Himmel oder Hölle
Der Flughafen Leipzig/Halle soll ausgebaut werden. Als wichtiges Frachtdrehkreuz lockt er Unternehmen und damit Arbeitsplätze nach Mitteldeutschland. Mit im Gepäck: nächtlicher Lärm und Treibhausgase.
Nachts wird es am Flughafen Leipzig/Halle immer besonders laut. Denn dann erwacht der zweitgrößte Frachtflughafen Deutschlands erst so richtig zum Leben. Während tagsüber meist nur ein paar Urlaubsflieger abheben, starten und landen jede Nacht zwischen 22 und 6 Uhr etwa 80 bis 90 Frachtflugzeuge. Die meisten davon im Auftrag des Post- und Logistikkonzerns DHL, der in Sachsen seit 2008 sein weltgrößtes Drehkreuz für den Paketversand betreibt. Möglich gemacht hat das eine in Deutschland seltene Erlaubnis für Nachtflüge mit Expressgut.
DHL musste damals nach Protesten gegen Fluglärm mit seiner Brüsseler Europabasis für Expressfracht umziehen. Eine neue Heimat bot der Leipziger Flughafen, dessen Passagierzahlen schon damals deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben und der nun auf das Frachtgeschäft hoffte. Versüßt wurde der neue Leipziger Standort, dessen Betreibergesellschaft vollständig in öffentlicher Hand ist, neben der Nachtflugerlaubnis mit deutschlandweit konkurrenzlos niedrigen Gebühren für Starts und Landungen. Vorteile, die sich auch die Bundeswehr und das amerikanische Militär nicht entgehen ließen. Doch die günstigen Entgelte haben ihren Preis. Obwohl das internationale Frachtgeschäft boomt und DHL für 2022 mit einem Rekordgewinn von etwa acht Milliarden Euro rechnet, bleibt der Flughafen unwirtschaftlich: Seitdem 2007 die zweite Landebahn für das DHL-Drehkreuz gebaut wurde, machte die staatliche Betreibergesellschaft bis 2020 knapp 600 Millionen Euro Verlust. Diese müssen letztlich jedes Jahr durch Steuermittel ausgeglichen werden. Als Hauptaktionär subventioniert der Freistaat Sachsen so den Flughafen jährlich mit zweistelligen Millionenbeträgen.
Zu diesen Kosten kommen nun wahrscheinlich neue Investitionen durch die sächsische Landesregierung. Durch das wachsende Frachtaufkommen braucht DHL mehr Platz für größere Flugzeuge. Das DHL-Vorfeld soll vergrößert werden, um mehr der großen Maschinen direkt vor der eigenen Haustür abstellen zu können. „Wir stoßen am Flughafen Leipzig/Halle schon jetzt an unsere Grenzen“, erklärt DHL-Sprecher Mattias Persson. Der Bedarf für den Ausbau sei eindeutig da.
Insgesamt will die Flughafengesellschaft 500 Millionen Euro in die Hand nehmen, um die neuen Abfertigungsflächen sowie Büro- und Logistikgebäude zu bauen. Durch den Ausbau möchte der Flughafen einerseits den schon ansässigen Frachtunternehmen DHL Express und Amazon Air entgegenkommen, aber auch neue Unternehmen nach Leipzig lotsen. Seit ein paar Jahren steht die Ansiedelung des chinesischen Frachtkonzerns SF Express im Raum.
„Der Airport ist ein Wirtschafts- und Jobmotor für die gesamte Region“ sagt Persson, denn viele Unternehmen hätten sich nur wegen der Nähe zum DHL-Drehkreuz in Leipzig angesiedelt. Auch die Stadt Leipzig und der Flughafen betonen die Strahlkraft des Frachtairports, die weit über Leipzig hinausreiche. So wäre dieser auch für den Chipproduzenten Intel und seinen geplanten Standort im 100 Kilometer entfernen Magdeburg ein Argument gewesen. Aktuell arbeiten rund 13.000 Menschen am Flughafen, viele weitere seien indirekt davon abhängig, so die Stadt Leipzig. Im Zuge des Ausbaus sei mit weiterwachsenden Beschäftigungszahlen zu rechnen.
Diese Ansicht teilt Peter Richter vom Aktionsbündnis gegen den Flughafenausbau nicht, wenn er vom „Fluchhafen“ spricht, gegen den Bürgerinitiativen und Klimaschützer*innen in den letzten Jahren bereits mehrere Proteste organisiert haben. Natürlich werde es neue, aber vor allem billige Arbeitsplätze geben, führt der Fluglärmgegner aus. Von diesen würde nicht die hiesige Bevölkerung profitieren, weil niemand dort arbeiten wolle. „Schon jetzt gibt es 800 offene Stellen am Flughafen, die nicht besetzt werden können“, erzählt Richter. Die DHL rekrutiere zunehmend Menschen aus anderen europäischen Regionen, die dann hier für die Dauer ihres Jobs in Containern leben müssten. „Solche Arbeitsplätze brauchen wir hier überhaupt nicht“
Die Anwohner*innen fürchten, dass es in Zukunft durch den Ausbau noch lauter wird. Im Antrag für den Ausbau rechnet der Flughafen mit einem möglichen Anstieg der Flugbewegungen um 60 Prozent. Schon jetzt sei Schlaf häufig Mangelware: „Vor den Fluglärmgeräuschen, die nachts durch Dach und Wände sogar nochmal verstärkt auf einen einwirken, sollen uns dann die vor 20 Jahren eingebauten Schallschutzfenster abschirmen.“ klagt Richter. Dass es jemals zu einem Nachtflugverbot beim „Billigmaxe unter den europäischen Flughäfen“ kommen werde, hält er für unwahrscheinlich. Der Freistaat Sachsen hatte DHL damals vertraglich garantiert, 500 Millionen Euro Schadensersatz zu zahlen, falls bestimmte Bedingungen wie Nachtflüge nicht erfüllt würden.
„Wir verstehen, dass die Erweiterungs-Pläne unseres DHL-Drehkreuzes bei Teilen der umliegenden Gemeinden zu Unsicherheit führen und Sorgen auslösen“, räumt DHL-Sprecher Persson ein. Welche Auswirkungen der wachsende Standort auf den Fluglärm habe, kann der Konzern aber noch nicht sagen. Die Flotte werde stetig mit effizienteren und leiseren Maschinen erneuert. Weniger Flüge würden es aber definitiv nicht werden, sagt Persson.
Auch Flughafen und Stadt geben zur zukünftigen Lärmbelastung keine Prognose ab, verweisen aber auf schon bestehende Schallauflagen und den engen Austausch mit dem Fluglärmbeauftragten. Zudem sollen Auswirkungen des Ausbaus auf Menschen, Umwelt und Klima beim Genehmigungsverfahren berücksichtigt werden. Richter entgegnet, die Politik höre sie zwar an, ihnen aber nicht zu. Durch die Klimakrise sei die Zukunft des Flughafens zumindest absehbar. „Ein ‚Weiter so‘ wird es bald nicht mehr geben können, weil uns die Realität in den nächsten Jahren einholt.“ Der Flughafen gibt an, bis 2030 klimaneutral werden zu wollen, auch DHL kündigt weltweit Milliarden für eine emissionsärmere Logistik an. Ob diese selbstgesteckten Ziele ausreichen, um noch rechtzeitig zur Eindämmung der Klimakrise beizutragen, wird vor allem von den Ausbaukritiker*innen bezweifelt.
Die Ausbaupläne liegen, wie inzwischen über 6500 Einwendungen dagegen, seit 2020 bei der Landesdirektion Sachsen, die den Antrag dieses Jahr genehmigen könnte. Sollte dieser bewilligt werden, möchte das Aktionsbündnis klagen.
Fotos: Deutsche Post AG
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