Wann hat eigentlich alles angefangen, wie immer zu sein?
Kolumnistin Laura tut sich schwer, ihre Routine zu verlassen. Eine Reise nach Paris hat ihr ein wenig Mut gemacht.
Ich stehe im Bus neben meinem Freund und unserem Rollkoffer und bin aufgeregt. An uns ziehen die Straßen vom Pariser Künstlerviertel Montmartre vorbei. Meine Augen wissen gar nicht, wo sie hinschauen sollen, so vollgestopft sind die Gassen mit Fenstern, Läden, Fensterläden und Menschen.
Es ist das erste Mal, dass ich in Paris bin. Es ist auch meine erste Reise in ein fremdes Land ohne meine Eltern. Seit mehr als einem halben Jahr war das geplant. Ich kann trotzdem nicht glauben, dass ich gerade hier bin.
Ich bleibe aufgeregt – die ganzen acht Tage lang, die wir hier sind. Aber da ist auch ein anderes Gefühl. Es ist ein Gefühl, dass ich jedes Mal habe, wenn nicht alles „wie immer“ ist: latente Bedrohung. Ich liebe Routine, sie gibt mir Sicherheit. Alles, was ich tue, weiß ich gerne im Voraus. Hier ist das fast nicht möglich. Ich gehe Gespräche gerne vorher im Kopf durch, aber ich spreche nur ganz wenig Französisch. Ich weiß gerne genau, wann ich in welche Bahn steigen muss, aber hier sind mehrere Streiks angekündigt. Ich durchdenke am liebsten exakt, was ich mitnehmen muss, damit nichts Unvorhergesehenes passiert, aber ich kenne die Orte, zu denen wir hier gehen, gar nicht.
Zuhause kann ich im Rahmen meiner Routine auch entspannt einfach mal etwas anders machen. Weil ich den Weg zur Uni oder zu meiner Wohnung kenne, brauche ich nicht mehr vorher gucken, wann die Bahn fährt, ich lasse mich an der Haltestelle überraschen. Weil ich weiß, dass ich irgendwie zurückfinde, lasse ich das Handy mit Google Maps in der Tasche und gehe neue Wege, einfach weil es Spaß macht. Einfach, weil sonst alles „wie immer“ ist.
Routine heißt dabei nicht, dass ich immer den gleichen Tagesablauf habe – im Gegenteil. Ich mache die Woche über ganz verschiedene Dinge zu ganz verschiedenen Zeiten. Gerade in den Semesterferien mache ich die Dinge, auf die ich gerade Lust habe. Aber ich fühle mich dann wohl dabei, Neues auszuprobieren; die unangenehmen Situationen werden ertragbar, weil sie nicht völlig aneinandergereiht auftreten.
Am ersten Abend in Paris, als ich einschlafen will, bin ich völlig erschöpft. Nicht nur wegen der Reise und der vielen Dinge, die wir unterwegs schon gesehen haben. Auch, weil es anstrengend ist, sich um alles Sorgen zu machen und alles genau durchzudenken. Ich liege in meinem Bett und frage mich: Wann hat das angefangen? Nicht nur das Sorgen-Machen, sondern auch meine Routine zuhause. Wann hat eigentlich alles angefangen, wie immer zu sein?
Irgendwann bin ich das erste Mal Bus gefahren und habe mich gefragt, ob etwas Schlimmes passiert, wenn ich auf den Stopp-Knopf drücke. Seitdem bin ich acht Jahre lang jeden Tag mit dem gleichen Bus zur Schule gefahren und habe den Knopf gedrückt. (Manchmal hat der Bus nicht angehalten, aber dann bin ich an der nächsten Haltestelle ausgestiegen). Irgendwann war ich zum ersten Mal in der Uni. Da war ich aufgeregt wegen der vielen neuen Leute und habe mich einsam gefühlt, weil ich niemanden kannte. Nach drei Tagen war das normal und ich hatte wenigstens ein paar Bekanntschaften geschlossen. Irgendwann habe ich das erste Mal auf einer Bühne gestanden, um zu moderieren, und spürte, wie meine Wangen heiß wurden. Beim siebten Mal war das immer noch so, aber ich wusste, dass die Hitze kommt und ich sie überstehen werde.
Ich weiß nicht, wann Dinge normal für mich werden. Ich weiß nicht, wann genau etwas anfängt, zu meinem „Wie immer“ zu zählen, denke ich an diesem ersten Abend im Bett. Aber es macht mir Hoffnung, dass es bislang immer irgendwann so weit war.
Am nächsten Tag scheitern wir daran, das erste Mal Métro zu fahren. Aber am Tag danach probieren wir es noch einmal. Als wir sechs Tage später wieder heimfahren, ist es das Normalste auf der Welt für mich.
Fotos: Laura Schenk
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