„Deine Zwanziger kommen nie wieder!“
Dauerstress im Studium. Kolumnistin Greta weigert sich, ihr Studium als die schönste Zeit ihres Lebens zu begreifen.
Wochenende bei der Familie. In wenigen Stunden sitze ich schon im Zug zurück nach Leipzig. Morgen früh muss ich um sieben Uhr arbeiten. Beim Kaffeetrinken kommt das Gespräch irgendwann auf mein Studium. Ein Satz fällt, in etwa wie: „Ah, da studierst du so ein wenig vor dich hin, was?“ oder noch schlimmer: „Das Studium ist die schönste Zeit deines Lebens – genieß‘ es.“ Ich nicke und wechsle das Thema.
Ich bin einundzwanzig und fühle mich momentan einem Burnout näher als einem Gefühl von Glück. Der Gedanke, dass das der Höhepunkt meines Lebens sein soll, stimmt mich verzweifelt. Das ist aber nichts, was ich bei Omas Käsekuchen besprechen möchte.
Ich studiere weder Jura noch Medizin. Deshalb verstehe ich, dass meine Familie denkt, dass „irgendwas mit Kultur“ ja potenziell nur entspannt sein kann. Jedoch muss ich, wie viele, zur Finanzierung neben dem Studium arbeiten. Ich bin angewiesen auf zeitintensive Hobbys (wie das Schreiben dieser Kolumne), weil mein Studium alleine nicht genügend berufliche Qualifikation vermittelt. Viel Zeit zum Leben genießen bleibt da schon so nicht. Wenn man aber, wie ich, nicht auf sein Sozialleben verzichten möchte, dann müsste ein einziger Tag eigentlich doppelt so viele Stunden haben.
Die meisten Tage müssen deshalb perfekt durchgetaktet sein, sonst gerät alles durcheinander: morgens Texte für die Uni lesen und eine Vorlesung anhören. Im Anschluss acht Stunden arbeiten und um Mitternacht in der Kneipe mit den Freund*innen solange sitzen bis einem die Augen zufallen. Auch diese Kolumne schreibe ich nach einer achtstündigen Spätschicht an der Supermarktkasse.
Ja, ich gebe zu: Ich habe mir meine Zwanziger entspannter vorgestellt.
Wenn mir Menschen in ihren Fünfzigern von ihrem Studienalltag erzählen, dann hört sich das an wie ein Märchen oder ein Jugendroman: ein WG-Zimmer für ein paar D-Mark, Partys und politische Aktionen immer und überall und irgendwo daneben auch noch ein Studium. Mit meinem Studienalltag hat das offensichtlich wenig gemeinsam.
Was aber dagegen tun? Das Offensichtlichste wäre, sein Studium einfach abzubrechen oder einen Systemsturz zu verüben (wobei zweiteres den Stress wohl erstmal erhöhen würde). Ich möchte aber weiter studieren und eigentlich auch nichts von dem aufgeben, was ich sonst so mache, obwohl es so viel Stress bedeutet. Mein Versuch gerade: eins nach dem anderen machen. Ich muss zwar arbeiten gehen, aber der Rest hat kein zeitliches Ablaufdatum. Weniger Module belegen, auf ein Projekt nebenbei konzentrieren statt drei.
Ich glaube trotzdem nicht, dass mein Studium jemals die schönste Zeit meines Lebens sein wird, und das ist ok. Alles, was ich machen kann, ist zu versuchen, mir den Raum zu nehmen, den ich für mich brauche. Und vielleicht erzähle ich meiner Familie das nächste Mal auch einfach die Wahrheit, wenn ich gefragt werde, wie mein Studium läuft und riskiere, allen das Kaffeekränzchen zu versauen.
Falls euch die geschilderten Gedanken bekannt vorkommen oder ihr Abbruchgedanken bezüglich eures Studiums habt, findet ihr unter https://studentenwerk-leipzig.de/psychosoziale-beratung Beratungsangebote des Studentenwerks Leipzig.
Fotos: privat
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