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  • Ich habe mich getraut

    luhze-Autorin Magdalena hat sich das erste Mal gegen eine sexistische Anmache gewehrt. Von ihrer Wut und dem Gefühl der Unbesiegbarkeit erzählt sie in ihrer Kolumne.

    Montagabend in Leipzig. Meine beste Freundin und ich laufen über die Eisi. Wir suchen uns einen Dönerladen aus, essen Falafel und Halloumi und reden viel. Wir haben uns lange nicht gesehen (fast zwei Wochen, ohje) und holen die Zeit gemeinsam wieder auf. Wir sind die letzten im Bistro und kriegen noch einen Tee ausgegeben. Wir wollen noch nicht, dass der Abend endet, und gehen auf ein Kaltgetränk ins Goldhorn. Irgendwie witzig – Montagabend in einer Bar. Wir trotzen der aufkommenden Woche und halten einfach noch ein bisschen das Gefühl vom Wochenende fest.  

    Wir zeigen uns Fotos auf dem Handy, erzählen, wie es uns derzeit so geht, was bald ansteht. Für uns beide ist es eine intensive, ja eigentlich eine stressige Zeit. Viel Veränderung steht uns bevor und Erlebnisse aus der Vergangenheit beschäftigen uns immer noch, aber wir sind jetzt gerade zu zweit, pausieren kurz alles um uns herum und da wir darüber reden können, wird es schon für einen Moment ein Stückchen leichter. Einfach ein echt schöner Abend. 

    Plötzlich sagt meine Freundin, dass sie sich von den zwei männlich gelesenen Typen, die vielleicht einen halben Meter hinter mir sitzen, beobachtet fühlt. Die Pause ist vorbei und der Startknopf der Realität wurde gedrückt. 

    Ich höre sie lachen und tuscheln. Ich merke – über uns. Ich kann Sätze wie „Hoffentlich noch unter 18“ verstehen. Die ersten Ansätze von Ekel machen sich in meinem Körper bemerkbar. 

    Ich setze mich zum Schutz meiner Freundin weiter vor sie, damit die Männers sie nicht weiter im Blick haben können – ein erster Mechanismus, den bestimmt viele FLINTA* kennen. Den Ausschnitt bedecken, weil der Typ gafft. Die „Ich habe einen Freund“-Ausrede bringen, obwohl man einfach nur kein Interesse hat.  

    Wir stehen auf und wollen den Heimweg antreten. Während meine Freundin sich anzieht und ihr Getränk austrinkt, sehe ich das, was sich die ganze Zeit hinter meinem Rücken abgespielt hat, und kann meinen Augen kaum trauen.  

    Zwei schätzungsweise fast 40-Jährige schauen zu ihr rüber. Sie schauen nicht nur, sie gaffen. Drücken ihre Augäpfel aus den Augenhöhlen hervor und glubschen sie an, kneifen die Lider zusammen, der eine schmatzt sogar, so als ob er sie gleich fressen würde. So etwas Unschönes ist mir wirklich noch nie unter die Augen gekommen. Es ist so einzigartig primitiv – ich kann nicht aufhören hinzugucken, weil es so schlimm aussieht.  

    Leider schon über 18. Kolumnistin Magda (links) und ihre Freundin am Abend in der Bar.

    Diese „Einzigartigkeit“ bringt mich zum Handeln. Ich kann nicht anders, ich muss was sagen. Ich merke, wie ein ungewohntes Gefühl, angefangen in meinen Beinen, bis zu meinem Kopf hochbrodelt und Wörter in meinen Mund legt. 

    „Sag mal, kannst du das mal lassen?“, fahre ich ihn an und zeige wütend auf sein Gesicht. Er guckt mich an. „Was denn?“, fragt er. Diese Frage ist so dumm, ich gehe nicht auf sie ein. Er weiß ganz genau, was ich meine, das sehe ich ihm an. „Sowas Ekelhaftes hab‘ ich ja echt noch nie gesehen, oh mein Gott“, höre ich mich sagen, beinahe lachend, aber immer noch wütend – entsprechend dieser paradoxen Situation kann ich gar nicht entscheiden, wie ich reagieren möchte. „Weißt du eigentlich, wie ekelhaft das ist?“ Ich bin so voller Wut, dass ich fast nicht weiß, was ich sagen soll. Eine Sekunde lang überkommt mich wieder ein Gefühl der Unsicherheit, weil ich gerade checke, in was für einer Situation ich mich befinde. Ich weise ihn weiter zurecht, kläre ihn über seine Handlung auf, während ich über seinen Tisch gebückt stehe. Sein Freund hält die Hände spielerisch erschrocken vor den Mund. „Wehe, du schaust meine Freundin nochmal an“, zische ich ihn an und zeige bedrohlich auf ihn.  

    Ich gehe mit starkem Schritt und mit meiner Freundin an der Seite hinaus. Im Gehen sage ich nochmal laut, wie ekelhaft und peinlich ich ihn finde und drücke die Tür auf in die kalte Nacht. Ich kann das warme Pochen in meinen Adern spüren, das von Wut und Empörung angetrieben wird.  

    Da taucht aber noch ein Gefühl auf, ein Gefühl der Unbesiegbarkeit. Das pochende Blut schwingt beinahe in Übermut über. Egal, ich lasse es zu – es tut verdammt gut. Als hätte sich da was angestaut, über die ganzen Jahre, in denen man schon von klein auf so viele Unsicherheiten sozialisiert bekommen hat – und das endlich etwas Freiraum bekam.  

    Ich erinnere mich an beängstigende Situationen, in denen ich zu verunsichert war, um einer sexistischen Anmache die Stirn zu bieten. Wenn Männer mir zu nahe kamen oder Fotos von mir im Bus machten oder mir ein Mann aus einer Tram folgte. Ich habe vielleicht mal den Kopf geschüttelt und mit Freund*innen darüber geredet oder habe versucht, der Situation zu entfliehen. Ich konnte aber selten etwas aktiv unternehmen. Wenn ich solche Konfrontationen mitbekam, dann war ich Zuschauerin, die die mutigen Menschen bewunderte. Jetzt kann ich auch meine Tat bewundern.  

    Aber nur weil ich das jetzt einmal geschafft habe, heißt das auch nicht, dass ich in Zukunft zu der mutigsten Person mutiere. Diese Erlebnisse sind immer noch voller Angst und werden von einem starken Machtgefälle dominiert, das einen verdammt klein wirken lassen kann. Ich würde auch niemals fordern, dass andere mir nacheifern sollen. Ich weiß auch, dass ein Ausdruck von Wut nicht immer der beste Lösungsweg ist, aber manchmal einfach der wirkungsvollste und angemessenste. Und warum mich weiter für meine Gefühle entschuldigen?  

    Ja, ich habe mich für eine Freundin eingesetzt. Ich habe mich getraut. Gott, wie gut das tat. War das eben wirklich ich? 

    Nach Verlassen der Bar gehen wir schmunzelnd zur Haltestelle, immer noch total elektrisiert. Ich möchte am liebsten zurück und die erwachsenen Männer aus der Bar rausschmeißen lassen.  

    Und dann kommen doch wieder Unsicherheiten in mir hoch. Gedanken weichen dem Übermut: Habe ich ihn vielleicht eben als Projektionsfläche für noch weitere meiner Gefühle genutzt? Ist da noch mehr, was ich gerade an ihm rausgelassen habe? Vielleicht sitzt irgendwo ein Knoten, der sich in meiner Brust seit Langem verengt hat und durch persönliche Probleme vor sich hin wucherte?  

    Egal, ich habe mich gewehrt. Ich habe diese Erinnerung an einen schönen Abend nicht von einer ekelhaften Anmache übermalen lassen. Es wird nicht der Abend sein, an den wir zurückdenken und über diesen ekelhaften Typen den Kopf schütteln und daran denken, wie unangenehm er uns hat fühlen lassen – nein. Es ist der Abend, an dem ich mich das erste Mal getraut habe, mich zu wehren.  

    Was am Ende bleibt, ist dieses pure Gefühl von Stärke, Gewissheit und Zuversicht einer eben getätigten, richtigen Handlung. 

    Meine Gedanken kreisen weiter zu starken FLINTA*-Personen, mit denen ich mich in letzter Zeit beschäftigt habe. Ich denke an die Rapperin Little Simz und an Margarete Stokowski, Autorin von „Die letzten Tage des Patriarchats“, das ich zu der Zeit las. Ich überlege, ob sie mir zu diesem Mut verholfen haben. Ich bejahe diesen Gedanken und schicke eine stille Danksagung zu ihnen, von FLINTA* zu FLINTA*.  

    Fotos: privat

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