Im Fall der Klinge 10 heißt das: keine Solaranlagen (vorerst), Beton und weniger Holz und statt nachhaltiger Erdwärme jetzt doch die weniger nachhaltige Fernwärme, um die Kosten zu senken.

    Förderungen für besonders energieeffizientes Bauen können die Baugemeinschaften auch vom Bund bekommen. Für die Förderung durch sogenannte KfW-Kredite, die energieeffizientes Bauen unterstützen sollen, braucht es jedoch eine Zertifizierung. Um die Zertifizierung zu erhalten und gleichzeitig kostengünstig und nachhaltig zu bauen, beurteilt Dirk Stenzel diese erforderlichen Standards jedoch als „sehr idealistisch“. Darüber hinaus seien die Kosten für eine Zertifizierung, um einen Kredit zur Unterstützung zu erhalten, für die meisten sozialen Bauprojekten oft nicht stemmbar. Außerdem kritisiert Tanja Korzer, dass ein ganzheitliches Nachhaltigkeitskonzept über Energieeffizienz hinaus gehe. Soziale Nachhaltigkeit oder ökologische Baumaterialien spielten bei der Vergabe erst mal keine Rolle. Da müsse der Bund nachsteuern. Schließlich kann auch aus nicht nachhaltigem Baumaterial wie Styropor energieeffizient gebaut werden.

    Inflation, steigende Strom- und Gaspreise, Zinsen. Die Mieten steigen. Es muss gebaut werden, wenn Leipzig weiterhin wächst. Doch an wen wird die Stadt freie Flächen in attraktiver Lage, wie den Bayrischen oder den Eutritzscher Bahnhof, verteilen? An Immobilienunternehmen, die den höchsten Preis zahlen? Oder an genossenschaftliche Bauprojekte mit gemeinnützigem Anspruch?

     

    Foto: Thomas Puschmann

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