Einfach mal blankziehen
Mit den steigenden Temperaturen können wir uns endlich wieder auf Freibad und Badesee freuen. FKK-Bereiche werden bei jungen Menschen immer unbeliebter, obwohl Nacktheit ihre Vorteile haben kann.
In Ostdeutschland ist die FKK-Szene weiterhin verbreiteter als im Westen. Jedoch hat die Bewegung bei weitem nicht mehr so viele Anhänger wie früher. Die “Süddeutsche Zeitung” schreibt, der Deutsche Verband für Freikörperkultur verliere ähnlich viele Mitglieder wie die katholische Kirche. In den 80er-Jahren hatte der FKK-Verband 60.000 Mitglieder, heute nur noch knapp die Hälfte. Ebenfalls schaffen immer mehr Badeseen und Campingplätze ihre FKK-Zonen ab.
Ich habe den Eindruck, dass meine Generation viel schamhafter ist, was Nacktheit angeht, als etwa die Generation meiner Eltern. In der Dusche im Hallenbad habe ich beobachtet, dass sich erst Frauen ab mittlerem Alter ihrer Badebekleidung entledigen. Und die meisten jungen Frauen fahren lieber verschwitzt nach Hause, anstatt die Gemeinschaftsdusche im Fitnessstudio aufzusuchen. In der Sauna lassen junge Frauen ihr Badetuch gerne als Sichtschutz umgewickelt. Vielen meiden die Sauna sogar grundsätzlich.
Meine Beobachtungen decken sich mit den Ergebnissen der Yougov-Umfrage der Deutschen Presse-Agentur, die die Einstellung zu Nacktheit in Deutschland untersucht hat. Auf die Frage, ob man sich selbst als schamhaft bezeichnen würde, antworten besonders junge Frauen bis Mitte Zwanzig mit ja. Am schamlosesten sind hingegen ältere Männer ab 55 Jahren.
Medien suggerieren jungen Frauen, sie müssten sich für ihre Körper schämen. Es wird ein unrealistisches Idealbild vorgegeben, das keiner von uns erreichen kann. Oft mit dem Ziel, dass Frauen so mit ihren Äußeren beschäftigt sind, dass sie keine Zeit mehr haben, für ihre Rechte einzustehen. Da ist es kein Wunder, dass sich kaum eine traut, sich in der Öffentlichkeit zu entblößen. Ich selbst habe beschlossen, mich dieser Unterdrückung nicht mehr hinzugeben. Ich habe mich meiner Angst gestellt – und blankgezogen. Inzwischen dusche ich im Fitnessstudio und in der Sauna schützt mich kein Badetuch mehr. Zu Beginn hat es mich einiges an Überwindung gekostet. Doch nach dem zweiten oder dritten Mal fühlt es sich schon völlig normal an.
Außerdem gibt es einen positiven Nebeneffekt: Man merkt, dass die Körper der anderen genauso wenig perfekt sind wie der Eigene. Wer nie nackte Körper im echten Leben sieht, hält die nackten Körper aus den Medien für Normalität. Der Tipp alle, die nicht zufrieden mit ihrem Körper sind, sollten sich überwinden, und einfach mal in die Gemeinschaftsdusche gehen, würde zu kurz greifen. Es gibt Menschen, die aufgrund ihres Körpers diskriminierende und traumatische Erfahrungen gemacht haben. Für sie ist es nicht so einfach, ihren nackten Körper in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Doch ich denke, die Normalisierung von Nacktheit würde der Diskriminierung entgegenwirken. Wenn wir wieder öfter nackter Körper sehen würden, würden wir merken, dass keiner davon dem Ideal entspricht.
Die Dysmorphophobie ist eine Störung in der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Viele Betroffene denken, sie seien zu dick, obwohl sie normalgewichtig sind. Durch die sozialen Netzwerke hat die psychische Störung enorm zugenommen. Das Ärzteblatt schreibt, dass sich Depressionen bei Jugendlichen in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt haben. Das IZI weißt in einer Studie mit Menschen, die an einer Essstörung leiden, den Einfluss vonInfluencern auf das eigene Körperbild nach. Junge Menschen vergleichen sich mit retuschierten Bildern oder Fitness-Influencern, deren Job es ist, den perfekten Körper zu haben. Somit entsteht automatisch der Eindruck, es sei normal, so auszusehen. Und man müsse etwas an sich ändern, wenn der eigene Körper nicht so aussieht. Meine Mutter sagte kürzlich zu mir: „Wir haben uns damals wenigstens nur mit den Frauen aus Zeitschriften oder dem Fernsehen verglichen. Dabei wussten wir, dass es sich um Stars oder Models handelt. Und es unrealistisch ist, dass wir selbst so aussehen.“ Influencer hingegen geben vor, ganz normale Menschen zu sein. So entsteht schnell der Eindruck, auf jeden Fall so aussehen zu müssen.
Daraus ergibt sich ein weiteres Problem: ist, die viele Zeit, die wir auf Social Media verbringen. Früher hat man die Zeitschrift zugeschlagen oder das Fernsehen ausgeschaltet und sich wieder auf andere Dinge konzentriert. Heute sind viele ständig nebenbei auf Instagram oder Tiktok und von perfekten Körpern umgeben.
Deswegen ist mein Tipp diesen Sommer die Hüllen fallen zu lassen. Vielleicht traut sich noch nicht jeder, sich nackt zu zeigen. Für manche ist es schon eine Überwindung, überhaupt ins Freibad oder an den See zu gehen. Doch auch mit kleinen Schritten kann man etwas bewirken. Indem wir erkennen, wie Körper tatsächlich aussehen, können wir uns gegenseitig akzeptieren wie wir nunmal sind.
Foto: Pinterest
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