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  • „Ich bin auch bereit, dafür Opfer zu bringen“

    luhze Autor Niklas hat mit dem Journalist Marco Brás Dos Santos über kritische Berichterstattung und Einschränkungen der Pressefreiheit gesprochen.

    Marco Brás Dos Santos dokumentierte im November 2019 den Protest des Aktionsbündnisses „Ende Gelände“, bei der eine vierstellige Zahl von Aktivist*innen den Braunkohletagebau Vereinigtes Schleenhain südlich von Leipzig blockierte. Das Betreiberunternehmen Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) reagierte mit Strafanzeigen nicht nur gegen Aktivist*innen, sondern auch gegen Brás Dos Santos und weitere Journalist*innen. Kürzlich wurde er vom Amtsgericht Borna zu zehn Tagessätzen von jeweils 15 Euro auf Bewährung verurteilt. Mit luhze-Autor Niklas Pfeiffer hat er über Pressefreiheit, ihre Gefährdung und Verantwortung im Journalismus gesprochen. 

    Wieso willst du das Urteil nicht anerkennen, obwohl das Strafmaß vergleichsweise gering ist?
    So wie andere Kolleg*innen auch bin ich der Ansicht, dass wir nichts Rechtswidriges getan haben. Wir befinden uns in einer rechtlichen Grauzone, in der einerseits das Eigentumsrecht der Mibrag ins Gewicht fällt, andererseits aber das Recht auf Pressefreiheit, das heißt, Aktionen von öffentlichem Interesse zu begleiten. In diese Grauzone sticht die Mibrag hinein und stellt Anzeigen. Und wir denken, es ist wichtig, das Recht auf Pressefreiheit vor Gericht zu erkämpfen und damit klare rechtliche Verhältnisse für solche journalistische Arbeit zu schaffen. 

    Der Leipziger Journalist Marco Brás Dos Santos berichtet über Politik und Protest. Foto: privat

    Für dich als Journalist gelten also besondere Regeln beim Begleiten von Ereignissen von öffentlichem Interesse?
    Korrekt. Wir stützen uns auf Artikel 5 des Grundgesetzes, Meinungs- und Pressefreiheit, in dem der Anspruch auf freie Berichterstattung juristisch verankert ist. Es wurden aber auch mehrere Mitglieder des Sächsischen Landtages angezeigt, die als parlamentarische Beobachter*innen vor Ort waren. Sie haben zwar keinen entsprechenden rechtlichen Anspruch, aber man sollte sich fragen, warum ein Unternehmen sich aktiv dafür entscheidet, solche Anzeigen zu stellen. Wir vermuten, dass eine Strategie dahintersteht. Und das haben wir herausgearbeitet. 

    Was für eine Strategie vermutest du?
    Im Rahmen dieser Prozesse sind wir vor allem durch „Ende Gelände“ darauf gekommen, dass dahinter eine Strategie steckt: sogenannte Strategic Lawsuits Against Public Participation (SLAPP). Es handelt sich um Klagen gegen Medienverteter*innen, die damit eingeschüchtert werden sollen, um kritische Berichterstattung zu unterbinden. Das ist weltweit ein Phänomen. Dagegen haben sich bereits Gruppen und Bündnisse formiert und teilweise beginnen die Gesetzgeber, wie zum Beispiel die EU-Kommission, auf das Problem zu reagieren. 

    In anderen europäischen Ländern wie Kroatien und Polen sind solche Prozesse so gängig, dass sie im EU-Rechtstaatlichkeitsbericht als Gefahr für die Pressefreiheit genannt werden. Wie schätzt du die Situation in Deutschland ein?
    Die Praxis ist bekannt. Es kommt immer wieder vor, gerade bei Klimaprotesten im Westen, dass Journalist*innen Polizeigewalt ausgesetzt sind oder von Unternehmen wegen Hausfriedensbruchs angezeigt werden, Schadensersatzansprüche geltend gemacht oder Unterlassungserklärungen gefordert werden. Das Kind hatte bislang noch keinen Namen und wir haben das jetzt klar als SLAPP-Strategie identifiziert. Nun wollen wir das im Rahmen der Prozesse, die aktuell rund um die Mibrag geführt werden, bekannter machen. 

    Welche Rolle spielen Polizei und Staatsanwaltschaft in solchen SLAPP-Prozessen?
    Ich würde sagen, die Strafverfolgungsbehörden sind sich dieser Strategie bislang noch nicht bewusst. Und so spielen sie alle einfach ihre Rolle und machen ihren Job. Die Polizei stellt mich als Täter fest. Die Staatsanwaltschaft hat formaljuristisch ein Problem auf dem Tisch liegen und ermittelt das. Da gibt es natürlich etwas Ermessensspielraum. Sie könnten zum Beispiel sagen: „Wir haben hier einen Pressevertreter, der seine Arbeit macht, wir ermitteln da nicht weiter und stellen das ein.“ Aber in diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft einfach weiter ermittelt, was ich darauf zurückführe, dass es möglicherweise auch ein konstruktives Konkurrenzverhältnis gibt, weil ich im Rahmen meiner Arbeit hin und wieder mit Polizei und Staatsanwaltschaft zu tun habe und auch kritisch berichte. 

    Also hat nicht nur die Mibrag, sondern auch die Staatsanwaltschaft ein Interesse daran, dich als polizeikritischen Pressevertreter zu verfolgen?
    Das ist eine These. Wie gesagt, es gibt ein konstruktives Konkurrenzverhältnis zwischen Journalismus, Polizei und Staatsanwaltschaft. Und das ist auch gut so, weil wir eine Kontrollfunktion haben. Dagegen spricht allerdings, dass auch ein honoriger LVZ-Fotograf angezeigt wurde und auch da das Verfahren einfach weiterbetrieben wurde. Ihm kann man nicht unterstellen, dass er besonders klimaversiert oder ein Feindbild der Polizei oder Staatsanwaltschaft ist. Andererseits haben wir mit dem Fotografen Tim Wagner, dessen Arbeit während der Tagebaublockade als Sächsisches Pressefoto des Jahres 2019 ausgezeichnet wurde, einen sehr versierten Klimafotografen, der ebenfalls angezeigt wurde. Hier wurde umfangreich ermittelt: Es wurden Journalist*innenverbände angefragt, wie lange und ob Wagner dort schon Mitglied ist, und IP-Adressen von Webseiten ausgelesen. Es findet sich eine dicke Ermittlungsakte, was ich persönlich für sehr übergriffig halte. Da stellt sich die Frage: Was soll damit beabsichtigt werden? 

    Auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion hat den Prozess gegen dich als Angriff auf die Pressefreiheit gewertet. Wo aber liegt die Grenze zwischen einer legitimen Klage und einem Einschüchterungsversuch?
    Auch das ist, wie bei Ermittlungen insgesamt, eine Frage des Ermessens. Der Ermessensspielraum sollte auch Journalist*innen zugutekommen. Es ist völlig klar, dass ich nicht in ein Haus einbreche, um irgendetwas von öffentlichem Interesse zu dokumentieren. Aber in diesem Fall geht es um über tausend Menschen, die in die Kohlengrube gestiegen sind, die nebenbei bemerkt auch überhaupt nicht umfriedet ist, und einen großen Polizeieinsatz. Daraus ergibt sich ein öffentliches Interesse. Hier kann man also klar sagen, dass es sich um einen Einschüchterungsversuch durch das Unternehmen handelt. Es ist da kein Hausfriedensbruch begangen worden. 

    Du hast angekündigt, gegen das Urteil vorzugehen. Was willst du mit dem Einspruch erreichen?
    Es ist wichtig, einen Freispruch zu erlangen, und es ist mir sehr recht, wenn dieser von einem Gericht mit höherer Autorität kommt, damit sich Journalist*innen in anderen Bundesländern und vielleicht sogar in anderen Ländern darauf beziehen können. 

    Was bedeutet so ein Verfahren für betroffene Journalist*innen?
    Da ich ursprünglich aus dem aktivistischen Kontext komme, bin ich es gewohnt, hin und wieder mit Klagen zu tun zu haben. Gleichzeitig gehe ich aber auch selbst in die Offensive und erklage mein Recht. Ich sehe nichts Schlimmes daran, dass Gerichte beansprucht werden, um Rechte durchzusetzen. Das ist ein rechtsstaatliches Mittel und von daher bin ich da ganz entspannt. Eine Verurteilung in diesem Sinne würde für mich persönlich bedeuten, dass ich vorbestraft bin. Das ist für mich nicht so relevant. Wenn es allerdings andere Journalist*innen trifft, die in einem festangestellten Verhältnis sind, kann sich das auf die berufliche Perspektive auswirken, da es wahrscheinlich nicht jeder Redaktion gefällt, vorbestrafte Mitarbeiter*innen zu haben.  

    Als Leipziger arbeitest du laut Europäischem Zentrum für Presse- und Medienfreiheit in dem Bundesland mit den meisten pressefeindlichen Übergriffen im Jahr 2021. Auch in den Jahren davor führte Sachsen immer wieder das Ranking an. Wie schätzt du die Entwicklung der Pressefreiheit in Sachsen und in Leipzig ein?
    Ich denke, das ist ein Problem auf verschiedenen Ebenen. Einerseits haben wir eine Bevölkerung, die in Teilen recht demokratiefern und auch pressefeindlich ist. Da muss man als Presse irgendwie reagieren. Ich bin der Ansicht, dass konstruktiver Journalismus eine Möglichkeit ist. Die andere Ebene ist die rechtsstaatliche, also Ermittlungsbehörden oder Behörden insgesamt. Da sehe ich auf jeden Fall Verbesserungen aufgrund der Kritik, die in den letzten Jahren öffentlich geworden ist. 

    Klimaprotest nimmt vermehrt Formen an, die stärker in den Alltag der Menschen eingreifen und als radikaler empfunden werden: Aktivist*innen blockieren Flughäfen, Autobahnen und begehen Sachbeschädigungen. Was bedeutet das für Menschen wie dich, die über Protest berichten?
    Ich stehe halbwegs neutral daneben, gucke mir das an. Persönlich finde ich es sehr gut, dass sich Menschen mit der Thematik auseinandersetzen, sich für etwas einsetzen. Ein Problem für die Berichterstattung ist das in meinen Augen nicht. Ich würde mir sogar wünschen, dass Medienschaffende nicht auf den Zug aufspringen und mit Stichworten wie Terrorismus versuchen, Klickzahlen zu generieren, sondern einfach mit einem gesunden Menschenverstand draufgucken. 

    Sollte es demnächst noch einmal Proteste gegen Tagebauten im Leipziger Land geben, was ist dir dann wichtiger: Berichterstattung oder ein leeres Vorstrafenregister?
    Sagen wir so: Ich stehe für die Pressefreiheit und bin auch bereit, dafür Opfer zu bringen. 

     

    Foto: Tim Wagner

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