Von Leipzig nach Lützerath: Klimaprotest im Rheinland
Rund um die Räumung des Dorfes Lützerath formiert sich im Januar ein breiter Widerstand der Klimabewegung. luhze-Autorin Margarete Arendt war vor Ort und berichtet über das Demo-Wochenende.
Tag X: Großdemonstration in Lützerath
„Kommt mit uns nach Lützerath“, heißt es in einem Post der Klimagruppierung „Fridays for Future Leipzig“ Anfang Januar auf Instagram. Es wird zur gemeinsamen Busanreise in das 400 Kilometer entfernte Dorf in Nordrhein-Westfalen eingeladen. Lützerath liegt direkt neben der Kohlegrube Garzweiler II, die zum Kohlekonzern RWE gehört und soll abgebaggert werden. Um dagegen zu protestieren ruft „Lützerath Unräumbar“ – ein breites Bündnis aus Umweltorganisationen – am 14. Januar zur Großdemonstration auf. Schon ab Freitag reisen unzählige Aktivist*innen in das neu aufgebaute Camp im Nachbarort Keyenberg, der etwa eine halbe Stunde zu Fuß von Lützerath entfernt liegt. Hier wurden von „Lützerath Unräumbar“ Flächen angemeldet, auf denen Protestierende ihre Zelte und Campingbusse abstellen können. Die ganze Nacht über kommen Reisebusse aus den verschiedensten Orten Deutschlands an, immer unter Aufsicht der Polizei, die Tag und Nacht Präsenz vor dem Eingang zum Camp zeigt. Immer wieder ist zu sehen, wie Anreisende kontrolliert und durchsucht werden. Auch aus Leipzig reisen einige Busse an, die von „Fridays for Future“ und dem BUND organisiert wurden. Die Anreise mit dem öffentlichen Nahverkehr wird erheblich durch die Sperrung der Straßen zu dem Ort Keyenberg erschwert. Auf Nachfrage teilt einer der Busfahrer*innen mit, er käme schlicht nicht mehr in den Ort hinein. Das Bündnis „Lützerath Unräumbar“ stellt einen dicht getakteten Shuttleservice von den umliegenden Bahnhöfen ins Camp. Und so sammeln sich am Tag der Demonstration rund 35.000 Menschen in Keyenberg und laufen bis zur Mahnwache von Greenpeace – in Sichtweite zum Ort Lützerath. Zu sehen sind Menschen aus verschiedensten Altersgruppen und politischen Hintergründen. Unterwegs hören die Demonstrierenden Redebeiträge von vernetzen Bewegungen, wie zum Beispiel von einem Aktivisten aus Bonn zur Revolution im Iran. Auch die Kundgebung wird von unterschiedlichen Redner*innen geprägt. Zu hören ist neben Greta Thunberg und Peter Donatus, ein in Deutschland lebender Umweltaktivist aus Nigeria, auch viel Live-Musik. Um im andauernden Regen und Wind bei Kräften zu bleiben, teilt das Aktionsbündnis kostenloses Essen an die Demonstrierenden aus. Eine junge Aktivistin erzählt, warum sie sich den Protesten in Lützerath angeschlossen hat:
„Ich bin hier, weil ich es wichtig finde, dass wir für das Bleiben von Lützi kämpfen und dass die Politik merkt, dass das, was sie machen, Menschen nicht glücklich macht. Und dass sie nicht für das Wohl von Menschen handeln, sondern für den Profit von großen Firmen wie RWE.“
Ein anderer Mensch ergänzt:
„Lützerath stellt die deutsche 1,5-Grad-Grenze dar und die darf unter keinen Umständen überschritten werden. Wir wollen hier dafür kämpfen, dass Deutschland eines der Länder ist und bleibt, dass fortschrittlich im Klimaschutz agiert.“
Polizeipräsenz rund um die Demonstration
Am Tag der Demonstration ist auf dem Weg von Keyenberg zur Kundgebung wenig Polizei zu sehen und auch um die Bühne herum stehen nur vereinzelte Polizeiwägen. Lange Zeit hindert auch niemand tausende Demonstrierende daran, bis zur Abbruchkante des Tagebaus zu laufen und ein Erinnerungsfoto vor dem Hintergrund Garzweiler II zu schießen. Dass dies schon auf privatem und gesperrtem Gelände geschieht, ist nicht ersichtlich, da weder Absperrungen noch Schilder zwischen Bühne und Tagebaukante zu sehen sind. Dafür ist von weitem zu beobachten, wie unzählige Mannschaftswägen der Polizei einen Ring um das Dorf Lützerath bilden. Der Konflikt zwischen der Polizei und den Klimaaktivist*innen konzentriert sich auf diesen Bereich, schon etwas abseits von der großen Masse. Einige tausend Menschen versuchen nach Lützerath zu gelangen und werden hierbei – teilweise unter massivem Einsatz von Gewalt – von Polizeikräften aufgehalten. In einer Pressemitteilung am Tag nach der Demonstration spricht die Polizei Aachen von einer „großen Gruppe von Störern“, die „erheblichen Druck auf die polizeilichen Sperren“ ausübten und diese zum Teil durchbrachen. Weiter heißt es: „Um die Störer von dem Eindringen in den Tagebau abzuhalten, setzte die Polizei Pfefferspray, den Einsatzmehrzweckstock und Wasserwerfer ein“. Die vielfach in den sozialen Netzwerken geteilte Gewalt, welche von Einsatzkräften ausging, wurde damit gerechtfertigt, dass Aktivist*innen bewusst gesperrtes Gebiet betreten wollten und Polizeiketten durchflossen.
Bericht der Demo-Sanitäter*innen
Ein anderes Bild vermittelt die Pressemitteilung der Demo-Sanitäter*innen, die am Montag nach der Demonstration veröffentlicht wurde. Geschildert wird hier die Ansicht von 49 Sanitäter*innen, die ehrenamtlich und anonym für die medizinische Versorgung auf der Demonstration sorgten, da laut ihnen keine weiteren öffentlichen Rettungsmittel bereitgestellt wurden. Sie bildeten 18 mobile Teams und stellten drei stationäre Behandlungsplätze. Über den Einsatz berichten sie: „Trotz ausgiebiger Vorbereitung unseres Einsatzes und der teils langjährigen Erfahrung unserer Sanitäter*innen, waren wir überrascht und erschüttert von der Brutalität und enthemmten Gewalt, die wir von Polizist*innen gegenüber Demonstrierenden gesehen haben.“ Die Sanitäter*innen schreiben weiter, dass sie zum Teil von der Polizei nicht zu verletzten Personen gelassen wurden. Für die Sanitäter*innen auffällig waren an dem Tag die häufigen Kopf- und Gesichtsverletzungen. Sie vermuten eine systematische Gewaltanwendungan diesen Körperteilen. Laut ihnen „braucht es keine medizinische Expertise, um zu erkennen, dass Kopf- und Gesichtsverletzungen unter Umständen dramatische Folgen für das weitere Leben der Betroffenen haben können und somit absolut unverhältnismäßig sind.“
Über diese Unverhältnismäßigkeit wird in den folgenden Tagen im ganzen Land diskutiert. In Leipzig erstattet das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ zusammen mit „Fridays for Future Leipzig“ im Nachgang der Demonstration Anzeige gegen die Polizei Aachen und den Polizeipräsidenten ein. Stellvertretend für Betroffene Personen klagen sie wegen Körperverletzung und Störung einer Versammlung.
Schutz suchen in „Unser aller Camp“
Wer über die Demonstration hinaus den Protest gegen die Räumung und Abbaggerung Lützeraths begleiten will, wird vom Aktionsbündnis „Lützerath Unräumbar“ dazu eingeladen in „Unser aller Camp“ zu übernachten. Zum Demo-Wochenende wird der bisher belegte Sportplatz um vier weitere Flächen in Keyenberg vergrößert, damit alle Aktivist*innen Platz finden. Seit Beginn der Räumung ist es für die Klimaaktivist*innen der Anlaufpunkt zum Übernachten, Sammeln und Organisieren. Ein Aktivist erzählt von der Küche, die für alle Menschen drei warme Mahlzeiten am Tag bereitstellt. Jeder würde spenden so viel es möglich ist und die anfallende Küchenarbeit wird von allen gemeinsam erledigt.
Aber nicht nur Essen, Trinken und medizinische Versorgung wird gestellt. Auch der moralische und emotionale Support kommt nicht zu kurz. Ein anderer Aktivist berichtet von vielen Strukturen im Camp, die Menschen unterstützen, die Probleme haben oder sich unwohl fühlen.
„Es gibt viele Safer Spaces für verschiedenste Gruppen und da habe ich das Gefühl, dass sich die Menschen hier schon sehr viel Mühe geben aufeinander Acht zu geben. Gleichzeitig fühle ich mich sehr wohl, weil ich hier wirklich die Person sein kann, die ich sein will. Und das Gefühl habe ich nicht so oft, wenn ich mich durch die normale Gesellschaft bewege.“
Was bleibt?
Auch die Tage nach der Großdemonstration bewegen sich immer wieder kleinere Demonstrationen vom Camp aus vor das abgesperrte Lützerath. Sie werden unter anderem unterstützt durch Greta Thunberg, die sich noch einige Tage im Camp aufhält. Gleichzeitig üben hunderte Menschen in verschiedenster Weise zivilen Ungehorsam aus, um ihren Widerstand gegen die Räumung deutlich zu machen. Hierbei werden zum Beispiel Zufahrten oder Bagger blockiert. Seit Montag sind alle Aktivist*innen aus Lützerath geräumt und laut RWE sollen die Bagger den Boden des Dorfes im März oder April diesen Jahres erreichen. Was von Lützerath bleibt sind die Konflikte rund um Klimaziele, Parteilinien und Polizeigewalt. Und eine dicht vernetzte Klimabewegung, deren Forderung nach Klimagerechtigkeit nicht mehr zu überhören ist.
Was zuvor geschah: Warum Lützerath?
Die Ampel-Koalition hat im Herbst letzten Jahres einen Abkommen mit RWE geschlossen, das beinhaltet, dass fünf Dörfer – die sonst das gleiche Schicksal ereilt hätte wie Lützerath – stehen bleiben dürfen und der Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorgezogen wird. Das Dorf Lützerath, das schon seit längerem im Fokus der bundesweiten Berichterstattung und Klimabewegung steht, soll allerdings noch abgebaggert werden. Die Bundesregierung belegte mit einer Studie, die RWE in Auftrag gegeben hatte, dass die Kohle unter Lützerath gebraucht werde. Die Klimabewegung kontert mit einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dass die Kohle nicht gebraucht werde. Stattdessen bedeutet die Verbrennung der Kohle in ihren Augen, dass Deutschland das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr erreichen könne.
Leipziger Grüne stehen hinter den Protesten
Besonders für die Regierungspartei Bündnis 90/Die Grünen bedeutet Lützerath eine Zerreißprobe. Während die Partei offiziell hinter der Entscheidung steht, Lützerath abzubaggern, distanzieren sich Einzelpersonen und Kreisverbände von dieser Linie. Auch die Grüne Jugend stellt sich gegen eine Räumung und solidarisiert sich mit den Protesten. Zum Tag der Großdemonstration stellt die Grüne Jugend Leipzig in einem Post klar:
„Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die in Lützerath für einen bewohnbaren Planeten und unsere Zukunft kämpfen“.
Der Kreisverband der Grünen in Leipzig gibt ebenfalls eine Pressemitteilung zum Thema Lützerath heraus und distanziert sich von der bundesweiten Parteilinie mit der Forderung „vor dem Hintergrund der Klimakatastrophe und angesichts der vorliegenden Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen das Gespräch mit dem Stromversorger noch einmal aufzunehmen.“ Vorstandssprecherin Ulrike Böhm habe sich auch an den Protesten vor Ort beteiligt. „Wir Leipziger Grüne verstehen, wie groß die Verzweiflung in den For-Future-Gruppen und in den vorpolitischen Organisationen der Klimabewegung angesichts der schon jetzt so deutlich spürbaren Folgen der Erderhitzung ist“.
Foto: Margarete Arendt
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