Wütende Gedanken auf einer Busreise
Auf einer Busreise hat man sehr viel Zeit, nachzudenken. Manchmal kommen dann auch wütende Gedanken, die ich gerne mit euch teilen würde.
Eigentlich bin ich keine Person, die Artikel schreibt. Ich bin keine Journalistin. Ich bin auch nicht laut oder rebellisch, im Gegenteil. Ich behaupte mich gerade vor Fremden selten. In den Hochphasen der Pandemiezeit traute ich mich trotz meiner klaren Einstellung zu dem Thema oft noch nicht einmal Fremde zu bitten, ihre Maske aufzusetzen. Ich setzte mich einfach weg. Aber jetzt befinde ich mich in einem Reisebus und habe daher viel Zeit zum Nachdenken – und Ärgern. Es ärgert mich, dass ich so vorsichtig bin, weil es mich so sehr einschränkt. Deshalb schreibe ich jetzt diesen Text, nicht, weil ich denke, dass ich der Welt etwas Bahnbrechendes verkünden möchte oder weil ich mich selbst profilieren möchte – sondern weil ich es gerade nicht mehr aushalte, still zu sein.
Kurzum: Ich bin einfach nur GENERVT. Hier im Bus ist so ein Typ, den ich total gruselig finde. Ich befinde mich auf der Rückfahrt aus dem Urlaub. Ich bin allein unterwegs. Auf der Hinfahrt habe ich mich noch viel unwohler gefühlt, weil da sehr viele (ältere) Männer im Bus waren und ich die einzige junge Frau. Jetzt, auf der Rückfahrt, ist der Bus viel leerer, es sind auch andere Frauen dabei und ich bin zunächst erleichtert eingestiegen. Trotzdem – dieser eine Typ aus dem Bus hat mich auf den Raststätten zusammen mit anderen Männern immer so eindringlich angeschaut. Die Gruppe hat Französisch gesprochen, deshalb habe ich sie nicht verstanden. Aber ich habe irgendwie gespürt, dass sie über mich gesprochen haben. Später wurde ich dann noch auf Französisch von ihnen angesprochen – ich habe natürlich nichts verstanden, nur einen vielsagenden Blick mit der Kassiererin ausgetauscht. Vielleicht wollten die Herren auch nur nett sein und ich habe mir die unangenehme Situation selbst ausgemalt. Aber auch wenn es so war – wieso fühle ich mich überhaupt unwohl? Könnte mir ja egal sein, was die Typen reden. Die Antwort ist ganz einfach: weil ich schon so oft schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht habe.
Heute komme ich wahrscheinlich erst um 22:30 in Frankfurt an und mir graut es jetzt schon davor, die paar hundert Meter vom Busbahnhof zum Hauptbahnhof zu laufen. Vielleicht bin ich auch übertrieben ängstlich, aber ich bin mir sicher, dass ich nicht so ängstlich wäre, wäre ich ein Mann. Und mich nervt es, dass ich Angst haben muss. Dass ich Männern, die mich beim Feiern ansprechen– auch wenn sie es respektvoll tun oft sexualisierte beziehungsweise übergriffige Beweggründe unterstelle. Es nervt mich, dass ich, wenn mich ein Mann nachts nach dem Weg fragt, eher ausweichend reagiere und schnell das Weite suche, wenn keine anderen Personen anwesend sind – auch wenn der Mann vielleicht wirklich nur nach dem Weg fragen wollte. Es nervt, dass ich damit selbst sexistisch gegenüber Männern bin und sie und ihr Verhalten pauschalisiere, nur weil es wenige übergriffige Arschlöcher gibt. Es nervt mich, dass ich im Bus, wenn ein Mann neben mir sitzt, meine Beine so weit wie möglich auf eine Seite ziehe, damit der Typ schön breitbeinig dasitzen kann. Es nervt mich auch, dass ich in solchen Situationen nicht selbstbewusst reagieren kann, sondern wie ein kleines Kind peinlich berührt wegschaue, den Kopf einziehe oder sogar beschämt lächle. Wieso schäme ich mich in solchen Situationen? Wieso bringen diese Männer mich dazu, mich selbst und mein eigenes Verhalten in Frage zu stellen, anstatt sie zu beschuldigen? Auch wenn ich rational weiß, dass es nicht meine Schuld ist, wenn irgendetwas Unangenehmes passiert. Es gab viele solcher unangenehmen Situationen, wenn ich darüber nachdenke, aber drei davon – die für den einen oder die andere wahrscheinlich harmlos klingen – waren dabei besonders einprägsam. Ironischerweise haben all diese Situationen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu tun.
Erstens: Mit knapp 18 war ich mit ein paar Freundinnen nach dem Abitur in Amsterdam. Wir kamen um 5 Uhr morgens bei Sonnenaufgang wieder am Bahnhof nahe meiner Heimatstadt (ich komme aus einem ruhigen, kleinen Ort aus Süddeutschland) an und ich musste noch den Zug Richtung zu Hause nehmen. Meine Mutter war schon wach und wollte mich abholen, aber ich meinte, das sei nicht nötig, die Bahn sei eh viel schneller und es wurde schon hell. Der Bahnhof war allerdings noch leer. Ich bemerkte dann irgendwann, dass mich ein Mann mit seinem Blick fixierte – erst dachte ich, ich bildete mir das ein. Ich habe weggeschaut, wieder hingeschaut. Der Mann starrte mich die ganze Zeit an. Gut, dachte ich, sieht so aus, als liefe er zum anderen Gleis. Ich wollte dann zu meinem Gleis laufen und plötzlich stand der Mann doch da, obwohl er zuvor in eine ganz andere Richtung gelaufen war. Er schaute mich – mit einem so leichten Grinsen, dass man es fast hätte übersehen können – direkt an. Ich sah ihn nur aus circa hundert Metern Entfernung, aber es war keine andere Person da und er hörte nicht auf, mich anzustarren. Ich habe mich so gefürchtet, dass ich meine Mutter doch anrief. Mit diesem Mann gemeinsam in den leeren Zug zu steigen und vielleicht sogar mit ihm gemeinsam auszusteigen – das wollte ich nicht.
Zweitens: Vor ein oder zwei Jahren saß ich einmal mit einer Freundin an einer Bahnhaltestelle, weil sie bei mir zu Besuch gewesen war und ich mit ihr auf ihre Bahn wartete. Es war vielleicht 1 Uhr morgens. Plötzlich kam ein Typ vorbei – offensichtlich betrunken oder auf Drogen – und ich hoffte sofort, dass er uns nicht anquatschen würde. Als hätte er meine Gedanken gelesen, kam er auf uns zu und stellte sich direkt uns gegenüber. Er sagte nichts und starrte uns, beziehungsweise mich, einfach nur an. Er beugte sich so weit vor, dass ich ihn riechen konnte. Er suchte meinen Blick. Meine Freundin erwiderte standhaft seinen Blick, aber ich hielt es nicht aus und fixierte den Boden. Mein Herz schlug bis zum Hals, so sehr fürchtete ich mich. Dass wir saßen und er stand, bildete das ungleiche Machtverhältnis perfekt ab. Ich dachte, er kann jetzt alles mit uns machen, wir können uns überhaupt nicht wehren. So verharrten wir mehrere Minuten lang. Schließlich wendete er sich ab und zog weiter. Im Nachhinein habe ich mich geschämt, dass ich nichts gesagt habe, dass ich nicht aufstehen konnte, ihm noch nicht mal ins Gesicht schauen konnte und ihm so die „Genugtuung“ verschafft habe, dass er in dem Moment solch eine Macht über uns hatte.
Drittens: Einmal, ich war 16 oder 17, auf jeden Fall noch minderjährig, bin ich ins Kino gegangen und mit dem Zug allein heimgefahren. Es war ungefähr 23 Uhr. Als ich ausstieg, merkte ich, wie jemand mich verfolgte. Ich glaube, das hat fast jede nicht männlich gelesene Person schon einmal erlebt. Der Typ sprach mich an und fragte, wo ich wohne. Ich antwortete nicht und lief einfach weiter. Er lief mir immer schneller hinterher. Schließlich rannte ich nur noch und hoffte, dass der Typ nicht gesehen hatte, wo ich wohne. Für ihn war das wahrscheinlich nur ein Gag, ein kleiner Flirt oder der Versuch, Kontakt zu knüpfen (wobei das auch fraglich angesichts meines Alters wäre) – ich hatte in diesem Moment Angst, entführt, vergewaltigt, getötet zu werden.
Wenn ich das selbst lese, kann ich mir vorstellen, dass andere Leute mich als paranoid betiteln. Gerade weil in diesen Situationen nichts passiert ist, was mit physischen Übergriffen zu tun hat – ich wurde ja nicht angefasst oder so. Das ist mir natürlich auch schon untergekommen, aber ich wollte hier bewusst Angstsituationen schildern, in denen zwar nichts Physisches „passiert“ ist, die sich aber trotzdem in mein Hirn eingebrannt haben. Heute weiß ich, dass mir dort auch Gewalt und Übergriffigkeit widerfahren ist.
Die körperlich oder verbal übergriffigen Situationen, die für viele FLINTA*-Personen1Alltag sind, zum Beispiel mal am Po begrapscht zu werden oder sexistische Sprüche hinterhergerufen zu bekommen sind dann nur noch die Bestätigung, dass Grenzen schnell verschwimmen. Diese Erfahrungen vermischen sich dann mit ähnlichen oder schlimmeren² Erfahrungen, die von Freund:innen berichtet werden oder von denen man im Netz oder in den Nachrichten liest. Von meinen Eltern wurde mir schon als Kind beigebracht, nicht zu fremden Männern ins Auto zu steigen³. Oder von Oma, ja nicht allein heimzulaufen oder meine Getränke im Club niemals irgendwo stehen zu lassen. So habe ich schon in meiner Kindheit und frühen Jugend gelernt, dass Frauen irgendwie „schwächer“ sind und „aufpassen“ müssen. Und dann kommt eben noch der Alltagssexismus dazu, zum Beispiel bei der Arbeit nicht genauso ernst wie mein gleichaltriger männlicher Kollege genommen zu werden, oder regelmäßig ge „gemansplaint“ zu werden – also ungefragt von Männern Dinge erklärt zu bekommen. Solche Situationen stärken auch nicht gerade das Selbstbewusstsein.
Frühe geschlechtsspezifische Erziehung, zusammen gemixt mit persönlichen negativen Erfahrungen von mir, Freund*innen oder fremden Frauen* ergeben dann ein furchterregendes Bild, das mit jeder neuen schlechten Erfahrung, mit jedem neuen Erfahrungsbericht immer größer und immer spezifischer wird. Es ist einfach frustrierend – immerhin bin ich eigentlich das Opfer in solchen Situationen und trotzdem denke ich immer, ich müsste irgendwie selbstbewusster auftreten oder eine klarere Ansage machen. Das Ganze ist so verwoben mit Sexismus, dass ich müde bin.
Ich bin müde, mich dafür zu schämen, dass ich mich schäme.
Nur um mich klar auszudrücken: Ich bin meinen Eltern und meinem Umfeld dankbar, mich auf potenzielle Gefahren hinzuweisen. Alles andere wäre ja naiv gewesen. Und in gewisser Weise entscheide ich mich auch dazu, mir Erfahrungsberichte anderer Personen durchzulesen. Das fördert natürlich auch meine selektive Wahrnehmung und macht mich besonders sensibel für Dinge, die andere vielleicht ausblenden. Andererseits wäre es aber ignorant, es nicht zu tun. Ebenso habe ich nicht danach gefragt, was Menschen in meinem Umfeld erlebt haben – aber es gehört leider genauso zum Alltag wie der sonstige Smalltalk. Man wird einfach ständig damit konfrontiert.
Gerade in solchen Situationen wie jetzt, wo ich allein im Bus sitze, stelle ich fest, wie sehr mich Sexismus doch in meinem Alltag einschränkt. Lange habe ich die Meinung vertreten, dass es uns hier ja hier viel schlechter treffen könnte – man möchte sich gar nicht ausmalen, was zum Beispiel gerade im Iran passiert, was woanders auf der Welt tagtäglich mit Frauen* geschieht. Immerhin werden wir nicht zwangsverheiratet, dürfen wählen gehen, können studieren und so weiter. Das stimmt natürlich alles und wird dann auch oft als Gegenargument aus dem Ärmel geschüttelt, ganz nach dem Motto „Jetzt beschwert euch mal nicht, wir sind ja schon viel weiter als in anderen Ländern oder vor 50 Jahren“. JA sind wir und das ist auch gut so. Eigentlich sollte das der Mindeststandard sein und es ist schrecklich, was so viele Frauen* und Mädchen* immer noch erleben müssen.
Manche Leute werfen Feminist*innen vor, mit solchen Texten oder dem üblichen „Gender-Gaga“ von wirklich sexistischen Problemen wie Zwangsheirat oder Ähnlichem abzulenken oder gar diese wirklichen Probleme zu degradieren, weil wir unsere Probleme in einen „Sexismus“-Topf mit den wirklichen Problemen werfen. Aber ich finde, so einfach ist es nicht. Es gibt nicht verschiedene sexistische Probleme, die man nach Priorität geordnet angehen muss. Es gibt EIN großes sexistisches Grundproblem, einen riesigen, scheinbar unüberwindbaren Berg Sexismus, dessen Gipfel vielleicht Vergewaltigung und Meinungsverbot ist. Das heißt aber NICHT, dass diese ganzen Erfahrungen, die wir alle machen müssen, diese ganzen Ängste, die wir alle tagtäglich mit uns rumschleppen, die ganzen Hürden, die wir haben und die Männer – so ist es eben einfach – nicht haben, irrelevant sind.
Welche Schlussfolgerung kann ich daraus ziehen? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich glaube, es ist eine Mammutaufgabe, diesen Berg nach und nach zu zerlegen, bis er hoffentlich ganz verschwunden ist. Das passiert nicht einfach so und das passiert auch nicht durch Männerhass, so wie es dem Feminismus häufig vorgeworfen wird. Ich möchte nicht alle Männer über einen Kamm scheren, ich habe viele männliche Freunde, die nicht blind sind, die sich ihrer Rolle bewusst sind und sich dementsprechend feministisch verhalten. Dass ich manchen Männern gewisse Absichten unterstelle, obwohl sie gar nicht darauf aus sind, tut mir leid und es macht mich auch wütend, denn diese Männer haben das nicht verdient. Und ich glaube auch nicht, dass der Mann als Person grundsätzlich beängstigend ist. Aber man kann irgendwann nicht mehr unterscheiden zwischen gut und böse, man beginnt tatsächlich, grundsätzlich skeptisch zu bleiben und sich dann lieber positiv überraschen zu lassen als andersherum.
Ich wollte mit diesem Text meinem Ärger einfach mal Raum geben. Ich möchte darauf aufmerksam machen, vielleicht erkennen sich ja manche Personen wieder oder können vielleicht mehr verstehen, warum FLINTA* Personen sich oft nicht wehren, wenn sie sexistisch angegangen werden. Der Sexismus ist so tief in unseren Köpfen drin, auch wenn wir uns im 21. Jahrhundert befinden und schon vieles besser ist. Es ist nicht unsere Schuld, wenn wir Angst haben.
Jetzt geht es meinem Ärger ein bisschen besser. Danke für eure Aufmerksamkeit und weiterhin wünsche ich allen Menschen – egal welchem Geschlecht sie sich zuordnen – ruhige Busreisen.
1) FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intersexuelle Menschen, transgender und agender, der Stern steht für alle Personengruppen, die in diese Defintion noch nicht eingeschlossen sind. Den Stern habe ich deshalb auch hinter Frauen* gesetzt, um zu zeigen, dass nicht nur weiblich gelesene Personen von Sexismus betroffen sind. Die FLINTA*-Bezeichnung wird oft auch kritisch betrachtet, ich wollte sie aber mit reinnehmen, um niemanden auszuschließen. Wie man das jetzt finden mag, bleibt jeder Person selbst überlassen.
2) Ich möchte hier keine „Einstufung“ von sexualisierter Gewalt vornehmen – sobald sich jemand in seinen eigenen Grenzen übergangen fühlt, ist dieses Verhalten „schlimm“. Egal welche Form von Gewalt es gab. Hier möchte ich nur verdeutlichen, dass es natürlich viele FLINTA*-Personen gibt, die noch viel krassere Dinge erlebt haben, ohne z.B. rein verbale Gewalt zu verharmlosen.
3) Auch wenn es natürlich auch weibliche Kinderschänderinnen gibt – aber das ist ein anderes Thema, bei uns war jedenfalls öfter von Männern die Rede.
Foto: Pixabay
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