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    Sich von Materiellem zu lösen, kann eine echte Herausforderung sein. Kolumnist Eric spricht über seine Schwierigkeiten, minimalistischer zu leben.

    Als der Kofferraum meines Autos mit Beuteln und Taschen reich befüllt war, der Wagen beinahe eine gefährliche Schieflage einnahm und Tempo 100 sowieso nicht mehr überschritten werden konnte, bin ich mal wieder an mir selbst verzweifelt. Ich mache einen auf „Gullivers Reisen“, könnte man jetzt denken. Doch wohlgemerkt: Es ging nicht in den Urlaub, sondern nur für ein Wochenende in die elterliche Heimat. Eine Stunde Autofahrt und dennoch beladen wie ein Raumschiff, bereit für eine Expedition in das All.

    Genau das zeigt: Ich bin anscheinend kein Typ für Backpacking-Weltreisen. Ein „Ich bin dann mal weg“ wie bei Hape Kerkeling wird es bei mir wohl nicht geben. Nicht, dass ich auf die neuen Erfahrungen und Herausforderungen keine Lust hätte. Mal spontan vom einen ins andere Land reisen: Schöne Vorstellung, aber mein Rucksack würde dann wohl Dimensionen eines Hochhauses annehmen. Wäre ein lustiger Anblick, doch mein Rücken würde es nicht überleben.

    Es sei denn, ich würde mich mal in ein bisschen Minimalismus üben, wie es mir doch in jedem „Self Development“-Ratgeber empfohlen wird. Der Weg zu einem einfacheren und glücklicheren Leben! Weniger ist mehr! Ganz nach dem Motto „Mit leichtem Gepäck“, wie es schon die Band „Silbermond“ besungen hat. Wie viele Leute gibt es doch, für die eine minimalistische Lebensweise einem Erweckungserlebnis gleichkommt? Zugegeben: Dem kann ich einiges abgewinnen. Weniger Ballast, mehr Bewegungsfreiheit – tolle Sache.

    Doch leider zeigt mein Leben dem Ganzen doch so ziemlich einen Mittelfinger.

    luhze-Autor Eric Binnebößel mit einem Stapel Bücher, von denen er eins auf dem Kopf balanciert

    Vor lauter Bücher kann man schon einmal den Überblick verlieren. Foto: Eric Binnebößel

    Das fängt schon mit meiner Sammelleidenschaft für alles Mögliche an. Eine Eigenschaft, die ich wohl nicht loswerde und derentwegen mich mein Geldbeutel liebt. Früher als Kind waren das zum Beispiel die Tierfiguren von „Schleich“, mit denen ich lange „Tierparaden“ durch das gesamte Wohnzimmer gebildet habe, weswegen der Weg zur Couch eher einem Hürdenlauf glich. Meine Eltern haben sich aber kein Bein gebrochen, kann also nicht so schlimm gewesen sein. Später kamen dann auch noch die Sammelkarten dazu: Von „Star Wars“ bis Fußball, ich war überall dabei. Ich weiß noch, wie ich mir vor jeder neuen Kartenedition geschworen habe, diesmal nicht dem Sammelfieber zu erliegen. Fazit: Ich war konsequent inkonsequent. Über meine Passion für Fußball-Trikots möchte ich gar nicht erst reden, viele Fans werden mich verstehen. Irgendwann habe ich dann noch meine Leidenschaft für das „Harry Potter“-Universum entdeckt. Ja, ich bin immer noch Stammkunde beim „Elbenwald“, auch wenn die Frequenz an Einkäufen in letzter Zeit abgenommen hat. Habe halt doch keinen Geldbunker à la Dagobert Duck.

    Dazu kommt die Vorliebe, frisch gedrucktes Papier in den Händen zu halten. Eine Macke, weshalb ich viel zu viele Bücher lieber kaufe als sie auszuleihen. Das Gleiche gilt für Zeitungen. Wenn das so weiter geht, bräuchte ich wohl alleine dafür ein Haus. Vielleicht kann mir „Onkel Donald“ sein Anwesen auf Mar-a-Lago ausleihen. Braucht es ja dann eh nicht, wenn er sein neues Heim im Gefängnis bezieht….

    Das scheint aber doch mehr eine Wunschvorstellung zu sein. Also muss ich mich wohl auf den Pfad zu mehr Minimalismus begeben. Mein ökologischer Fußabdruck wird es mir sowieso danken. Inzwischen macht mir die Massenproduktion das auch leichter. Ich habe das Gefühl: Quantität ersetzt Qualität. An dieser Stelle muss ich mich für mein Schicksal glücklich schätzen, zehn Jahre früher als später meine Kindheit erlebt zu haben. Die „Schleich“-Tierchen sind heute nicht mehr das, was sie einmal waren. Aus jedem Unsinn wird versucht, irgendwie noch Geld heraus zu prügeln. Und als „Potterhead“ (ein leidenschaftlicher Harry Potter-Fan) muss man sich heute fast moralisch schlecht fühlen, wenn man Geld in dieses Universum investiert und sich so indirekt mit der Autorin gegen Transmenschen verbündet.

    Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass man älter wird und sich der Blick auf die Realität verändert. Ich erwische mich viel zu häufig dabei, wie ich die Vergangenheit verkläre. Ein Phänomen, welches wohl in jeder Generation auftreten wird. Auch die Verbundenheit zum Materiellen ist immer weniger ausgeprägt. Geschenke zu Weihnachten sind mir inzwischen nicht mehr so wichtig, wie sie es vielleicht als Kind waren. Als Grundschüler habe ich mich immer gefragt, warum meine Eltern so lange überlegen müssen, welchen Wunsch sie doch haben. Inzwischen verstehe ich sie ganz gut. Es sind die Erinnerungen, die den Menschen ausmachen. Und vor allem das Miteinander mit Personen, die man gerne hat.

    Ich lese jetzt auch mehr digital und kaufe mir nicht mehr jede Zeitung. Doch zugegebenermaßen: Nichts kann den Papiergeruch ersetzen. Aber vielleicht kann ich mich daran gewöhnen.  Der nächste Schritt wäre dann wohl mehr Spontanität beim Reisen. So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Nur den Schalter, mit dem man die besorgte mütterliche Stimme im Kopf abstellt, habe ich noch nicht gefunden: Was ist, wenn es die ganze Zeit regnet? Eine Wechselhose mehr oder weniger tut es ja auch nicht. Und vergiss bloß nicht die Tabletten gegen Kopfschmerzen, Bauchkrämpfe oder Übelkeit! Bis dahin muss wohl das größte Koffermodell herhalten.

    Letztlich sollte ich mich wohl viel mehr in der Frage üben: Was brauche ich wirklich? Am Ende kommen meistens die gleichen Antworten: eine Unterkunft, Gesundheit, Essen, Trinken, Familie und soziale Kontakte. Ich würde vielleicht noch Bücher, Laufschuhe und einen Fußball ergänzen. Aber dann hört es auch schon auf.

    Obwohl, im Kofferraum ist noch ein bisschen Platz…

     

    Foto: Pixabay

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