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    Zum Jazznachwuchsfestival von Moritzbastei und Jazzclub Leipzig hat sich luhze-Redakteur Johannes vier Ensembles angeschaut.

    Ich höre alles, was es so an Musik gibt. Nicht alles schafft es in meine Playlist, aber mir fällt es leicht, die meisten Stile in irgendeinem Kontext zu genießen. Das Futurum oder Jazznachwuchsfestival wurde 1991 von der Moritzbastei und dem Jazzclub Leipzig gegründet. Dabei sollen Künstler*innen aus ganz Deutschland „spannende Ansätze aktueller Jazzmusik in all ihren Facetten abbilden“, so das Team von Moritzbastei und Jazzclub Leipzig. Ein schöner Kontext, um mir die Musikrichtung mal etwas genauer anzuschauen.

    Jazz ist wundervoll chaotisch, es könnte das ein oder andere ADHS-Gehirn kitzeln.

    Links auf der Bühne steht ein Keyboard, rechts hinten ein Schlagzeug, davor ein Vibrafon, in der Mitte ein Saxofon. Dahinter liegt ein Kontrabass. Ein paar Mikrofone sind dazwischen verteilt. Ich habe Ohrenstöpsel dabei. Wenige Minuten bevor das Jazz-Festival am Donnerstag losgeht, ist der kleine Saal in der Moritzbastei noch überraschend leer. Liegt es daran, dass es mitten in der Woche stattfindet? Wegen meines zeitlich aufwendigen Studiums habe ich eine relativ strenge Wochenplanung und am Donnerstagabend auf ein Konzert zu gehen, gehört nicht gerade zur Regel.

    Torsten Reitler, Programmbeauftragter der Moritzbastei, eröffnet den Abend, mit einer angenehmen, ruhigen und nicht aufdringlichen, also gut fürs Radio geeigneten Stimme. Die Künstler*innen der nächsten Tage fasst er als „Musiker*innen aus ganz Deutschland, die anfangen ihre eigene künstlerische Identität zu entwickeln“ zusammen.

    Appaloosa, ein Quintett aus Nürnberg, haben sich in einem Jazzwettbewerb kenngelernt. Ihren Stil würde ich als ADHS-Jazz bezeichnen. Chaotisch, laut, einige Stücke haben Disney-Vibes. Sandrine Ramamonjisoa ist in den ersten beiden Stücken so selbstbewusst am Saxofon, dass ich überrascht bin, die Aufregung in ihrer Stimme zu hören, als sie vor dem dritten Stück die Band vorstellt. Wahrscheinlich stehen viel mehr introvertierte Menschen hinter den Instrumenten, als man aufgrund des für Künstler*innen jobbedingten Publikums erwarten würde. Geklatscht wird erst, wenn der letzte Ton verklungen ist. Außer nach einem Solo, da darf mitten im Stück auch geklatscht werden.

    Feedback Loop löst das Quintett nach einer kurzen Pause ab. Die vier Typen im Cargoonesie spielen Study-Jazz, welches von Soundeffekten unterbrochen wird, die aus einem schwarzweiß-Horrorfilm zu stammen scheinen, gemischt mit Geräuschen, die so klingen, als würde man alle Einstellungen eines Keyboards ausprobieren, aber eben als professionelle*r Musiker*in. Einige Motive fühle ich so stark, dass sie bei mir das Stank-Face auslösen. Also dieses Gesicht, bei dem man die Nasenflügel und Wangenmuskulatur reflexartig anspannt, weil man die Musik gerade so fühlt.

    Jazz-Musik fühlt sich so an wie das Gedankenrasen in meinem Kopf, gleichzeitig scheint es dieses auch zu beruhigen.

    Am Freitag ist es voller und das erste Stück beginnt schwungvoll. Das Trio um Saxophonistin Hedwig Janko spielt sehr angenehmen Chill-Jazz, etwa das, was ich ohne Kontext mit Jazz verknüpfen würde. Die Art von Jazz, die jemand wie Harry Bosch (aus der Serie “Bosch”) nach einem langen Tag auf dem Plattenspieler auflegen würde. Janko wechselt wie beim Objektivtausch einer Kamera von Stück zu Stück zwischen Alt- und Sopransaxophon. Leo Kröger, Schlagzeuger des Trios, spielt, als würde er malen, während Melanie Streitmatter dem Kontrabass und den Ohren des Publikums eine Deep-Tissue-Massage gibt. Diese klassische Form des Jazz gefällt mir wahrscheinlich am besten.

    Im Publikum dürfen zwei Gläser dran glauben, die Schlagzeuger*innen tauschen ihre zusätzlich mitgebrachten Becken und es wird rockig. Die Dreipersonenband Man The Oica spielt Punk-Jazz. Mit Zwischenspielen, wie man sie aus dem Peter Fox Album „Stadtaffe“ kennt, findet auch wieder etwas Horrorfilm-Musik ihren Weg in die Performance, bevor wieder gerockt wird. Die sommerlichen Roadtrip-Vibes werden ergänzt durch etwas verwirrende Texte. Zum Beispiel über Rezepte, die einem helfen sollen, im Sommer weniger Zeit in der Küche und mehr Zeit draußen zu verbringen. Diese Texte entstehen wahrscheinlich, wenn man kreativ einfach loslässt. Mein nicht klinisch diagnostiziertes Tiktok-ADHS ist sehr unterhalten.

    Jazz ist einfach Spaß mit Instrumenten haben. Dabei arbeiten alle zusammen, aber kriegen auch ihre Momente, zu scheinen. Die Musiker*innen kitzeln alles aus den Instrumenten heraus, sie werden Eins mit dem Instrument, sanft und mit Gefühl.

    Auch wenn es am Wochenende voller war, hätten zu meiner Überraschung noch einige Menschen in den Saal gepasst. Bei Jazz ist für jede*n was dabei, weil er Künstler*innen ermöglicht, mit vielen verschiedenen Stilen und Dynamiken zu arbeiten und sich auf längere oder kürzere Aufmerksamkeitsspannungen anpassen zu können. Wer nicht bis zum nächsten Jazznachwuchsfestival warten möchte, kann dienstags ab 19 Uhr zur Stage Night der Hochschule für Musik und Theater von Moritzbastei und Jazz-Club Leipzig in der Ratstonne vorbeischauen oder das Programm des Jazzclub Leipzig erkunden.

     

    Foto: Johannes Rachner

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