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  • „Es geht nicht ums Kopftuch“

    luhze-Autorin Sarah hat mit der Aktivistin Arezoo Mohadjeri über die Proteste im Iran und Widerstand in Deutschland gesprochen.

    „Jin, Jîyan, Azadî“ – „Frau, Leben, Freiheit“, rufen nicht nur Menschen im Iran, sondern auch auf den Straßen Leipzigs. Eine Person, die auf verschiedenen Kundgebungen ihre Finger mit im Spiel hat, ist Arezoo Mohadjeri (23). Die Ergotherapeutin und Sprach- und Kulturmittlerin ist Mitte September nach fünf Jahren zum ersten Mal wieder in den Iran gereist. Dort hat sie Freund*innen und Familie besucht und war in den Städten Shiraz, Kerman, Yazd, Teheran sowie auf der Insel Hormuz unterwegs. Der Tag von Arezoos Ankunft im Land war der, an dem die iranische Sittenpolizei Jîna Amini ermordet hat – der Funke, der die bis jetzt andauernden Proteste entflammte. luhze-Autorin Sarah El Sheimy hat mit ihr über die Situation im Iran und ihre politische Arbeit gesprochen.

    luhze: Im November haben drei Kundgebungen in Leipzig ihre Solidarität mit dem Kampf im Iran bekundet. Was bringt eine Demo hier den FLINTA* dort?

    Arezoo: Das Gefühl von „Es stehen Menschen hinter uns.“ Viele fragen: Was soll es, dass Leute sich die Haare abschneiden? Das gibt den Menschen im Iran ganz viel. Die Demos machen aber auch viel Druck. Zum einen der deutschen Regierung, aber auch der iranischen. Die Menschen dort gehen ohne alles auf die Straße. Es ist Druck, was sie haben. Da können wir nachhelfen, Stimmen lauter zu machen. Nicht unsere Stimmen und Meinungen, sondern deren. Es gibt online zum Beispiel vorgefertigte Briefe an die Bundesregierung, wo man nur den Namen eintragen und sie abschicken muss. Damit das Thema einfach am Brennen bleibt. Es ist auch wichtig, Namen zu nennen. Menschen im Gefängnis, deren Namen bekannt sind, denen passiert nicht so viel wie denen, die nicht erwähnt werden. Es findet so eine krasse Gewalt statt. Frauen, die offiziell jungfräulich sind, werden vergewaltigt, bevor sie exekutiert werden, um zu gewährleisten, dass sie in die Hölle kommen.

    Wie war die Situation bei deiner Ankunft im Iran?

    Von Jîna Amini habe ich über Instagram erfahren. Um ehrlich zu sein, war ich nicht so schockiert, weil es nichts Neues für mich war. Ein besonderer Moment war es dann, als ein alter Schulkamerad mir geschrieben und mich gefragt hat, wie ich alles wahrnehme und wie es mir geht. Ich war verwundert, dass es nach außen getreten ist. Nach einer Stunde ging dann mein Instagram nicht mehr. Das war ein Moment, in dem ich dachte: Okay, das ist vielleicht ein bisschen anders. Ich habe erst spät realisiert, was tatsächlich passiert. Ich bin rumgereist. In Shiraz meinte eine Person zu mir: Stell dir vor, wir stecken gerade in einer Revolution und wissen es noch nicht. Da dachte ich „Wie krass wäre das!“ und wusste nicht, dass es genau das war.

    Worum geht es für dich bei den Protesten?

    Es geht nicht ums Kopftuch. Das Kernelement ist die Unterdrückung, die schon so lange im Land existiert. Ganz einfache Menschenrechte nicht zu haben. Sei es im privaten Umfeld oder bei der Arbeit, in allen Lebensbereichen sind die Menschen unterdrückt. Manche weniger, die fühlen sich dann ein bisschen freier. Das ist aber auch nur eine Scheinfreiheit. Das Regime kontrolliert alle Menschen und die Männer nochmal die Frauen. So ist die binäre Betrachtung aus Regime-Sicht, im Sinne von: Die Frau gehört mir laut Ehevertrag. Bewegungsfreiheit gibt es nicht, der Mann darf die Frau vergewaltigen. Dass das in Deutschland erst seit 1997 illegal ist, zeigt, wie betroffen wir eigentlich sein müssten. Hier in Deutschland bekomme ich Perspektiven, was wir machen können und wie es sein soll. Dem schenke ich aber kein Gehör, weil die Menschen im Iran nicht gesagt bekommen wollen, was sie tun sollen. Sie sagen: Das Regime muss erstmal weg und dann sehen wir weiter. Das ist auch das Attraktive für manche: Was ist, wenn nichts mehr ist?

    Es teilen aber nicht alle dieselben Ziele für das Danach.

    In Leipzig halte ich mich ein bisschen raus, weil es Streitereien in der iranischen Community gab, mit denen ich nichts zu tun haben will. Es gibt unterschiedliche Ansichten und Ideologien. Ich bin der Meinung, dass es darum gerade nicht geht. Wir wollen jetzt eigentlich viele sein und laut sein.

    Wie war es für dich, als du wieder in Leipzig warst?

    Arezoo mit einem Schild in der Hand, das die Aufschrift trägt "You can't burn a woman made of fire"

    Die Aktivistin Arezoo Mohadjeri möchte die Stimmen der Protestierenden im Iran lauter machen. Foto: Zanyar Ahmadi

    Ich war voll überfordert. Es war schlimm, zu wissen, dass ich einfach wieder herkommen konnte. Ich hatte dann den Gedanken, dass ich so gerne dort gekämpft hätte. Ich habe mich aber auch gefragt, was es gebracht hätte. Ich wäre auf die Straße gegangen, hätte mein Kopftuch abgenommen und geschrien und wäre dann jetzt vielleicht nicht mehr am Leben. Das wäre es wert. Ich habe im Iran so viele Menschen kennengelernt, die ich in mein Herz geschlossen habe, von denen ich weiß, dass sie leiden. Ich wurde auch konkret nach Hilfe bei der Flucht gefragt. Gleichzeitig merken die Leute, die schon in Deutschland sind, dass sie gar nicht richtig ausgewandert, sondern geflohen sind. Selbst ich, die hier geboren und aufgewachsen ist, will wieder dort sein. Alle haben gerade die Hoffnung, dass wir zurückkönnen. Dieser Tag, an dem das möglich ist, wird ein richtiger Festtag. Ich denke da manchmal dran und fange fast an zu weinen.

    Bis dahin hältst du den Kontakt zum Iran auf andere Art und Weise. Was sind deine Hauptinformationsquellen?

    Ich nutze nur Instagram, das ist schon sehr viel. Gerade aus Deutschland mag ich gerne Daniela Sepehri. Sie betreibt viel Aktivismus, das ist sehr motivierend. Außerdem Duzen Tekkal, Gilda Sahebi, @from____iran, @1500tasvir, @6rangiran und Natalie Amiri. Ich bin auch mit verschiedenen Leuten in Kontakt, die im Iran leben. Hier von Deutschland aus sehe ich ja nur die schlimmsten Sachen und nicht den einfachen Spaziergang, der vielleicht auch noch irgendwo stattfindet.

    Inwiefern waren die Rechte von FLINTA* schon vor den Protesten Thema für dich?

    Ich habe vor zwei Jahren eine Schulung zur Referentin für nachhaltige Entwicklung und Demokratiebildung gemacht. Dort habe ich auch gelernt, Workshops zu halten. Für mich war dann klar: Bei mir geht es komplett in Richtung Empowerment. Es fühlte sich an, als wäre es meine Aufgabe. Anfang dieses Jahres habe ich mir zwei Intentionen gesetzt. Erstens: Sisterhood, also Fem-Empowerment. Das deutsche Wort „Schwesternschaft“ trifft es nicht. Das andere sind Bewegung und Tanz. Ich mache Poledance und Contemporary und habe gemerkt, dass das die größte Arbeit ist, die ich für mich selbst tue. Also Persönlichkeitsentwicklung und auch einfach Trauma-Arbeit. Für meine Iranreise hatte ich auch ein paar Intentionen. Meine Haupt­intention war Verbindung. Zum einen mit meiner Familie, aber auch mit dem Land und vor allem mit meinen Wurzeln. Außerdem hatte ich im Hin­terkopf, mich dort mit den Frauen zu verbinden. Ich bin auch mit der Vorstellung in den Iran gegangen, dass ich irgendwann eine Tanzschule dort aufmache.

    Woran arbeitest du noch?

    Zusammen mit anderen plane ich einen Podcast mit Menschen, die im Iran sind. In jeder Folge geht es um ein bestimmtes Thema aus deren Sicht. Zum Beispiel LGBTQIA+. Darüber wird wenig geredet. „Woman, Life, Freedom“ – „Frau, Leben, Freiheit“ ist voll der schöne Slogan, impliziert aber auch etwas. Im Iran gibt es eine LGBTQIA+-Community, die aber nicht so sehr gesehen wird. Ich würde außerdem gerne Gesprächsräume für solche Themen schaffen. Es gibt nämlich nicht so richtig eine iranische Community. Viele der Menschen trauen einander nicht. Ich möchte einen Safe Space für iranische FLINTA*. Den Start dafür will ich mit einer Iranerin setzen, die ich kennengelernt habe. Ich habe auch noch Interesse daran, ein Videoprojekt umzusetzen, arbeite aber und habe fast jeden Abend ein Meeting danach. Es gibt also gar nicht so viel Raum dafür.

    Deine Kapazitäten sind begrenzt. Wie schützt du dich selbst, psychisch und physisch?

    Das erlerne ich gerade wieder. Ich saß manchmal stundenlang nur am Handy. Das ist etwas, was ich gar nicht von mir kenne: In der ersten Woche bin ich morgens aufgewacht, auf Instagram gegangen und habe mir gefühlt alle Videos, die es gibt, angeschaut. Auch gestern vor dem Einschlafen war ich drei Stunden am Handy und habe mir schreckliche Sachen angeschaut. Das versuche ich zu minimieren, weil ich das alles schon weiß. Ich habe das so sehr vor Augen, dass ich davon träume. Anfangs bin ich jeden Morgen Laufen gegangen, weil ich es sonst nicht ausgehalten hätte. Jetzt habe ich Fußschmerzen. Bevor ich in den Iran gereist bin, war ich quasi Selfcare-Beauftragte. Jetzt muss ich selbst auf mich aufpassen. Physisch gesehen, gegen regimetreue Menschen, die hier aktiv sind, gibt es nicht so richtig einen Schutz. Ich könnte weniger Präsenz zeigen, aber das werde ich nicht. Die Gefahr hier ist nichts im Vergleich zu dem, was im Iran ist. Dieses Privileg möchte ich nutzen. Ein anderer Aspekt ist, dass ich die Menschen dort schützen möch­­te. Dass ich vorsichtig bin, was ich ihnen sage, ob ich mein Handy bei mir trage und mit was für iranischen Menschen ich Kontakt habe. „Wie kann ich Menschen eigentlich vertrauen?“ ist eine generelle Thematik für iranische Menschen, weil so viel Vertrauen schon missbraucht wurde. Das Land und seine Menschen sind traumatisiert.

     

    Foto: Jean Yhee

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