Die Letzte Generation – eine Frage an Politik und Gesellschaft?
Die Letzte Generation sorgt seit Monaten für Diskussionen. Eine Einordnung aus rechtlicher, wissenschaftlicher und persönlicher Perspektive.
Regelmäßig die Hände mit Klebstoff auf Autobahnen festzukleben und den Verkehr zu stören klingt wie ein ungewöhnlicher Vollzeitjob. Genau das macht Jakob Beyer aber nun seit gut einem Jahr. Um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und Politik für die Dringlichkeit des Klimaschutzes gewinnen, hat er seine Zimmermannslehre abgebrochen. Und ist damit nicht allein. Viele Aktivist*innen haben sich der Gruppierung „Letzte Generation“ angeschlossen und führen hauptberuflich Straßenblockaden, Baustellenbesetzungen und Aktionen in Kunstmuseen durch.
Für ihre Aktionsformen ernten die Aktivist*innen nicht nur immer wieder scharfe Kritik aus Medien und Gesellschaft, sondern sie sehen sich auch mit immer härteren Strafmaßnahmen konfrontiert. So auch Beyer. Nichts von alldem hält ihn davon ab, weiterzumachen. Aber wie zielführend ist seine Form von Protest wirklich?
Dieter Rink steht den Aktionsformen der „Letzten Generation“ kritisch gegenüber. Er ist Stadt- und Umweltsoziologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Zudem forscht er seit über 30 Jahren als Mitglied im Institut für Protest- und Bewegungsforschung zum Thema Protestbewegungen. Rink räumt ein, dass die „sehr kleine Bewegung“ in der letzten Zeit viel Aufmerksamkeit in den Medien erzielen konnte. Doch reiche Aufmerksamkeit allein nicht aus. „Mir scheint, dass sie die Öffentlichkeit eher gegen sich aufbringen und wenig bis gar kein Verständnis erzeugen. Damit tun sie der Klimabewegung keinen Gefallen.“
Verglichen mit der Klimaschutzgruppierung „Fridays for Future“ (FFF), die seit 2018 für ihre Straßendemonstrationen bekannt ist, schneidet die Letzte Generation in Rinks Augen schlecht ab. So hätte FFF zahlreiche Kommunen zur Ausrufung des sogenannten „Klimanotstands“ bewegt. Die Stadt Leipzig etwa habe deshalb ein Sofortprogramm gegen den Klimawandel mit einer Finanzierung in Höhe von 20 Millionen Euro eingeleitet. Bei der „Letzten Generation“ sehe er hingegen keine solchen Erfolge.
Jakob Beyer sieht das anders. Er hält die Wirkung von FFF für völlig unzureichend.
„Fridays For Future hat es geschafft, anderthalb Millionen Menschen auf die Straße zu bringen. Aber selbst diese ließen sich von der Politik ignorieren.“, meint er. Tatsächlich äußern sich Sprecher*innen von FFF selbst, unter anderem Greta Thunberg, enttäuscht, dass zwar neue Gesetze und Klimaschutzziele angestoßen, aber realpolitisch nicht umgesetzt wurden.
Beyer gibt zu verstehen: „Unsere Protestform ist eine Konsequenz des Nichthandelns der Politik in den letzten Jahren“. Der Druck und die Störung des öffentlichen Lebens seien nicht das präferierte Mittel, aber offensichtlich notwendig, um etwas bewegen zu können. Dass er und seine Mitstreiter*innen dabei dem Ärger aus Teilen der Gesellschaft ausgesetzt sind, nimmt er hin. Er macht deutlich: „Unser erstes Ziel ist es nicht, beliebt zu sein.“
Sein Aktivismus stößt nicht nur auf Unbeliebtheit, sondern auch rechtliche Konsequenzen. Schon zweimal stand die Polizei vor Jakob Beyers Haustür, um eine Hausdurchsuchung durchzuführen. Auch war er dreißig Tage lang in Untersuchungshaft in Bayern. Solche Strafmaßnahmen sind keine Seltenheit. Seit Herbst letzten Jahres häufen sich Strafprozesse rund um die Aktivist*innen. Die Störung des Straßenverkehrs wird dabei meist als Nötigung nach dem Paragrafen 240 des Strafgesetzbuches verurteilt, erklärt der Justizstaatssekretär Mathias Weilandt. Die rechtlichen Konsequenzen reichen von Geldstrafen bis hin zu Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren, bei einem „gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr“ sogar bis zu fünf Jahren. Weilandt betont, dass es immer auf den Einzelfall und die jeweilige Entscheidung der Gerichte ankommt. Grundsätzlich habe Gewalt nichts in einer freiheitlichen Demokratie zu suchen, sagt er und zitiert den Vizekanzler Robert Habeck: „Klimaschutz hat das Ziel, Freiheit und Leben in unserer Demokratie zu schützen.“ Liegt Gesetzesbruch vor, schütze eine „berechtigte Motivation“ nicht vor strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Dass die Motivation der potenziellen Gesetzesbrecher*innen im Klimaschutz liegt, werde von den Gerichten höchstens als ein Faktor unter vielen berücksichtigt. Das staatliche Einhalten des Grundgesetzes hingegen – gemäß Artikel 20a des Grundgesetzes ist Klimaschutz Verfassungsauftrag – könne nicht in einem Strafprozess überprüft werden.
Der Protestforscher Rink findet die Strafen für die Aktivist*innen „weit übertrieben“, denn schließlich sei die „Letzte Generation“ keine Terrororganisation. „Protestbewegungen haben immer wieder Grenzen ausgelotet. Die Grenze ist ganz klar, keine Gewalt gegen Menschen auszuüben.“ Und diese habe die „Letzte Generation“ nicht überschritten.
Für Jakob Beyer waren die drohenden rechtlichen Konsequenzen vor allem in der Anfangszeit seines Aktivismus einschüchternd. „Klar, wenn um sechs Uhr morgens auf einmal die Polizei vor deiner Tür steht, macht das schon Angst.“, beschreibt er. Doch letztendlich ist es eine Abwägungssache für ihn: „Eine drei bis vier Grad heißere Welt ist einfach viel schlimmer. Freiheitsentzug ist da für mich einfacher zu ertragen.“ Beyer kann den strafrechtlichen Konsequenzen sogar etwas Positives abgewinnen. Die „Härte des Staates“ führe dazu, dass sich immer mehr Leute mit der Letzten Generation solidarisieren und sich der Gruppierung anschließen.
Doch auch der Aktivist gibt zu, dass sich die Gesamterfolge der Letzten Generation in Grenzen halten. „Unsere Forderungen wurden – ganz substantiell – nicht umgesetzt“. Angefangen mit der Forderung nach einem „Essen-retten-Gesetz“, verlangt die Letzte Generation derzeit ein Tempolimit von 100 km/h auf den Autobahnen und die Rückkehr des Neun-Euro-Tickets. Wenn dies erfüllt wird, würden sie erst einmal die Proteste einstellen.
Dieter Rink bewertet diese Forderungen als zu „harmlos“ und unverhältnismäßig zu der Radikalität der Aktionen. Auch Jakob Beyer ist sich bewusst, dass diese Forderungen überschaubar sind und deren Umsetzung nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber selbst diese „kleinen Maßnahmen“ sei die Politik nicht bereit zu realisieren. Das sei extrem frustrierend und belastend. Der Aktivist zeigt sich ehrlich, wenn er sagt: „Es ist wie ein Kampf gegen Windmühlen.“
Dennoch möchte er weiter auf die Straße gehen, denn er und seine Mitstreiter*innen erlauben es sich nicht, aufzuhören. „Wir können es uns nicht leisten. Die Wissenschaft sagt uns, wir haben nur noch zwei bis drei Jahre, um das Schlimmste zu verhindern.“, sagt Beyer. Wie geht er mit dieser psychischen Belastung um?
„Ich bin so ein bisschen über den Punkt hinaus, mich ständig zu fragen, ob ich noch Hoffnung habe oder nicht. Ich gebe jetzt einfach alles rein.“ Denn sein Aktivismus beschert ihm nicht nur Gefühle von Frustration, sondern auch ein Gefühl des „Ins-Handeln-Kommens“ und der Selbstwirksamkeit. Ein Gefühl von: „Hier können wir vielleicht doch noch etwas bewegen.“ Es wirkt so, als wäre die „Letzte Generation“ für ihre Anhänger*innen eine Art Anker inmitten von Verzweiflung und Zeitdruck der drängenden Klimakrise.
Rink prognostiziert derweil keine rosige Zukunft für die „Letzte Generation“: „Das Problem ist, dass sich die Aktionen in Wiederholungen erschöpfen. Man merkt schon jetzt, wie das mediale Interesse schwächer wird. Langfristig muss sich die Organisation die Frage stellen, was sie verändern muss, um die Bevölkerung abzuholen.“
Wie sich die Klimaproteste tatsächlich entwickeln werden, wird nur die Zeit zeigen. Dringlicher wäre allerdings die Frage, wie sich unser Klima in den nächsten Jahren verändern wird. Auch Medien wie die luhze können zu einer Verschiebung des Diskurses von der Legitimität von Protestformen hin zum Klimaschutz selbst beitragen. Letztendlich, sagt Jakob Beyer, sei ihre Protestform nur eine Frage an die Gesellschaft.
Titelbild: Clara Trommer
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.