„Es kann noch richtig geil werden“
Friedrich Bohn ist Ökosystemwissenschaftler aus Leipzig. Mit der luhze hat er über seine Erlebnisse auf der COP27 gesprochen.
luhze: Herr Bohn, die COP ist die jährliche Klimakonferenz der Staaten, die Klimarahmenkonvention der UN unterzeichnet haben. 2022 fand sie in Scharm asch-Schaich in Ägypten statt. Mit welchen Erwartungen sind Sie zur Konferenz gereist?
Bohn: Die Erwartungen waren ziemlich gering. Aufgrund der aktuellen politischen Lage, Stichwort Einfall der russischen Armee in die Ukraine einerseits und dem Konflikt zwischen den USA und China bezüglich der Taiwanfrage andererseits. Das waren Ereignisse auf internationaler Ebene, die Dialoge miteinander verhindert haben. Dementsprechend war die große Frage vor der COP: Kann eine Konferenz in so einem Setting überhaupt funktionieren?
Waren die bisherigen Folgen des russischen Angriffskrieges auf der Konferenz spürbar?
Erstaunlich wenig, und das war eine der großen Überraschungen auf der COP. Die meisten haben deutlich versucht zu umgehen, den Krieg zu sehr zu thematisieren. Bei manchen Angelegenheiten ging das auch nicht, zum Beispiel bei der Frage nach den Emissionen, die durch den Krieg auf ukrainischem Gebiet, jedoch durch den russischen Angriff begründet, erzeugt werden. Wer ist dafür verantwortlich? Es wurde nicht versucht, das Thema auszublenden, aber man hat sich auf die Verhandlungen um die Fragen der Klimakrise konzentrieren wollen.
Dieser Fokus war auch bei der Taiwanfrage und dem Konflikt zwischen den USA und China bemerkbar. Als die amerikanische und chinesische Delegation am Anfang aufeinandergestoßen sind, haben die quasi nicht miteinander geredet. Im weiteren Verlauf gab es dann ein Hin und Her und viele waren besorgt, weil genau diese Gespräche sehr wichtig sind für die COP. Die USA ist das größte Industrieland hinsichtlich der Emissionen und der Wirtschaft. Wenn die USA Maßnahmen unterstützt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass alle anderen Industriestaaten auch folgen. Wenn aber schon am Anfang der COP nicht miteinander geredet wird, hatte man das Gefühl, dass gar nichts passieren würde. Dann kam es aber immer mehr zu Gesprächen auf dem Flur und informellen Gesprächen. Parallel zur COP lief auf Bali das Treffen der G20, auf diesem wurde bekannt gegeben, dass sich der chinesische Präsident Xi Jingping und der US-Amerikanische Präsident Joe Biden treffen wollten. Die Nachricht hat dann bei den Verhandlungen auf der COP Türen geöffnet.
Wie sieht denn eigentlich ein Tag auf einer COP aus? Wen treffen Sie und über welche Themen haben Sie dieses Mal besonders gesprochen?
Mitternachts wird das Programm für den nächsten Tag veröffentlicht. Bestimmte Programmpunkte, wie Pressekonferenzen oder Hauptversammlungen, wo alle Länder zusammensitzen, stehen vorher schon fest. Das sind die Bilder, die man aus dem Fernsehen kennt.
Je nach Verhandlungspunkt auf der vorher festgelegten Agenda treffen sich die Verantwortlichen in kleineren Verhandlungsräumen. Mehrere Länder, die ähnliche Interessen haben, schließen sich zu Fraktionen zusammen und schicken immer so ein, zwei Leute zu den Verhandlungen. So können auch kleinere Länder diese Verhandlungen stemmen. Diese kleineren Treffen werden relativ kurzfristig angesagt.
Morgens schaue ich also erstmal: wo muss ich überhaupt hin? Und: Darf ich da überhaupt hin? Die Delegierten der Länder dürfen überall hin. Auch die Beobachter*innen, meist NGO Mitarbeiter*innen oder Wissenschaftler*innen bekommen sehr viel Zugang. Sie haben die Aufgabe, die Verhandlungen zu verfolgen, um später bei eventuellen Gesprächen mit den Delegierten der Nationen diese zu Beraten. Während der Treffen haben die Beobachter*innen kein Sprach- oder Melderecht.
Den Tag über läuft man also zwischen verschiedenen Treffen hin und her, hört sich die ein oder andere Pressekonferenz an. Nachmittags oder abends habe ich meist Einschätzungen und Hintergrundgespräche mit der Presse geführt. Ich war meist 12 Stunden auf dem Gelände der COP.
In den Medien liest man im Nachgang der COP viel von dem Begriff des Loss and Damage, auf Deutsch Schaden und Verluste. Mit dem Begriff werden Ausgleichszahlungen beschrieben, die an jene Länder gezahlt werden sollen, die jetzt schon am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden. Die COP 27 war jetzt auf die Lösung im Thema Loss and Damage ausgerichtet. Wie haben Sie das Thema auf der Konferenz wahrgenommen?
Die Agenda und Beschlüsse für die jeweilige COP werden jedes Jahr in Bonn einige Monate vorher auf einer Art Vorbereitungskonferenz von internationalen Vertreter*innen erarbeitet. Loss and Damage stand dieses Jahr ursprünglich nicht auf dieser Agenda drauf. Viele Delegationen und Länder waren daher nur bedingt darauf vorbereitet. Trotzdem ist es schon seit Jahrzehnten relevant. Für Pakistan, die gerade von einer dramatischen Flut betroffen waren und für kleinere Inselstaaten, war das Bedürfnis, dieses Thema anzusprechen sehr groß.
Dann ist etwas Ungewöhnliches passiert: Der erste Punkt auf der COP ist immer, die Agenda abzuwinken. Da haben viele Entwicklungsländern gesagt: „Stop! Wir wollen Loss und Damage dieses Jahr auf der Agenda haben“
Die Presse hat sich schnell auf das Thema Loss and Damage fokussiert. Dieses ist sehr medienwirksam, weil es auf einer emotionalen Schiene läuft. Der Fokus der COP hat sich also sehr kurzfristig verschoben. Das hat dazu geführt – und das ist eine gute Nachricht – dass wir jetzt eine erste, einfache Konstruktion für dieses Loss and Damage haben. Das hätten wir eigentlich nicht gehabt. Es fehlen aber gerade die schwierigen, geldlichen Verpflichtungen, um die Ausgleichsfonds zu finanzieren. Die Industrieländer hatten durch die spontane Änderung der Agenda nicht das Mandat, um die nötigen Geldsummen zu versprechen. Es ist momentan also eher noch eine Hülse und soll nun in den nächsten Jahren ausgearbeitet werden. Wenn man überlegt, wo wir als Menschheit bei diesem Thema eigentlich hinkommen sollten, ist es noch ein weiter Weg.
Welche Bedeutung hatte denn das Pariser Klimaabkommen auf der diesjährigen COP? Wie realistisch sehen Sie die Einhaltung des 1,5 Grad-Zieles?
Vor Ort habe ich da eine Arte der Dramaturgie bei diesem Thema mitbekommen. Das war ziemlich spannend. Auf der Konferenz geht es immer auch viel um Gerüchte. Die kriegt man in der Kaffeepause, auf dem Flur oder in der Schlange zum Mittagessen mit. Morgens werden wir als Wissenschaftler*innen genau zu diesen Gerüchten gebrieft. Darüber, welche Themen gerade wie besprochen werden, die aber nirgendswo schriftlich richtig vorliegen.
Die erste Woche auf der COP dient immer eher informelleren Gesprächen und gegenseitigen Einschätzungen. Gegen Ende der ersten Woche kommen dann die ersten Entwürfe für Beschlüsse raus. Diese Texteentwürfe werden dann immer alle zwei bis drei Tage geupdatet, mit der Hoffnung, dass diese sich einem Beschluss nähern.
In der zweiten Woche der COP, ging anfangs das Gerücht um, bestimmte Länder würden das „deutlich unter 2, vorzugsweise auf 1,5 Grad Celsius“-Ziel des Paris-Abkommens aufweichen wollen. Da gäbe es wohl erste Formulierungen in Richtung zwei Grad.
Als dann der entsprechende Text zum Thema veröffentlicht wurde, war das eine Überraschung, denn dort stand nicht etwa „anstrebend 1,5 Grad“ oder etwas ähnliches, sondern „1,5 Grad“. Punkt. Von zwei Grad war überhaupt nicht mehr die Rede.
Ich habe mir das so erklärt, dass dem Versuch, das 1,5 Grad Ziel aufzuweichen eine sozusagen schlimmere, also härtere, Version entgegengesetzt wurde. Man hat also gemerkt, dass es einige Länder gibt, die das Ziel härter verfolgen wollen, und welche, die es aufweichen wollen. Am Ende sind wir mit der Formulierung wieder da gewesen, wie sie im Paris-Abkommen formuliert wurde.
Ähnlich wie in den letzten Jahren hört man viele enttäuschte Stimmen, es wird viel von verpassten Chancen gesprochen. Der Kieler Klimaforschers Mojib Latif kritisierte zuletzt das Format der COP und fordert einer „Allianz der Willigen“. Müsste sich ihrer Meinung nach etwas an der COP verändern, um ihrem Anspruch gerecht zu werden? Wenn ja, was?
Durch unsere deutsche Sicht auf die COP und unser Demokratieverständnis sehen wir die Konferenz so, als wäre sie eine Art Weltparlament. Unsere Vorstellung ist, dass die COP zusammenkommt, eine Entscheidung trifft, einen Gesetzestext schreibt und diesen dann umsetzt. Fertig. Die COP ist aber kein Parlament, sondern der Versuch, sich international zu einigen. Da wir aber die nationale Souveränitäten der Nationalstaaten bewahren (Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit der Nationalstaaten Anm. der Red.), muss dafür gesorgt werden, dass alle Länder zustimmen oder zumindest nicht dagegen sind. Die Beschlüsse zeigen also den Mindeststand, auf den wir uns alle einigen können.
Dadurch, dass die COP auf dem Konsent-Konzept basiert, (also alle Länder zustimmen müssen oder wenigstens nicht ablehnen Anm. der Red.) ist sie außerdem sehr inklusiv- mit allen Vor- und Nachteilen. Im Gegensatz dazu stände die Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung, aber durch die Souveränitäten der Nationalstaaten, würden sich dann Situationen ergeben, bei denen man zwar Entscheidungen getroffen hätte, aber einige Länder einfach nicht mitmachen würden. Denn man kann diese zu ihren Handlungen nicht zwingen. Dann hätte man auch nichts dran gewonnen.
Der zweite wichtige Punkt: Wir in Deutschland haben starke Institutionen. Gesetze lassen sich relativ schnell und zuverlässig umsetzen. In unseren demokratischen Prozessen bringen sich, bei aller Kritik, immer hinreichen viele Leute mit ein. Aber es gibt auch Länder mit autoritären Systemen, in denen oppositionelle Gruppen keinen Einfluss haben. Da ist die COP ein Mittel, ihre Sichten zu äußern. Ein Beispiel dafür waren in letzter Zeit die indigenen Menschen aus dem Amazonas unter Jair Bolsonaro in Brasilien. Die hatten keinerlei Möglichkeit, sich einzubringen, außer durch die COP. Dort haben sie die Chance, ihre Bedürfnisse auf internationaler Ebene zu kommunizieren. Die COP ist eine demokratische und transparente Veranstaltung. Man kann sich alle Dokumente herunterladen, viele der Veranstaltungen livestreamen. Zwar ist das nicht super nutzerfreundlich gestaltet, aber es gibt die Möglichkeit.
Trotzdem sehe ich auch eine Notwendigkeit für Reformen.
Ich fände es nicht gut, den Prozess aufzuheben. Denn die COP ist nicht nur ein Treffen der diplomatischen Akteure, sondern auch ein großer Wissensaustausch. Da sitzt man dann eben plötzlich am Tisch mit dem Umweltminister aus Nepal, einem Förster aus Finnland und einem Indigenen aus dem Amazonas und unterhält sich über Waldmanagement. Dieser Wissensaustausch fällt nicht in den Fokus der Öffentlichkeit, er ist aber extrem wichtig. Es ist schwer zu sagen, was passieren würde, gäbe es dieses Aufeinandertreffen und den Austausch nicht mehr.
Die Verhandlungen und Entscheidungsfindung sind bisher noch sehr nationalstaatlich geprägt. Dabei müssen wir beim Thema Klima alle ran. Auch Privatpersonen und Kommunen müssen es am Ende umsetzen, die Wirtschaft muss sich neu denken und ein Nachhaltigkeitsprinzip implementieren. Man müsste daher die COP in ihrem Austausch und ihrer Willensbildung größer machen. Ob dafür aber 50.000 Menschen um die Welt jetten müssen kann man sicherlich diskutieren.
Die COP ist schon einige Zeit wieder vorbei, mit welchem Gefühl sind sie denn jetzt wieder in Leipzig gelandet? Hat die Konferenz einen Einfluss auf die Art, wie sie jetzt weiterarbeiten?
Eine weitere Sache, die nur existiert, weil es die COP gibt, ist das aktuell erhöhte Interesse an meiner wissenschaftlichen Arbeit und Meinung. Im Rahmen der COP hatte ich mehr Interviews und Austausch mit der Presse als im gesamten restlichen Jahr. Das liegt nicht daran, dass ich keine Gespräche führen möchte, sondern, dass das Thema manchmal nicht “brandet“ (lacht).
Neben den Wissenschaftler*innen der IPCC gibt es auf der COP auch die sogenannten RINGOS. Das ist eine Vereinigung von Student*innen, Post-Docs bis hin zu Professor*innen, von denen die meisten nicht beim Klimabericht des IPCC mitgeschrieben haben, sich aber im nächsten Jahr weiter strukturieren wollen. Da darf ich jetzt einer der Mitkoordinator*innen sein, was die Themen Landwirtschaft, Wald und Landnutzung angeht. Da geht es um eine bessere Vernetzung und gezieltere Unterstützung der Diplomatie.
Wie gehen sie mit der täglichen Konfrontation mit der Krise um?
In meiner Arbeit beschäftige ich mich damit, wie sich die unterschiedlichen Klimaszenarien auf die Vegetation und damit auch auf das Leben auf diesem Planeten auswirken. Und da ist es fucking frustrierend.
Eine der motivierenden Momente in letzter Zeit war dann aber Fridays for Future. Das stelle ich auch in meinem Umfeld immer wieder fest. Viele haben viel Kraft und Motivation dadurch gewonnen, dass die junge Generation in dieser Masse auf die Straße gegangen ist. Das war cool. Auch was es in der Wahrnehmung und der Diskussion der Thematik bewegt hat.
Die Frustration steht auf der einen Seite. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Grund, warum alle Wissenschaftler*innen immer sagen: „Die Tür ist noch nicht zu“. Wir haben uns schon seit Dekaden mit diesem Problem beschäftigt. Da denken wir nicht mehr „ach Scheiß Problem“, sondern „Geil, wie können wir dieses Problem jetzt lösen“. Seit Dekaden werden Lösungen entwickelt, die jetzt inzwischen umfassend wissenschaftlich durchdacht und auf kleiner Skala getestet sind. Da können wir es noch eindeutig schaffen, unter zwei Grad zu bleiben, wenn man in der nächsten Dekade auf die bisherigen vielfältigen Erkenntnisse aufbaut und diese nicht ausblendet.
Dafür sind sowohl demokratische Prozesse als auch das Wissen der allgemeinen Bevölkerung notwendig, um unsere wissenschaftlichen Lösungen mit den Erfahrungen aus der Lebenswelt verschmelzen. Denn natürlich sind wir Wissenschaftler*innen nicht perfekt, häufig denken wir zu theoretisch. Aber es kann noch richtig geil werden. In zwanzig Jahren könnten wir auf einem großartigen, fairen, grünen, gesunden, sicheren Planeten leben.
Wie gucken Sie in die Zukunft und auf die nächste Klimakonferenz?
Es muss mehr daran gearbeitet werden, dass die allgemeine Bevölkerung von den Lösungen, die die Wissenschaft erarbeitet, erfährt, damit diese Lösungen auf der nächsten COP eingefordert werden können. Den vorher beschriebenen Mechanismus der Öffentlichkeit müssen wir nutzen. Gleichzeitig müssen im wirtschaftlichen Kontext Unternehmen verstehen, dass Nachhaltigkeit keine Frage des Marketings, sondern eine der Existenz ist. Da verstehe ich Firmen nicht im Sinne eines gewinnmaximierenden Unternehmens, sondern als Gruppe an Menschen, die an etwas arbeiten.
Die Forschung muss ihr Wissen noch mehr in die Breite tragen und gerade auch für die Politik zugänglich machen. Denn es gibt nicht etwa nur ein paar Leuchtturmwissenschaftler*innen, sondern ziemlich viele von uns.
Foto: Sebastian Wiedling
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.