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    Das Audimax der Universität Leipzig war besetzt. luhze-Autorin Annika Franz war vor Ort und hat die Aktion unter die Lupe genommen. Eine Woche Unibesetzung im Schnelldurchlauf.

    Niclas Fiedler studiert Jura im ersten Semester und hätte eigentlich gerade im Audimax eine Vorlesung. Aber das geht nicht. Der größte Hörsaal der Universität Leipzig ist besetzt. Sämtliche Veranstaltungen fallen aus. Wer ihn besetzt? Niclas. Und der Rest der Menschen der Klimagerechtigkeitsgruppe „End Fossil“. Seit Montag, den 12. Dezember2022, 14:30 Uhr hängen hier große Banner mit „People not Profit“ an den Wänden. Ein kleines grünes Bäumchen schmückt den Schreibtisch, auf dem normalerweise der Beamer summt. Fünf Forderungen füllen die großen Tafeln, zwei davon direkt an die Universität Leipzig.

    Montag, 12. Dezember 2022, 22:30 Uhr

    Erstes Gespräch mit Niclas

    luhze: Hey, du musst erstmal ein bisschen aufklären, glaub ich. Wer seid ihr und was macht ihr hier?

    Niclas: Wir sind „End Fossil“ und uns gibt es weltweit. Hier vor Ort ist jetzt die Ortsgruppe Leipzig, die heute nach einer Vorlesung von Herrn Berger den größten Hörsaal der Uni Leipzig besetzt hat. Wir nutzen Schul- und Unibesetzungen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Mit unseren fünf Forderungen deutschlandweit, die da wären: keine Profite mit Energie, Verkehrswende für alle, Lützerath bleibt, „Debt for Climate“ (Initiative aus dem globalen Süden) und „Genug ist genug“ (Sofortmaßnahmen für Preissteigerung) Wir wollen junge Menschen wieder politisieren, um das Bewegungsmoment, das wir 2019 mit Fridays for Future hatten, wiederzubeleben.

    Viele dachten, ihr seid die Letzte Generation.

    Nein, das sind wir nicht. Wir sind zwar auch eine Klimagerechtigkeitsbewegung, haben aber einen ganz anderen Schwerpunkt. Die Letzte Generation macht Kleingruppenaktionen mit wenigen Menschen, die oft repressionsgefährdet sind. Sie legen es teilweise darauf an, in einen Konflikt mit dem Gesetz zu kommen. Vieles, was sie tun, ist nämlich gesetzeswidrig. Wir haben eher einen organisationsbasierten Ansatz und wollen viele Menschen in unsere Besetzung bringen. Eigentlich kann jeder mitmachen. Deswegen wurde auch die Planung offen in Telegramgruppen kommuniziert. Es sollen sich alle angesprochen fühlen.

    Und ihr wollt jetzt über Nacht bleiben?

    Genau. Wir haben jetzt erstmal mit der Unileitung gesprochen und können jetzt ganz entspannt bis morgen bleiben. Heute war auch einfach niemand von der Leitung da. Die Besetzung ist bis Freitag geplant. Morgen werden wir anfangen, mit der Unileitung zu verhandeln.

    Worüber denn?

    Wir haben verschiedene Ziele – nationale und lokale. Uns ist klar, dass wir mit der Uni nicht über den Ausstieg aus fossilen Energien sprechen können. Der Stura hat aber im Juli 2022 einen gut ausformulierten Forderungskatalog für eine nachhaltige Unigestaltung geschrieben. Die Uni hat davon unseres Wissens nach noch nichts umgesetzt. Daran halten wir uns bei unseren Forderungen. Zwei konkrete gibt es: Klimaneutralität der Uni Leipzig bis 2030 sowie die Einführung eines Moduls in jedem Studiengang, das sich mit der Klimakrise sowie ihren Folgen und möglichen Lösungen beschäftigt.

    Wie soll das dann aussehen?

    Gut, das kann ich jetzt nicht genau ausarbeiten (lacht) Aber die Idee ist, aus der fachlichen Perspektive zu kommen und nicht für Geisteswissenschaftler*innen das Gleiche zu machen wie für Chemiker*innen.

    Mit wem sprecht ihr denn da genau?

    Das wissen wir noch nicht. Die Verhandlungen sollen aber auf jeden Fall öffentlich stattfinden. Wir wollen das transparent gestalten, sodass die Uni sich in der Öffentlichkeit verhalten muss und nichts hinter verschlossenen Türen stattfinden kann. Außerdem können so Menschen, die zu dem Zeitpunkt im Audimax vor Ort sind, mit in die Diskussionen mit eingeladen werden. Genau dasselbe hat bei einer früheren Besetzung der Technischen Universität Berlin sehr gut funktioniert. In Frankfurt und Nürnberg hingegen wurden ähnliche Aktionen noch am selben Tag geräumt.

    Was ist, wenn das hier passiert? Hätte das denn rechtliche Folgen?

    Das hängt ganz von der Uni ab. Im Raum steht der Hausfriedensbruch. Das ist es aber erst, wenn die Uni von ihrem Hausrecht Gebrauch macht und uns verweist. Momentan sind wir alle legal hier, weil es mit der Leitung abgemacht ist. Wenn wir rausfliegen, müsste sich die Uni dazu entscheiden, Strafanzeige zu stellen und den Protest zu kriminalisieren. Wir hoffen, dass sie das angesichts der Dringlichkeit und Notwendigkeit nicht tut.

    Können theoretisch alle mitmachen?

    Ja, wir sind keine feste Gruppenstruktur. Hier in Leipzig haben wir alles ganz kurzfristig geplant. Die „End Fossil – Kampagne“ geht bis Dezember 2022 und uns war klar, dass wir entweder jetzt noch schnell etwas organisieren können oder dann eben erst im neuen Jahr.  Unser Ziel ist, dass es keinen Besetzungskern gibt, der besucht wird, sondern die Besetzung selbst mit anderen Studierenden der Uni verschmilzt. Diese semioffene Struktur soll dazu führen, dass sich alle eingeladen fühlen, mitzumachen. Auch bei zukünftigen Aktionen.

    Denkst du, dass so eine Art von Protest gewinnbringender ist als die anderer Klimagerechtigkeitsbewegungen?

    Ich glaube, die ganze Klimagerechtigkeitsbewegung ist ein Stück weit ratlos. Wir brauchen eine neue 2019-Massenmobilisierung, nur ein Stück weit radikaler. Wir haben demonstriert und gemerkt, es hat nicht gereicht. Ich glaube, dass Kleingruppenaktionen zivilen Ungehorsams kein politisches Handeln erzwingen können. Wir sehen in unseren Aktionen die logische Weiterentwicklung des Klimastreiks. Corona hat viele soziale Bewegungen sehr zurückgesetzt, weil Menschen nicht die Möglichkeiten hatten, zu demonstrieren, oder mit der Abwehr von Coronaleugner*innen und ihrem Mist beschäftigt waren, ohne dabei eigene Punkte machen zu können.

    Dienstag, 13. Dezember2022, 13 Uhr

    Niclas kommt gerade aus den Verhandlungen und lehnt ein Gespräch freundlich ab, da er sich erstmal erholen müsse. Währenddessen finden im Audimax Onboarding-Veranstaltungen statt und Vorträge zu verschiedenen Themen wie „Lützerath bleibt“  werden gehalten. Ständig kommen Studierende herein, die alle ganz unterschiedlich zur Besetzung stehen. Von Unterstützung bis zu Unverständnis finden sich alle Meinungen in dem so aufgeladenen Hörsaal. So hitzig wird es womöglich nicht mal bei den Strafrechtsvorlesungen.

    Mittwoch, 14. Dezember2022, 16 Uhr

    Wieder kein Gespräch. Die Verhandlungen laufen erbittert. Niemand ist da zum Sprechen. Aber die Notifikationen in sämtlichen Klimatelegramgruppen kommen weiter hereingeflattert. Es wird um Unterstützung gebeten.

    Donnerstag, 15. Dezember2022, 18 Uhr

    Die Stimmung ist aufgeregt. Während im Paulinum ein Weihnachtskonzert der Mediziner*innen stattfindet und besinnliche Chorgesänge durch die Halle schallen, ist vor dem Audimax viel los. Die letzten Verhandlungen sind kurz vor ihrem Ende. Ein Aktivist rollt auf einem Schreibtischstuhl durch die Eingangshalle der Uni, an der Warteschlange fürs Medikonzert vorbei. Die Leute gucken verdutzt. Weihnachtsfeier und Klimakampf. Skurril.

    Niclas hat nun Zeit für ein zweites Gespräch.

    luhze: Wie liefen die Verhandlungen ab?

    Niclas: Am Montag saßen wir mit der Unileitung auf der Bühne des Audimax. Allerdings hatten die Menschen in der Leitung auch Folgetermine, sodass gar nicht so lange gesprochen werden konnte. Nach anderthalb Stunden war es erstmal vorbei. Die Uni hat dann darauf beharrt, hinter verschlossenen Türen eine ihrerseits aufgesetzte Erklärung zu besprechen. Der Text war uns gegenüber zwar sehr positiv, allerdings enthielt er keinerlei Verpflichtungen oder Maßnahmen, sondern nur Hinweise darauf, was die Uni schon tut. Deswegen haben wir abgelehnt. Dienstag kam eine überarbeitete Version. Die war allerdings bloß anders formuliert, geändert hat sich nichts. Deswegen haben wir Mittwoch früh wieder abgelehnt. Wir wurden immer noch geduldet, aber die Vorschläge der Leitung änderten sich nicht. Zwar haben sie sich zur Klimakatastrophe bekannt, aber es gab keine Daten, Zahlen oder Fakten, geschweige denn Vorschläge zur Besserung.

    Könnte die Uni nicht alles sagen, um die Besetzung zu beenden?

    Das ist natürlich immer das Problem. Wir können besetzen, um ein Ziel zu erreichen, nämlich die Klimaneutralität. Wir können aber nicht besetzen, bis die Uni klimaneutral ist. Wenn irgendwann klar wird, dass die Uni sich nicht daran hält, bringt das auch wieder studentischen Protest hervor, ob von uns oder wem anders. Die Uni muss einfach herausfinden, was passieren muss, um Klimaneutralität zu erreichen. Ansonsten werden die studentischen Aktionen nicht aufhören.

    Apropos studentisch: Die Gruppe und Bewegung wirkt recht akademisiert. Was sagst du dazu?

    Auf jeden Fall. End Fossil ist eine Bewegung von Schüler*innen und Student*innen aber auch an diese gerichtet. Wir glauben, dass die Uni schon immer ein Ort von fortschrittlicher Politik ist, das hat auch die 68er Bewegung gezeigt. Wir müssen aber auch daran arbeiten, uns mit anderen Bewegungen und anderen Gruppen zu vereinen. Langfristig ist eine Zusammenschließung mit der Arbeiter*innenbewegung essentiell. Aber momentan werden vom Fokus eben vor allem Schulen und Unis bespielt, weshalb die Bewegung an sich sehr akademisiert ist.

    Danke dir, Niclas. Eine letzte Frage: Kannst du schon sagen, wie es ausgeht? Du kommst gerade aus den finalen Verhandlungen?

    Ja, aber wir müssen uns erst besprechen, bevor ich etwas an die Presse weitergebe. Wenn eine Übereinkunft zustande kommt, kann es ein politischer Schritt für die Uni sein, der sehr PR-wirksam ist. Außerdem entgehen sie so auch der Situation, dass wir oder andere hier im Januar wieder auf der Matte stehen. Wir haben die Klimakrise, wir müssen etwas unternehmen und können nur hoffen, dass die Uni auf den Protest von jungen Menschen reagiert, die Angst um ihre Zukunft haben und noch mehr Angst vor dem, was gerade schon Realität für viele Millionen von Menschen ist.

     

     

    Anmerkung der Redaktion:

    Die Besetzung ist vorbei. Nur ein paar Stunden nach dem Gespräch mit Niclas wurden die Ergebnisse verkündet. Die Uni hat sich auf eine gemeinsame Erklärung mit End Fossil Occupy eingelassen und ein Papier wurde gemeinsam unterschrieben. Hier verpflichtet sich die Uni zur Einbindung von Schlüsselqualifikationen und Modulen in die Studiengänge der Universität sowie zur Klimaneutralität bis 2030. Wie genau dieses Papier aussieht, ist hier nachzulesen:

    https://mobile.twitter.com/stura_ul

    Das Audimax hat seinen Regelbetrieb wieder aufgenommen. Die mehr oder minder gemütlichen Klappstühle sind wieder von lauter Studis besetzt, die teilweise kaum die Augen offen halten können. Ob es ihnen leichter fallen würde, wenn der*die Dozent*in zur immer näher kommenden Klimakrise referieren würde, wird sich nun womöglich bald zeigen.

     

    Foto: Annika Franz

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