• Menü
  • Film
  • Ein Erbe gegen Unterdrückung und Ausgrenzung

    „Wo ist Anne Frank“ von Ari Folman zeigt uns, was wir aus Anne Franks Tagebüchern wirklich lernen sollten.

    Anne Frank wurde, wie viele weitere Menschen während des Zweiten Weltkriegs, von den Nationalsozialisten ermordet. Vor ihrer Deportation versteckte sie sich mit ihrer Familie für zwei Jahre in einem Haus in Amsterdam. Während dieser Zeit führte Anne ein Tagebuch, das mittlerweile zu einem der wichtigsten Werke der Weltliteratur geworden ist. Als moderne Interpretation ihrer Geschichte und deren Bedeutung für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts erschien 2021 der Animationsfilm „Wo ist Anne Frank“.

    Im neuesten Werk des israelischen Regisseurs Ari Folman spielt, entgegen meiner Erwartung, nicht Anne die Hauptrolle, sondern ihre imaginäre Freundin Kitty, der Anne zu ihrer Zeit im Versteck mehrere Briefe schrieb. Kitty erwacht im gegenwärtigen Amsterdam aus Annes Buch zum Leben. Dabei muss sie nicht nur feststellen, dass ihre beste Freundin unauffindbar zu sein scheint, sondern auch, dass das Versteck der Franks mittlerweile ein Museum ist, durch das sich täglich tausende Menschen quetschen. Heraus aus dem Schutze des Hinterhauses, in dem sie unsichtbar ist, begibt sich Kitty auf die Straßen der Stadt. Sie will ihre Freundin finden, doch stößt nur auf Orte, die nach Anne benannt sind. Es gibt eine Anne-Frank-Brücke, ein Anne-Frank-Theater und -Krankenhaus, aber keine Spur von ihrer Freundin. Unwissend darüber, dass Anne und ihre Angehörigen bereits vor über 75 Jahren deportiert wurden, beginnt sie, mehr und mehr aus dem Tagebuch zu lesen, wodurch sich ihr Schicksal immer weiter erschließt. Auf ihrer Reise lernt Kitty auch Peter kennen. Er wohnt mit vielen weiteren migrantischen Personen in Containern am Rande der Stadt. Fast täglich bekommen die Menschen dort Besuch von der Polizei, die angesichts geplanter Abschiebungen Namen ausruft. Peter zeigt Kitty, wie Migrant*innen heute ausgegrenzt werden und mit welchen Problemen Minderheiten nach ihrer Ankunft im wohlhabenden Europa zu kämpfen haben.

    Durch Annes Tagebuch erwacht ihre Freundin Kitty zum Leben.

    „Wo ist Anne Frank“ ist eine außergewöhnliche und kritische Auseinandersetzung mit den Tagebüchern und ihrer heutigen Bedeutung. Während durch Animationsstil und Erzählweise der Eindruck entstehen könnte, er würde auf ein jüngeres Publikum abzielen, bietet der Film für sämtliche Altersklassen eine einfache Möglichkeit, sich mit der Thematik zu beschäftigen. Dadurch, dass Folman Anne Franks Erzählungen nicht nur leicht verständlich aufbereitet, sondern diese auch in den Kontext mit der Gegenwart setzt, begann ich, in eine Richtung zu denken, die ich bis dahin kaum wahrgenommen hatte. Während zahlreiche Wahrzeichen und Gebäude nach Anne Frank benannt sind, scheint ihre Botschaft nicht bei den Menschen angekommen zu sein. Weltweit herrschen weiterhin Unterdrückung und Unrecht, während Anne und ihr Buch zur Ware wurden. Theater und Kinos sind ausverkauft, wenn Stücke über ihre Geschichte gezeigt werden, daraus zu lernen scheinen jedoch die Wenigsten. Es wird deutlich, dass Anne Frank nicht in erster Linie zu unserer Unterhaltung Tagebuch schrieb oder weil sie damit erfolgreich werden wollte. Dennoch wird die Dokumentation ihres Schicksals, das stellvertretend für die unzähligen Opfer des nationalsozialistischen Regimes steht, oftmals genau so behandelt.

    Das Versteck befindet sich im Hinterhaus einer Firma.

    Mich hat der Film sehr mitgerissen. Ich finde die Mischung aus spielerischer Handlung und tiefgründigem Fokus auf die Botschaft Anne Franks sehr gelungen.

    „Wo ist Anne Frank“ wurde bereits für mehrere internationale Filmpreise nominiert und ist ab 23. Februar 2023 in den Kinos zu sehen.

     

    Fotos: Filmgrade

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    „Wir alle sind Überlebende“

    Sami Steigmann verbrachte seine ersten Lebensjahre in einem ukrainischen Arbeitslager der Nationalsozialisten. Heute reist der 79-Jährige als Motivationssprecher durch die Welt.

    Interview | 21. Juni 2019

    Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

    Vor einem Jahr ist der Hentrich & Hentrich-Verlag für jüdische Kultur und Zeitgeschichte nach Leipzig gezogen. Unser Autor Maximilian Berkenheide hat sich mit Verlagschefin Nora Pester unterhalten.

    Kultur | 26. August 2019