Zwei Muttersprachen, kein Zuhause
Zweisprachig erzogen zu werden, ist meist ein großer Vorteil. Dass es aber auch viele widersprüchliche Gefühle mit sich bringen kann, zeigt Kolumnist Leen.
„Byłem dziś u pani Steszewski w Stabstelle für Internationales i podpisałem Stipendiumsvereinbarung na wyjazd do Wrocławia” (Ich war heute bei Frau Steszewski in der Stabstelle für Internationales und habe die Stipendiumsvereinbarung unterschrieben, für die Fahrt nach Wrocław), habe ich meiner Mutter letzte Woche am Telefon erzählt. So oder so ähnlich verlaufen viele unserer Gespräche.
Bilingual aufzuwachsen, hört sich erstmal sehr vorteilhaft an, und dem verdanke ich mein Sprachtalent und mein Interesse daran. Ich würde es mir nicht anders wünschen und freue mich, ein Teil zweier Welten zu sein, aber so anfühlen tut es sich in der Regel nicht.
Ich spreche ausreichend Polnisch, um mich im Alltag verständigen zu können, mit meiner Familie, im Laden oder eventuell mit polnisch sprachigen Freund*innen. Viele spezielle Wörter, wie beispielsweise Stipendiumsvereinbarung, sind aber keine Wörter, die meine Mutter im Laufe meiner Kindheit benötigt hat, und sind somit auch kein Teil meines Wortschatzes. Das zu umschreiben, ist mir lästig, und da meine Mutter schon seit Jahren in Deutschland lebt, versteht sie mich auch so.
Und was soll jetzt das Problem sein?
Stellt euch vor, ihr habt zwei Pflanzen, die gerade dabei sind, ihre Blüten zu entwickeln, aber ihr braucht Hilfe bei der Pflege dieser Pflanzen. Kaum jemanden interessiert die zweite, euch wird fast ausschließlich bei der Pflege der ersten geholfen. So geht die zweite entweder ganz ein oder ist stark unterentwickelt. So war meine Erfahrung mit Deutsch und Polnisch, als ich in die Grundschule gekommen bin.
Meine Mutter hat sich natürlich Mühe gegeben, weiterhin Polnisch mit mir zu sprechen, doch weil all meine Hausaufgaben auf Deutsch waren und all meine Schulfreund*innen zu mir kamen und Deutsch sprachen, verfestigte sich das eine, während das andere unbeachtet bleibt und langsam unter den Teppich fällt.
Trotzdem wussten alle, dass ich nicht „volldeutsch“ bin, und so musste ich mir jeden Tag die gleichen Witze darüber anhören, dass man Dinge vor mir verstecken müsse, weil alle aus Polen stehlen. So was hat mich damals nicht aktiv gekränkt, aber verwirrt und mir das unterschwellige Gefühl gegeben, nicht dazuzugehören und nicht so zu sein wie die anderen.
Ganz anders ist es mittlerweile.
„Was hältst du eigentlich davon, Kinder bilingual zu erziehen? Mein Freund und ich hatten überlegt das zu machen“, fragt mich eine Freundesperson. Kurz bin ich still und schnappe dann gespielt dramatisch nach Luft. Als ich ihn daran erinnere, dass ich doch auch bilingual aufgewachsen bin und es dementsprechend befürworte, muss er lachen. „Achso stimmt, daran habe ich gar nicht gedacht.“
In meiner übertriebenen Entrüstung liegt in solchen Situationen auch immer ein Hauch Ernst. Toll, da kann ich stolz sein, es so gut versteckt zu halten, dass das kaum eine*r meiner Freund*innen mehr beachtet, aber auch das lässt mich fühlen, als sei nur eine Hälfte von mir mit ihnen befreundet.
Entweder ist es so oder ich bekomme mit, dass meine Freund*innen abgeneigt oder einfach sehr desinteressiert sind an dem Land und der Kultur. Das nehme ich auch oft persönlich, da ich für meinen Teil immer sehr glücklich bin, wenn mich eine Person, die zur Hälfte Deutsch ist, teilhaben lässt an der Sprache und Kultur ihres zweiten Landes.
Ich komme immer noch nicht darüber hinweg, dass meine eine Freundin Polen für ein „wildes und sehr naturnahes Land“ hält, wobei mir die negative Konnotation nicht entgeht. Sie war einmal mit mir bei meinen Großeltern, die zugegebenermaßen in der Pampa leben, aber hat sie mal Toruń gesehen? Oder Kraków? Nein, hat sie nicht.
Jetzt studiere ich Westslawistik, wodurch ich dieser vernachlässigten Hälfte wieder näherkomme, und empfinde dabei ein immenses Glücksgefühl. Durch mein Studium habe ich auch einen Freund gewonnen, der ebenfalls slawisch ist und dem ich unendlich dankbar bin, dass er diese Seite von mir so wertschätzt wie niemand anderes.
Foto: Pixabay
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