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  • Mit dem Bus aus der Vorstadt fahren

    Laufen und Wege planen zu müssen, statt für jeden Meter das Auto zu nehmen, ist eine Frage der Gewöhnung. Kolumnist Franz schreibt über das Gefühl, als Jugendlicher nicht mobil genug gewesen zu sein.

    Es war gegen zwei Uhr in der Nacht eines Mittwochs oder Donnerstags. Der letzte Bus war vor zweieinhalb Stunden gefahren, zehn Euro fürs Taxi wollte ich diesmal nicht ausgeben. So lief ich den Berg hoch zum Haus meiner Eltern. Ich war siebzehn oder achtzehn – das weiß ich nicht mehr so genau. Ich weiß aber noch, wie ich fror, obwohl es schon April war, und dass ich mich nicht zum ersten Mal fragte, warum meine Eltern für uns die Entscheidung getroffen hatten, nicht in der Innenstadt zu wohnen. Die Beschreibung des Wohnquartiers gestaltet sich schwierig. Hatte ich eine ländliche Jugend oder wohnte ich doch städtisch, nur eben in der Vorstadt? Das Dorf wurde vor über siebzig Jahren eingemeindet und befindet sich auch keine zwei Kilometer von Weimar entfernt.

    Somit konnte ich mit „Aus Weimar“ auf die Frage nach meiner Herkunft antworten. Was ich nicht konnte, war, mich flexibel fühlen. Verabredungen musste ich nach dem Bus planen – der tagsüber, abhängig davon, ob ich zwei Kilometer laufen wollte oder nicht, alle fünfzehn Minuten oder nicht mal stündlich kam. Ich hätte auf raffinierte Weise die Vorteile des urbanen und ländlichen Lebens verknüpfen können. In die Pfütze hüpfen und am selben Tag im Kino rascheln.

    Kolumnist Franz lächelt in die Kamera, im Hintergrund sind das Meer und ein Schiff zu sehen

    Kolumnist Franz wäre am liebsten mit dem Schiff zur Schule gefahren. Foto: Julia Nebel

    Das Hemmnis, dass der Weg mit dem blöden Bus ewig dauert, entstand zu einem großen Teil in meinem Kopf. Planung, um nach der Schule noch was zu erledigen, war trotzdem nötig. Erschwert wurde meine städtische Freizeitgestaltung dadurch, dass meine Eltern sich nicht anboten, mich zu fahren. Diese Option durfte ich nur in ernsten Notfällen nutzen – ein durchschnittliches Sozialleben zählte leider nicht zu diesen Notfällen.

    Ein bisschen änderte sich die Situation, als ich eine Fahrerlaubnis hatte. Das Problem war nur, mich mit meinen Eltern zu einigen, wer wann das Auto benutzen durfte. Ein eigenes motorisiertes Fahrzeug wirkte wie ein geradezu zwingender Schritt, um den Weg des Erwachsen-werdens zu vollenden. Mein halber Jahrgang hatte ein Moped, Motorrad oder Auto. Ich sah die fehlende Mobilität als Belastung. Heute frage ich mich, ob dieses Denken ein Zeichen von „Wohlstandsverwahrlosung“ war. Auf dem – nicht vorstädtischen – Land fährt meist überhaupt kein Bus – von dreimal am Tag abgesehen. Mit etwas mehr Planung hätte ich jede Party und Kulturveranstaltung, die mich interessierte, mitnehmen können – hin chauffiert durch eine*n Busfahrer*in.

    Nur das der Bus und seine Freundin die Straßenbahn, sowie der ICE gelegentlich genüsslich zu spät kommen, führt auch heute bei mir zu regelmäßigen Schweißausbrüchen und Verdammungen dieser Verkehrsmittel. Da hilft es auch nicht, dass den wenigsten nach einer Fernreise mit dem Auto eine pünktliche Ankunft gelingt.

    Solange nicht nur in der Werbung, sondern auch in Kinofilmen Autofahren mit der ultimativen Freiheit gleichgesetzt wird, ist offensichtlich, dass individuelles Rumgerase das Primat unserer Fortbewegung bleibt. Für eine baldige Mobilitätswende, die auf Freiwilligkeit basiert, sehe ich daher schwarz.

     

    Foto: Franz Hempel

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