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  • Meister*innen für Leipzig

    Die HGB Leipzig verabschiedete im Oktober diesen Jahres die neuen Schätze der Kunst. Ein weiterer Jahrgang von Absolvierenden stellte seine Abschlussarbeiten in einer Kunstausstellung zur Schau.

    Auch dieses Jahr entsandte die Hochschule für Grafik und Kunst Leipzig (HGB) eine Reihe an jungen und talentierten Meister*innenschüler*innen in die Welt. Mit Flügeln und einer gefestigten künstlerischen Persönlichkeit besitzen die Absolvierenden nun das Handwerkszeug, um in Zukunft mit ihren Arbeiten aus der Malerei und Grafik, Buchkunst, Medienkunst und Fotografie zu inspirieren und zu polarisieren.

    Die Hochschule bildet in Leipzig schon seit über 250 Jahren junge Künstler*innen aus und gehört unter den zeitgenössischen Kunstschulen zu den renommiertesten Europas. Nach einem Grund- und Hauptstudium bietet sich für besonders motivierte und begabte Studierende die Möglichkeit, ein postgraduales Meister*innenstudium zu absolvieren, in dem sie ihre praktischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten vertiefen und in ihren künstlerischen Entwicklungsvorhaben von namhaften Professor*innen gefördert werden.

    Ein Bruchteil der Schaffenswerke aller Absolvierenden wird zur Verabschiedung jeder Abschlussklasse in einer gemeinsamen Ausstellung präsentiert.

    Die diesjährige Meister*innenschüler*innenausstellung, „Wir gendern gerne zweimal”, wie mich die Kuratorin stolz anwies, fand vom 7. bis zum 29. Oktober 2022 in der A&O Kunsthalle statt. Zur Eröffnung wurde nun schon zum sechsten Mal der*die  Absolvent*in mit der besten Abschlussarbeit mit einem Meister*innenschüler*innenpreis ausgezeichnet. Die 10.000 Euro Preisgeld und zwölf Monate kostenfreie Ateliernutzung wurden von dem G2, einer gemeinnützigen Einrichtung mit dem Ziel der Förderung aufstrebender Künstler, verliehen, um diesen den Einstieg in das selbständige Arbeiten zu erleichtern. Die diesjährige Preisträgerin ist Anne Hofmann mit ihrer Installation „(F)akten”, welche ebenfalls teilweise in der A&O Kunsthalle zu betrachten war.

    Der Mittelpunkt der Meister*innenschüler*innenausstellung. Foto: Anna Perepechai

    Die Gewinnerin des Meister*innenschüler*innen-preises, beschäftigte sich in ihrer Arbeit unter anderem damit, wie wir uns als Gesellschaft einer Geschichte erinnern, derer wir selbst kein*e Urheber*in mehr sind. Rahmen dieser Auseinandersetzung sind die 1998/90er Jahre. Denn Anne Hofmann ist nicht nur Künstlerin, Autorin und Meisterschülerin, sie ist auch ein Kind der Wende. 1986 in Chemnitz geboren, hat sie, wie Millionen andere, den Umbruch einer Gesellschaft miterlebt, eine Veränderung, die nicht spurlos an einem*einer vorbeigeht.

    Anne Hofmann tut das, was sich viele Zeitzeugen heute, durch Akten, die als Beweisstücke unserer Geschichte gelten, in den Schatten gestellt, nicht trauen: Sie beginnt, sich selbst mit ihren Erinnerungen auseinanderzusetzen und diese zu teilen, den Prozess verkörpert sie in ihrer Installation. Wie wird uns diese Zeit überliefert und was beinhaltete die Realität? In ihrer Arbeit „Schichten”, bettet die Künstlerin eine Fotokopie von Ralf Zöllners Originalfoto, des Eindringens in die Stasi-Zentrale am 15. Januar 1990 zum Ende der DDR, wiederholt zwischen übereinander gestapelte Acrylglasscheiben, die Kopien entfernen sich voneinander, überlagern und verdecken sich, verblassen. Einer Fotografie der Berliner Mauer entzieht sie durch eine Kopiertechnik ihren brauchbaren Schein, indem sie kopiert wird, woraufhin auch diese Kopie kopiert wird und anschließend anschließend auch die Kopie der Kopie, bis sie ganz verlaufen, alles schwärzt. Ebenfalls Teil ihrer Installation ist eine Zeitung: „Fliegende Akten”. Diese ist thematisch ebenfalls an den 15. Januar angelehnt. Hier kommen begleitend Autor*innen, aber auch Anne Hofmann selbst zu Wort.

    Die Ausstellung bestand insgesamt jedoch nur aus einer Auswahl weniger Werke der Installationen aller Künstler*innen, mit dem Ziel, ihnen annähernd gerecht zu werden. Denn für eine Ausstellung der gesamten Arbeiten wäre wohl die zwanzigfache Fläche notwendig gewesen. Die Werke der Absolvierenden müssen nach deren Prüfung rasch zusammengestellt werden. Dafür kommen die Künstler*innen teilweise zum ersten Mal zusammen. In ein bis zwei Tagen lernen sie sich kennen und erarbeiten gemeinschaftlich ein Arrangement ihrer Arbeiten. Die Kuratorin habe die Studierenden sehr glücklich über diese Begegnung erlebt, dankbar für den Austausch und das Miteinander.

    Installation von Anne Hofmann mit Acrylglasstapel und Kopiertechnik. Foto: Anna Sophie Knobloch

    Beim Betreten der Halle überraschte mich eine Gedankenschwere. Helles Licht, weiße Wände, große Tücher, bedruckt mit einer Strandkulisse hingen von der Decke herab, wogen sich leicht im Zug der Eingangstür. Grelle pinke Plastikstühle standen vor einem Fernseher und hier und da durchbrach ein auf den ersten Blick undefinierbares Kunstwerk die klinische Atmosphäre. Innerhalb dieser eigentlich kühlen, nüchternen Halle fand man neben den Werken, vor allem die Schüler*innen selbst, mit ihren persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen. Die Arbeiten kamen nicht aus dem Nichts. So wie die Kuratorin berichtete, wirkten die Inhalte der Projekte wie lange Begleiter der Künstler*innen und das, was letztendlich zu sehen war, schien das Produkt einer tiefen Auseinandersetzung damit zu sein.

    In den Porträts des immer gleichen Mädchens war die Begegnung mit einer Vergangenheit zu sehen, die Mut forderte. In schwarz-weiß Fotografien der Überbleibsel ostdeutscher Städte sah man die Erinnerung der Farbe, die in Vergessenheit geraten ist. Die Farbspuren Elizaveta Kuznetsovas Nägel vermittelten Zorn. Sie porträtierte in ihrer Arbeit 100 Frauen, in Bild und Text. Das Bild bestand aus je einer Fotografie eines mit Nagellack bearbeiteten Holzbrettes. Der dazugehörige Text aus einer Widmung, denn all diese Frauen waren Opfer von Femiziden in Russland, getötet von ihren Partner*innen. In einem Film dokumentierte sie, wie sie immer wieder neue Schichten des Lacks auf ihre Nägel auftrug und auf dem Brett abschabte. Das eindringliche Geräusch der Nägel, wie sie fast gewaltsam versuchten, sich des Nagellacks zu befreien, begleitete den Film.

    In einer anderen Installation lehnte lediglich eine Plastiktüte an einer Säule umgeben von dem Transkript eines Prüfungsgespräches. In einer weiteren lagen Betonstühle unbrauchbar auf dem Boden herum. Was rechtfertigt die Relevanz eines Werkes in der Kunst? Das ist ebenfalls Fragestellung eines der Kunstwerke. Wie Anne Hofmann erklärte, gehe es nicht mehr vorrangig um künstlerische Perfektion. Im Vordergrund stünden hier vor allem ein Konflikt, eine Geschichte und ein Prozess, der Ausdruck in den verschiedensten Techniken und Formen finden kann und sich dabei tief mit dem Inhalt verwebt. So wird Kunst auch für den Betrachtenden zu einer Erfahrung.

    „Eine Installation abzuschließen bedeutet auch, einen Lebensabschnitt hinter sich zu lassen”, erklärte die Kuratorin bewegt. Anne Hofmann möchte vorerst in Leipzig bleiben, aktuell gibt sie Abendkurse an der HGB und arbeitet an der nächsten Veröffentlichung einer politischen Zeitung mit. Mit dem Preisgeld refinanziert sie ihre Projekte, die teilweise durch Freunde und Bekannte unterstützt wurden. Außerdem wird der Studienkredit abbezahlt. Eine Ära findet ein Ende für die Meister*innenschüler*innen und wurde in einer gebürtigen Ausstellung zelebriert. Alle Werke sind noch online auf der Website der HGB einzusehen, um auch jetzt noch durch die Ausstellung schreiten zu können.

     

    Foto: Anna Sophie Knobloch

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