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  • Shakespeares postmoderner Höllenkreis

    Mit seiner Inszenierung von Shakespeares „Antonius und Kleopatra“ als „Installation im Kolonialstil“ taucht das Schauspiel Leipzig wieder auf der kulturellen Landkarte Deutschlands auf.

    Leipzig hat sich in seiner Interpretation von Shakespeares „Antonius und Kleopatra“ nicht auf antike oder elisabethanische Gewänder verlassen. Für den/die moderne*n Theaterkenner*in wohl wenig überraschend. Aber obwohl das Programm der Inszenierung eine „Installation im Kolonialstil“ ankündigt und die entsprechend kritischen Erwartungshaltungen des Publikums aufruft, ist sie dabei so überaus klug, ihre Interpretation mehrfach ironisch zu brechen.
    Die derzeitige Internetdebatte um das Casting der schwarzen Britin Adele James für die Rolle der Kleopatra in der Netflix-Miniserie „Queen Cleopatra“ hält zu solcher Ironie nicht gerade an. Kulturelle Aneignung, Geschichtsfälschung und black washing heißt es von der einen Seite. Black female empowerment, representation und visability von der anderen.                Diese Affäre ist auch den Verantwortlichen des Schauspiels nicht entgangen, die die Debatte subtil auf die Schippe zu nehmen verstehen und dabei zugleich erstaunlich aktuell ans Werk gehen. Aber keine voreiligen Schlüsse ziehen!
    Ein Vorspiel auf dem Theater, das vor den verschlossenen Räumen einer antiken Kulisse stattfindet, zeigt uns die Schauspieler*innen im Bademantel. Sie geben sich gegenseitig und dem Publikum eine offizielle Einverständniserklärung darüber ab, im Folgenden ihren Körper vom jeweils anderen gebrauchen zu lassen, ihn oder sie als Frau oder Mann oder anderes zu respektieren und dabei seine oder ihre Kultur, Religion, Hautfarbe und Herkunft nicht außer Acht zu lassen. Das ist zu verstehen als ein geschäftlicher Heiratsantrag vor der darauffolgenden Hochzeitsnacht. Und entspricht dem Stil politisch überkorrekter HR-Departments im Kostüm der Parodie des Adels im Wellness-Urlaub. Folgerichtig betasten die Schauspieler*innen daraufhin entfremdet, in nicht unsentimentaler Art und Weise, pantomimisch den unsichtbaren personal space des anderen.
    Danach begeben sich Antonius und Kleopatra in die vier Wände der unzugänglichen Kulisse. Einem*r wird klar, das alles wird nicht ganz einfach zu verstehen sein: Interpretationsspielräume tun sich auf. Ambivalenzen, Ambiguitäten und Metaphern könnten im Spiel sein. Auf die äußere Wand wird dem Publikum eine Montage aus Kriegsbildern und Aufnahmen aus dem Kulisseninneren projiziert, die mittels einer den Darsteller*innen folgenden Kamera live gefilmt werden. Die Präsentation dieser Hochzeitsnacht ist eine Mischung aus Musikvideo, Softporno und Shakespeare-Rezitation, die in Kombination mit dem insgesamt sehr gelungenen Sound- und Lichtdesign in schreienden Farben und dem bassigen Ambiente eine erstaunliche Wirkung entfaltet.

    Im Verlauf des Stücks wird dann zunehmend die humoristische Absicht deutlich. Zwar zündet nicht jeder Gag, aber im Ganzen ist diese Ironie für unsere manchmal zu ernsten Zeiten dermaßen erfrischend, dass einem*r schon bald Hören und Sehen vergeht. Es ist hier vor allem die Leistung von Patrick Isermayer hervorzuheben, der seinen lust- wie machtgeilen und zugleich pimpeligen Antonius wie die Figur einer Netflix-Comedy in Szene setzt.
    Das ohnehin schon zur Serialität neigende Original wird durch Ironie, Erweiterung und Übertreibung bis in den Sex und die Kolonialthematik hinein bald dermaßen verstellt und gebrochen, dass von der Handlung, den Figuren und Szenen nicht mehr viel übrigbleibt. Gemischt mit Fluxus und Phallokratie-Parodie ergibt sich ein großer Unsinn, der aber alles andere als bedeutungslos ist: Am Schluss des Stückes tauschen die Schauspieler*innen mehrmals die Rollen, bemitleiden sich selbst und sind entnervt. Antonius ist irgendwie Kleopatra, Kleopatra irgendwie Antonius und sowieso symbolischer Frauenkörper und dann auch noch Octavian. Allesamt sind vollends mit Farbe und Blut beschmiert. Ist das noch postkolonial und feministisch (genug)? Erkennen wir uns in unseren aktuellen Debatten darin nicht wieder? Ja und Nein – es ist ein postmoderner Scherz!
    Ähnliches wurde zwar schon gemacht – das Stück knüpft mit seiner Ironie und Ästhetik an die MTV-Generation an, während es feuchtfröhlich in Klischees und Diskursen fischt. Aber endlich kommt Leipzig nach den langen und harten Durstjahren unserer kulturellen Wüste in der Kunst an. Höre ich ein indifferentes Halleluja?
    Leipzig kann mit den Berliner Theatern mithalten, indem es das tut, was die Kunst soll und kann: unsere Gegenwart spielerisch reflektieren! Nach der Postironie (= Ernst) erfrischt uns wieder etwas Ironie und ironische Postironie (= Unsinn). Das Schauspiel Leipzig tut, indem es die Debatte ad absurdum führt und kreativen Impulsen freien Raum lässt, genau das Richtige. Das ist streitbar, vor allem für diejenigen, die den postmodernen Ambivalenz-Schuss nicht gehört haben, aber das darf und muss die Kunst!

     

    Foto: Rolf Arnold

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