• Menü
  • Kolumne
  • Kritische Männlichkeit – Risiken und Gefahren pseudo-reflexiver Identitäten

    Kolumnistin Pauline rechnet mit einem Konzept ab, das unter dem Deckmantel der antipatriarchalen Revision eine erstarkte Männlichkeit hervorbringt, die sich sogar als Dating-Strategie nutzen lässt.

    Vor ein paar Monaten habe ich einen cis Mann gedated. War einer von der superduper woken Sorte. Oder? Auffällig war jedenfalls sein überdurchschnittliches Bedürfnis, Dating-Personen die Mitgliedschaft in einer kritischen Männlichkeitsgruppe mitzuteilen. (Diese Erfahrung teile ich jedenfalls mit zwei meiner Freundinnen.) Und da frag ich mich einfach: Gibt’s sonst nichts zu erzählen, oder ist das seine Flirt-Strategie? Es scheint so eine Art New Wokeness unter männlich sozialisierten Personen zu geben. Die New-Woken „fühlen“ sich nicht als Feministen (sondern Profeministen), was es ihnen erlaubt, einfach passiv zu sein. Ziel ist das Output „gute Männlichkeit“, eine gedetoxte/gerehabte, optimierte Version eines Mangelprodukts. Eine kapitalträchtige (moderne) Männlichkeit. Oder wie ich es wahrnehme: eine wiedererstarkte Männlichkeit. „Weil du dich verletzlich machst, bist du ein gutes Subjekt Mann!“ Oder: „Richtig stark, dass du vor deinen Freund*innen weinen kannst. Respekt!“ In patriarchaler Manier bin ich misstrauisch und unterstelle, dass die exklusiv cis männlichen Räume die hegemoniale, das heißt machtvolle Subjektivität schlicht bestätigt.1 Wir gehen der New Wokeness dermaßen auf dem Leim und übersehen dabei, dass sich das Patriarchat nicht in Auflösung befindet, was maßgeblich mit dem fehlenden politischen AKTIVismus zu tun hat, den die New Wokeness schlicht eingestellt hat.

    Ich wurde einmal mit der Bitte um produktives Feedback in eine kritische und antipatriarchale (Anmerkung: das ist deren Selbstbezeichnung) Männlichkeitsgruppe eingeladen. Auch hier stellte ich ihnen die Frage der Motivation: Geht es euch um Selbstoptimierung innerhalb profeministischer Anforderungen linker Strukturen – oder um einen wirklich antipatriarchalen Kampf? Heraus kam, ihre größte Angst sei, gecancelt zu werden, wenn sie sich profeministisch-aktivistisch engagieren. Gecancelt. Wow. Mir wurde klar, genderspezifische Sozialisation bringt genderspezifische Ängste hervor: Ich habe eine berechtigte Angst2 vor sexualisierter Gewalt, andere vor negativem Feedback. Ich empfinde es als echt schmerzhaft, immer wieder darauf beharren zu müssen, dass diese offene Flanke schmerzt. Was für ein Armutszeugnis einer Gesellschaft, Personen für ihre Wunden zu ächten, anstatt ihre Aggressor*innen zu adressieren. Wieso bieten wir den Gewinner*innen eine Bühne für ihren Schmerz? Warum verteidigen wir Personen, die einen an sie adressierten Hashtag MeToo bekommen, anstatt uns gemeinschaftlich mit der Frage auseinanderzusetzen, was die Legitimation dieses massenhaften Hashtags ist? Warum reden wir über eine vermeintliche „Cancel Culture“, anstatt über die Personen oder Themen, die gecancelt werden?

    Ja, viele Probleme haben strukturelle Ursachen und diese sollten kollektiv besprochen werden – aber es sollte doch nicht darum gehen, eine in irgendeiner Form „gesundete“ Männlichkeit zu resozialisieren. Es sollte nicht okay sein, dass eine kritische eine per se gute (oder sexy), ja, kapitalträchtige Männlichkeit ist. Das erinnert mich wirklich zu arg an meine Oma, die ihren Mann, meinen lieben Opi, einen fortschrittlichen Mann nannte, weil er ihr erlaubte, Auto zu fahren. Also dafür gibt’s echt keinen Fleiß-Sticker in’s Feminismus-Hausaufgabenheft. Opa nicht, und random linkem cis Typen auch nicht. Wie wär’s mal mit Demut?!

    Dass die cis männliche Auseinandersetzung mit Gender (vor allem mit ihrem eigenen) eine so dermaßen falsche Abzweigung nimmt, hat, so könnte man sagen, Tradition, seitdem es (pro-)feministische Männergruppen gibt, also seit über 50 Jahren. Und immer war die intensionale Reflexion verbunden mit Regression. Mythopoetische Männergruppen, die eine archetypische Vorstellung des Mannes als Krieger propagieren, Männerrechtler*innen, die sich vom Patriarchat benachteiligt fühlen und sich spezielle Rechte (also Vorteile?) für cis Männer wünschen, Antigenderist*innen, die Gender- und Queer Studies und deren wissenschaftliche Ziele und Erfolge als Ideologie brandmarken, Incels, die sich aufgrund genderemanzipatorischer Bestrebungen in einem unfreiwilligen Zölibat zu befinden glauben… Nicht all diese Gruppen sind aus profeministischen Bestrebungen erwachsen, aber sie eint ein relationaler Bezug zum Feminismus. Sie sind antifeministisch. Sie nehmen in Beschlag, was ihnen vermeintlich abhandenkommen könnte. Sie lechzen nach Konformismus (also glaube ich, was weiß ich schon über ein Incel-Hirn?). Und sie alle reflektieren nicht die Heteronormativität, die strukturelle Ebene einer normativen Zweigeschlechtlichkeit, die hierarchisch zueinander konstruiert und sozial gelebt wird, wobei Heterosexualität als Strukturübung des Ganzen fungiert.

    Es ekelt mich an, dass wir über Vorteile genderegalitärer3 Kämpfe für cis Männer sprechen. Junge, die Rechnung geht nicht auf: Thomas hat fünf Äpfel, Kim einen. Nun sollen beide gleich viele Äpfel besitzen. Wie viele muss Thomas abgeben? Es kann in diesen Kämpfen nicht um patriarchales Kapital gehen. Wertigkeiten müssen sich wandeln. Thomas muss, wenn er schon einen Mehrwert haben will, verstehen, dass Gleichheit einen hat. Der britische Autor und viel zitierte random linke cis Mann Jack Urwin hat ein ganzes Buch dazu geschrieben, welche Vorteile es hat, als Mann Feminist zu sein und seine Männlichkeit zu überdenken. In sein letztes Kapitel „Was haben wir davon?“4 leitet er mit den Worten ein: „Gendergleichheit wird oft im Zusammenhang damit diskutiert, was sie für Frauen bringt […] Doch […] brauchen manche Männer einen besonderen Anreiz, um etwas an ihrem Verhalten zu ändern, und das ist schon in Ordnung, ich verstehe das, sich selbst stets der Nächste und so weiter.“5 Also ehrlich gesagt, nein, ich versteh das nicht! Es ist mir wirklich unangenehm, Jack Urwin supportende Stimmen wie Laury Penny zu hören, die sein Werk als nicht einmal-sexistisches Buch, auf das die Welt gewartet hat6 bejubeln. Also meiner Meinung nach ist das Buch sexistisch und ich habe darauf nicht gewartet. Im Gegenteil: Dass es Anreize braucht, gegen patriarchale Strukturen zu sein, zeigt nur die Ruhe und Gelassenheit, mit welcher massenhaft Profiteur*innen des Patriarchats kritische Reflexionsprozesse in Gang setzen. Ganz nach dem Motto Schauen wir mal, vielleicht reflektier ich ein bisschen rum, aber hab auch noch andere Hobbys . Und wir sollen dann so lange einfach still warten und hoffen? Und Thomas trösten wegen canceln und so. Jaja.

    Warum ich mit dem pseudokritischen Aufreißer begonnen habe? Weil das so ziemlich das Misogynste ist, was mir lange untergekommen ist. Es schmerzt mich, dass cis männlicher Profeminismus kapitalträchtig für Personen ist, die davon nicht profitieren sollten. Den vermeintlich eigenen Schmerz intensional zu nutzen, um Nähe und Zuneigung herzustellen, da seh ich nur den Wolf im Schafspelz. Wobei die manipulative Macke und das hegemonial Männliche schlicht ein Kontinuum darstellt.

    Pick-Up-Artist, so nennt sich eine überwiegend cis männliche Online-Community, die sich vor allem vernetzt, um Tipps zum sexuellen „Erfolg“ auszutauschen Dabei attestiert der Soziologe Rolf Pohl den Artists mehr als einen situativen Ego-Push. Vielmehr geht es ihnen um männliche Herrschaft.7 Der französische Philosoph Pierre Bourdieu sieht im männlichen Habitus eine Lust, die sich darin ausdrückt, zu dominieren. Nicht einmal die Person selbst, sondern die Art und Weise der Dominanz gilt als Beweis der eigenen Männlichkeit, als Trophäe der erfolgreichen Dominanz.8 Aber Männlichkeit konstituiert sich nicht nur anhand der Dominanz über FLINTA. Hegel würde ergänzen: Cis Männer brauchen zudem den Subjekt-Status der anderen cis Männer, um sich ihrer selbst zu versichern, sie brauchen also deren Macht-Status (in Abgrenzung und in gemeinsamer Dominanz über nicht männliche Objekte). Der Vergleich, kritische Männlichkeit als (Bed-)Door-Opener zu nutzen mit Pick-Up-Artists mag im ersten Moment brutal anmuten, sind Letztere doch offen manipulativ, sexistisch und misogyn. Für mich fühlt es sich allerdings nicht großartig anders an. Es ist und bleibt in Inhalt und Wirkung gleich.

    Auf was ich hinaus will, ist eben der patriarchale kapitalistische Hirn-Knoten, der vielleicht gar keiner ist. Der Knoten stellt sich immer an der Stelle ein, wenn ich mich frage: Warum spielen wir da mit? Was haben wir davon? Und hier sollten wir, die wir wirklich das Patriarchat abschaffen wollen, nicht bei den Gegner*innen anfangen, den Knoten zu entwirren, sondern uns in den Mittelpunkt stellen. Gewinner*innen wollen keine Knoten lösen, nicht das Spiel neu erfinden – auch wenn sie sich dem Fair-Play verschrieben haben. Was fair ist und was nicht, diese Regeln haben sie aufgestellt. Ich will allen (pro-)feministischen Personen und Allys, die keine Angst haben, gesellschaftliche Institutionen (wie Männlichkeit) radikal in Frage zu stellen, sagen: Es ist eure Wut, euer Groll, der mir jeden Tag Kraft gibt. Die Legitimität der Wut ist unser Motor. Wir sollten sie nach außen richten. Und damit meine ich nicht zwingend, aggressiv um uns zu schlagen. Unsere Wut ist keine patriarchale. Es war die Psychoanalytikerin Jessica Benjamin, die männliche Subjektwerdung als höchst fragil beschrieb: Du darfst dich nicht mit deiner Mutter identifizieren. Auf gar keinen Fall. Also spaltest du vorsichtshalber gleich alles nicht eindeutig Männliche von dir ab, wandelst es in einen enormen Panzer, ein patriarchales Kleid, hart wie eine Rüstung, bis du selbst irgendwann nicht mehr weißt, was hinter der Härte steckt, was du darunter trägst.9 Männliche Wut ist eine, die erwartet wird, eine Aggression, die hegemonial ist.10 Sie selbst ist der Panzer. Die Abspaltung.

    Kritische Männlichkeit sollte sich deshalb als ein politischer Aktivismus verstehen, der sich nicht um männliche Subjekte dreht, sondern eben genau nicht. Es sollte um Feminismus gehen, um Nicht-Männlichkeit, um Nicht-Gender. Such nicht deine verletzliche Seite, kümmere dich um die Verletzungen deiner Freund*innen, die, weil das Patriarchat sie nicht bevorzugt, gelitten haben. Leiden. Und immer noch denken, ihre Wut wäre illegitim, ihre Narben nicht pflegen, weiter machen, weil sie müssen. Weil sie sonst zerbrechen, zerschellen, zerbersten. Halte ihre Wut, trag sie, lieb sie für diese Wut. Denn Wut, Trauer und Schmerz sind legitim, so legitim. Frag dich, warum dich die Wut abstößt. Warum du die Aufmerksamkeit, die ihre Schmerzen auf sich ziehen, für dich haben willst, wie ein*e eifersüchtige*r kleine*r Futterneider*in.

    Unsere Wut ist eine Antwort, eine Offenheit für Utopien. Sie kann reagieren, sie ist zur Selbstreflexion fähig und sie kann fühlen – sich und andere. Wenn wir wollen. Unsere ganz eigene Wut und unsere Solidarität zueinander sollte der Konsens feministischer Kämpfe sein – und solange Männlichkeit „kritisierende“ Personen diesen Punkt nicht verstanden, unseren Schmerz nicht gefühlt haben, sehe ich keinerlei Sinn oder Mehrwert dieser Personen für feministische Kämpfe.

     

    1 Jessica Benjamin. 2015: Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht: 44 ff.
    2 Laut einer Studie der European Union Agency for Fundamental Rights aus dem Jahr 2014 hat jede dritte Frau über 15 Jahre in Europa schon einmal sexualisierte und/oder körperliche Gewalt erleben müssen.
    3 Der Duden schreibt: Egalität = Gleichheit von Personen in Bezug auf ihre Rechte.
    4 Urwin, Jack. 2016: Boys don’t cry. Identität, Gefühl und Männlichkeit. Hamburg. Edition Nautilus: 217
    5 Ebd.
    6 Ebd.
    7 Vgl. Rolf Pohl. Vortrag „Verunsichert euch“ 2019.
    8 Vgl. ebd.
    9 Vgl. Benjamin. 2015: 100.
    10 Vgl. Pohl. 2019: 51 f.

    Foto: Mim Schneider

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    „Wie geil sind bitte FLINTA*?“

    Der feministische Barabend Vomens Bar im Leipziger Osten startete vor zwei Jahren coronabedingt einen Podcast. luhze-Redakteurin Leonie Beer sprach mit Moderatorin Pauline über das Projekt.

    Interview Kultur Leipzig | 13. Juni 2022

    Mit dem Patriarchat in jedem Raum

    Kolumnistin Sophie besucht ein Seminar, in dem es um die Frage der post-feministischen Gesellschaft geht. Doch auch dort treten patriarchalische Verhaltensweisen auf.

    Kolumne | 29. November 2020