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  • „Es geht darum, ein Exempel zu statuieren“

    Kathrin Schmidt war Seenotretterin auf der „Iuventa“, bis diese beschlagnahmt und sie und 20 Aktivist*innen angeklagt wurden. luhze-Redakteurin Isabella Klose hat mit ihr über den Prozess gesprochen.

    14.000 Menschen hat das zivile Seenotrettungsschiff „Iuventa“ zwischen Juli 2016 und August 2017 aus dem Mittelmeer gerettet. 2017 wurde es von den italienischen Behörden beschlagnahmt – „Beihilfe zur unautorisierten Einreise“ lautet der Vorwurf. Nach langjährigen Ermittlungen laufen seit letztem Jahr in Trapani, Italien die Vorverhandlungen gegen 21 Aktivist*innen von verschiedenen beteiligten Organisationen, zum Beispiel „Ärzte ohne Grenzen“ und vier Crew-Mitglieder der „Iuventa“. Im Falle einer Verurteilung könnten bis zu 20 Jahre Haft drohen. Unter den Angeklagten ist auch die Leipziger Aktivistin Kathrin Schmidt, die als Einsatzleiterin auf der „Iuventa“ aktiv war.

    luhze: Was genau wird euch vorgeworfen?

    Schmidt: Die Anklage lautet „Beihilfe zur unautorisierten Einreise“. Was wir gemacht haben, ist zivile Seenotrettung, das heißt, wir haben damals in sehr enger Zusammenarbeit mit der italienischen Seenotleitstelle in Rom Boote in Seenot gefunden und gerettet. Da aber unser Schiff sehr beschränkt war an Kapazität, wurden wir angewiesen, die Geretteten von diesen Booten an andere Schiffe abzugeben. Meistens waren das Schiffe der italienischen Küstenwache. Das heißt, wir sind recht konstant in der Zeit, in der wir Einsätze gemacht haben, vor Ort gewesen und haben dann zum Beispiel von der Seenotleitstelle durch einen Telefonanruf oder durch andere satellitengestützte Kommunikation Informationen bekommen, mit Koordinaten oder eben dem, was vorhanden war. Ich betone das so, dass wir sehr eng zusammengearbeitet haben, weil das damals noch anders war als heute, weil die Behörden damals noch mit uns kommuniziert haben, und auch, weil wir zu keinem Zeitpunkt irgendwas anderes gemacht haben als das, was uns angewiesen wurde. Wir haben immer unter Anleitung der Seenotstelle agiert. Und was uns vorgeworfen wird, ist, dass die Menschen, die wir gerettet haben, eigentlich gar nicht in Seenot gewesen seien, sondern dass das sozusagen abgesprochene Treffen gewesen sind, wo Menschen uns übergeben wurden, dass wir also mit anderen Strukturen zusammengearbeitet hätten, um die Übergabe von Menschen auf dem Wasser zu arrangieren.

    Wie bewertest du diesen Vorwurf?

    Wenn wir uns jetzt mal kurz überlegen, wie viele Menschen in den letzten Jahren auf dem Mittelmeer ihr Leben gelassen haben, wenn wir uns mal kurz die Bilder vor Augen führen, was für seeuntaugliche überfüllte Boote das sind, in denen sich Menschen auf diese Reise machen, ist das natürlich eine absolute Farce, zu sagen, die Menschen seien nicht in Gefahr gewesen und hätten aus dieser Situation nicht gerettet werden müssen. Und ganz klar ist natürlich auch, dass der einzige Grund dafür, dass sie in dieser Situation sein müssen und gezwungen sind, diesen Weg zu gehen, der ist, dass ihnen jegliche Form der legalen, sicheren Einreise verwehrt bleibt. Natürlich wäre es wesentlich günstiger und einfacher, sich so wie wir auch in ein Flugzeug zu setzen und dahin zu fliegen, wo wir hinwollen, und vorher noch ein Visum zu beantragen. Aber dieser Weg bleibt Menschen, die in Europa Schutz suchen oder aus irgendwelchen anderen Gründen nach Europa kommen möchten, verwehrt. Die Staatsanwaltschaft sagt, dass es keine Notwendigkeit gab, zu retten, und damit wird den Menschen das Recht auf Rettung abgesprochen und meiner Ansicht nach auch das Recht auf Leben.

    Wie ist der aktuelle Stand im Prozess?

    Wir sind immer noch in der Vorverhandlung. Im Mai letzten Jahres war der Prozessauftakt. Dazu muss man wissen, dass es in Italien diese Phase gibt, in der vom Richter entschieden wird, ob die Verhandlung in die Hauptverhandlung geht. Und wir sind immer noch in dieser Vorverhandlung, weil unser Verfahren gespickt ist von Verfahrensfehlern, die es notwendig machen, immer wieder zwei Schritte zurückzugehen. Gefühlt haben wir das letzte Jahr damit verbracht, einen Schritt vorwärts und zwei zurück zu machen, weil die Staatsanwaltschaft schlampig arbeitet und weil nicht immer alle Standards von einem fairen Verfahren eingehalten werden.

    Was kritisiert ihr da zum Beispiel?

    Dazu gehört zum Beispiel, dass wir immer noch keine vollständige Übersetzung der Unterlagen haben, sondern lediglich eine Zusammenfassung, einen Polizeibericht, der uns übersetzt wurde. Die Akte ist fast 28.000 Seiten lang, und da sind natürlich viele wichtige Dokumente drin, die wir, weil wir Italienisch nicht verstehen, auch nicht als Grundlage dafür nehmen können, aktiv an unserer Verteidigung teilzunehmen. Das widerspricht ganz grundlegend der Idee, dass Menschen aus anderen Ländern, die in Italien vor Gericht stehen, ein faires Verfahren bekommen. Damit beschäftigen wir uns unter anderem, einerseits schriftlich, andererseits aber auch in der mündlichen Übersetzung, weil das bei der einen oder anderen Befragung nicht gut, beziehungsweise überhaupt nicht funktioniert hat und auch ein Gutachten erstellt wurde von einem Übersetzer, der ganz klar gesagt hat, dass es eigentlich für nicht Italienisch sprechende Menschen völlig unmöglich ist, den Kontext zu begreifen. Und trotzdem hat der Richter entschieden, „na ja, das sind ja Unregelmäßigkeiten, man könnte das ja trotzdem verstehen“.

    Welche aktuellen Entwicklungen gibt es sonst noch im Prozess?

    Es passieren ganz viele Sachen gleichzeitig. Was uns momentan auch beschäftigt, ist, dass sowohl das italienische Innenministerium als auch die italienische Regierung, also die Ministerpräsidentin, einen Antrag auf Nebenklage eingereicht hat. Der wurde im Falle der Regierung abgelehnt und im Falle des Innenministeriums bestätigt. Das heißt, jetzt ist das Innenministerium von Italien Nebenkläger in unserem Prozess. Das bedeutet, sie behaupten, dass der Staat Italien durch uns finanziellen und moralischen Schaden erlitten habe. Da kann man sich mal einen Moment Zeit nehmen, um sich zu überlegen, was das bedeutet, was die da gerade sagen.

    Und das Letzte, was passiert ist, ist, dass im Moment geprüft werden muss, ob die Staatsanwaltschaft in Trapani überhaupt allein zuständig ist für diesen Prozess oder ob eigentlich ganz viele Staatsanwaltschaften zuständig wären, nämlich jene, in deren Städten die Geretteten aus den unterschiedlichen Fällen an Land gekommen sind. Denn wir reden ja nicht nur von einer Rettung, sondern von verschiedenen über mehrere Monate hinweg, und die sind an verschiedenen Häfen an Land gegangen. Es könnte sein, dass diese Staatsanwaltschaften dann verantwortlich wären. Und das liegt im Moment beim Obersten Bundesgericht in Rom.

    Kann man abschätzen, was das für Auswirkungen hätte, wenn man all diese Staatsanwaltschaften mit einbeziehen würde?

    Ich glaube, das würde ganz schön viel zerreißen. Es würde zum Beispiel auch bedeuten, dass nicht mehr alle von uns, also aus der „Iuventa“-Crew, in einem Prozess wären, sondern dann würde sich auch unser Prozess aufspalten in mindestens zwei Prozesse. Und man kann sich natürlich vorstellen, dass diverse Staatsanwaltschaften im Land nicht erquickt wären, wenn ihnen eine 28.000 Seiten lange Akte auf den Schreibtisch gelegt wird, mit der sie jetzt arbeiten sollen. Also ich glaube, ich wäre hart genervt. (lacht)

    Ich würde gerne nochmal auf die Sache mit den Verfahrensfehlern zurückkommen. Was glaubst du denn, was da die Ursache ist?

    Mittlerweile glaube ich nicht mehr, dass es Absicht ist, weil sie sich ja auch selbst keinen Gefallen tun. Also die Art und Weise, wie die Staatsanwaltschaft arbeitet, ist so dilettantisch und schlampig, dass sie dadurch meiner Meinung nach auch an Legitimation und Glaubwürdigkeit verliert und es schlichtweg peinlich ist, dass sie es selbst mit mehrmaliger Aufforderung einfach nicht hinbekommen. Und das Ding ist ja, dass wir wissen, dass ganz viele dieser Prozesse hauptsächlich gegen Geflüchtete geführt werden, die auch zu langen Gefängnisstrafen verurteilt werden. Diese Bedingungen ziehen sich da durch, das ist etwas Systematisches. In diesen Prozessen besteht ganz häufig keine Lobby und kein Interesse daran, dass Angeklagte ein faires Verfahren bekommen, dass sie eine Übersetzung bekommen und adäquate Anwälte. Wir wissen, dass das so ist, und jetzt finden wir eben auch raus, wie sich das anfühlt, wenn einem das im eigenen Prozess widerfährt.

    Wie fühlt es sich für dich denn an?

    Da ist natürlich ganz viel Fassungslosigkeit, wie viel Unprofessionalität da am Start ist und über Menschen richtet und entscheidet. Nun ist es aber natürlich so, dass wir noch eine sehr privilegierte Position haben, weil wir trotzdem aktiv versuchen können, Dinge zu bewegen, weil wir Aufmerksamkeit generieren können, weil wir eine mediale Reichweite zu einem bestimmten Grad haben, und auch, weil wir auch andere Sprachen sprechen, über die wir uns mit unseren Anwält*innen austauschen können. Also meine Situation ist natürlich eine ganz andere, und trotzdem ist es superwichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass dieses System so nicht funktioniert, selbst wenn es den Behörden eigentlich am Herzen liegen sollte, dass es wirklich klappt, um sich nicht total lächerlich zu machen. Und davon sind viele Hunderte betroffen. Zwischen 2013 und 2020 wurden allein in Italien über 2.000 Geflüchtete im Zusammenhang mit Bootfahrten übers Mittelmeer verhaftet. Es gab Zeiten, da war das eine pro hundert Personen, die in Italien angekommen sind.

    Ist dieses Privileg, diese mediale Aufmerksamkeit, von der du gesprochen hast, etwas, wo du sagst, dass ihr da besonders viel Rückhalt von der Gesellschaft bekommt? Also fühlt ihr euch da unterstützt?

    Also ich fühle mich auf jeden Fall sehr unterstützt, vor allem natürlich durch die ganzen Gruppen, Netzwerke und Support-Strukturen, die sich in den letzten Jahren um unseren Prozess gebildet haben, die den Prozess beobachten und begleiten und die uns uneingeschränkte Solidarität zukommen lassen. Das ist auf jeden Fall sehr beruhigend zu wissen. Und klar, ein Stück weit gehört dazu auch mediale Aufmerksamkeit, weil das diese Gruppen eben auch generieren, zum Beispiel auf ihren Social-Media-Kanälen. Alles in allem erfahren wir schon relativ viel Solidarität, und das macht was aus, nämlich da nicht allein zu sein und den Prozess zu dem zu machen, was er ist: ein politischer Schauprozess. Da geht es überhaupt nicht um mich oder das, was ich getan habe. Das ist ja total willkürlich heraussortiert, warum wir vor Gericht stehen. Es geht vielmehr darum, an der zivilen Seenotrettung ein Exempel zu statuieren, und deshalb ist das Ergebnis ja auch so wichtig, weil es ziemlich wegweisend dafür sein wird, wie es weitergeht. Das ist nichts Persönliches. Wir stehen sozusagen stellvertretend für Menschen, die sich solidarisch verhalten mit Geflüchteten. Und im Prinzip auch stellvertretend dafür, dass es eigentlich darum geht, Migration an sich zu kriminalisieren. Das passiert nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa sehr systematisch.

    Für wie wahrscheinlich hältst du zum aktuellen Zeitpunkt eine Verurteilung?

    Für unwahrscheinlich. Das sehe ich nicht im Kommen. Erstmal sind wir immer noch in der Vorverhandlung. Und dann werden ja auch noch einige Instanzen vor uns liegen. Also ich sehe das als sehr unwahrscheinlich an, dass wir tatsächlich verurteilt werden, was nicht heißt, dass der Prozess in der Zwischenzeit nicht schon ganz viel Schaden anrichten kann, denn Repression wirkt immer, und sie wirkt unabhängig davon, wie der Urteilsspruch aussieht.

    Du hast schon angesprochen, dass du das nicht für einen persönlichen Prozess gegen dich selbst hältst. Was vermutest du denn für eine Motivation hinter der Anklage?

    Naja, das sehen wir ja in der ganzen Entwicklung in den letzten Jahren in Italien, mit der Politik der geschlossenen Häfen oder auch mit dem letzten Dekret, das von der neuen Regierung verabschiedet wurde. Dieses Dekret sagt zum Beispiel, dass das Schiff nach einer Rettung sofort den Hafen anlaufen muss, der ihm zugewiesen wird, und dass in der Zwischenzeit keine weitere Rettung stattfinden darf. Das impliziert, dass die Crew eines Schiffes auf dem Weg zu diesem Hafen an einem Boot in Seenot vorbeifahren soll. Und natürlich steht dahinter, dass nicht noch mehr Menschen gerettet werden sollen, und dass mehr Menschen sterben müssen. Das wird sehenden Auges in Kauf genommen durch so eine Gesetzeslage. Und die ist weder völkerrechtskonform noch im Einklang mit europäischem Recht. Es wird alles getan, um zivile Seenotrettung zu blockieren, zu verkomplizieren und zu kriminalisieren. Allerdings steht das im Widerspruch zum internationalen Seerecht. Wir befinden uns immer wieder in Situationen, in denen wir uns dafür rechtfertigen müssen, dass wir Menschen aus einer Notlage retten.

    Worum geht es also deiner Meinung nach bei dieser Anklage?

    Ich denke, es geht darum, keine Verantwortung zu übernehmen. Europa hat über die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte in ihrer Rolle als kolonialisierende Macht global ein Machtgefälle erschaffen und auf der Lebensgrundlage anderer Menschen und Länder Wohlstand aufgebaut, der so nicht nachhaltig sein kann. Und das, was passiert, ist eine ganz logische Konsequenz aus dem, was Europa in den letzten 500 Jahren auf diesem Planeten angerichtet hat. Ich glaube, dass Politiker*innen europaweit gerade bereit sind, ganz schön weit dafür zu gehen, dieser Verantwortung nicht gerecht zu werden und das auch nicht einsehen zu wollen, was natürlich ein System infrage stellt, das so nicht funktioniert, beziehungsweise nur für die Privilegiertesten. Wenn wir es beim Namen benennen müssen, dann ist dieses System rassistisch, patriarchal und kapitalistisch. Das sind natürlich die Grundlagen dafür, dass es Grenzen gibt, dass Grenzen geschlossen werden und dass bestimmte Menschen an Grenzen abgewiesen oder sogar getötet werden und andere eben nicht. Ich glaube, das ist der Kontext, in dem dieser Prozess stattfindet.

    Welchen Einfluss hat dieses Verfahren auf die zivile Seenotrettung? Hast du das Gefühl, dass da auch Einschüchterungen passieren?

    Ja, natürlich. Das ist definitiv eine Wirkmacht, die Repression generell hat, dass sie einschüchtert, sie verunsichert, sowohl ganze Organisationen als auch einzelne Menschen, die in der Seenotrettung aktiv sind. Aber ich glaube, an der Stelle dürfen wir uns auch selbst nicht unterschätzen. Wir lassen uns davon nicht einschüchtern. Aber wir sind auch nicht die, auf deren Rücken das Ganze ausgetragen wird und die gegen diese Grenzen kämpfen, sondern das sind jene, die die Grenzen überqueren. Und das ist ja im Endeffekt auch das, worum es gehen soll. Also das eine ist, dass die zivile Seenotrettung davon abgeschreckt wird. Aber das andere ist, dass es ja auch darum gehen soll, Menschen davon abhalten zu wollen, sich auf den Weg nach Europa zu machen – was natürlich eine Farce ist, weil man keinerlei Verständnis dafür hat, wo die herkommen und aus welchen Beweggründen sie nach Europa wollen.

    Du bist in Italien angeklagt, bist aber deutsche Staatsbürgerin. Wir hat sich Deutschland im Laufe dieses ganzen Verfahrens verhalten?

    Ich würde sagen, sehr zurückhaltend. Es gab letztes Jahr zum ersten Mal eine Reaktion von der Bundesregierung. Das war ein Statement vom Auswärtigen Amt. Da stand drin, sie fordern, dass die Prozesse gegen Menschenrechtsverteidiger*innen und gegen Seenotretter*innen fallengelassen werden. Davon abgesehen hat sich Deutschland bis jetzt nicht so wirklich dazu verhalten. Das wird sich noch rausstellen, wie das jetzt weiterläuft. Ich habe da auch keine Erwartungen oder Hoffnungen. Auf die würde ich mich als Letztes verlassen, die sind ja Teil des Problems.

    Nach der Beschlagnahmung 2017 haben die italienischen Behörden die „Iuventa“ verwahrlosen lassen. Das Schiff wurde ohne Wartung im Hafen stehen gelassen und im Laufe der Jahre geplündert und beschädigt, obwohl der italienische Staat eigentlich dazu verpflichtet ist, das Schiff seetauglich zu halten. Ihr habt daher Anzeige erstattet. Was erhofft ihr euch von dieser Anzeige?

    Ein Blick auf die Iuventa, die im Hafen steht. Das Schiff ist verwüstet, überall liegen verschiedene Gegenstände wie Koffer, Müllsäcke und Decken herum.

    Die „Iuventa“ verwahrlost seit der Beschlagnahmung im Hafen. Foto: Iuventa

    Tatsächlich hat der Richter in unserem Prozess im Dezember bestimmt, dass das Schiff wieder in den Zustand zurückversetzt werden muss, in dem es war, bevor es beschlagnahmt wurde. Und das ist schon ein ganz schönes Unterfangen. Mittlerweise ist das Schiff aus dem Wasser geholt worden, zum ersten Mal seit fast sechs Jahren. Für uns war das eine wichtige Entscheidung, weil damit auch diese Willkür, mit der gegen die zivile Seenotrettung und gegen unsere Schiffe vorgegangen wird, delegitimiert wurde. Und diese Anzeige, die wir da mit anderen Organisationen gestellt haben, unterstreicht das. Das eine ist, dass der Richter entschieden hat, dass hier versäumt wurde, dieser Sorgfaltspflicht, das Schiff instand zu halten, nachzukommen. Diese Anzeige, die wir gestellt haben, soll idealerweise auch darauf gucken, wer dafür verantwortlich ist. Eigentlich geht es darum, die Verantwortung aufzudecken und das nicht im Sande verlaufen zu lassen, dass mit Ressourcen für die Seenotrettung so umgegangen wird, und dass das ja auch ein Weg ist, um Menschen sehenden Auges zum Tode zu verurteilen, diese Schiffe einfach im Hafen vergammeln zu lassen. Das ist ja nicht einfach nur symbolisch.

    Eine weitere Entwicklung in eurem Prozess war, dass im Dezember die Anwesenheit internationaler Prozessbeobachter*innen zugelassen wurde, die sicherstellen sollen, dass der Prozess fair und transparent abläuft. Darunter sind zum Beispiel Vertreter*innen von Amnesty International. Kann man jetzt, ein paar Monate später, schon sagen, welche Auswirkungen das hatte?

    Ich glaube nicht, dass das an sich Auswirkungen hat, sondern es geht einfach darum, den Prozess zu beobachten und zu dokumentieren, und das von unabhängigen, international anerkannten Menschenrechtsorganisationen. Da geht es nicht primär darum, diese Prozessbeobachter*innen in den Gerichtssaal zu setzen, damit der Richter sich nicht daneben benimmt, sondern darum, dass am Ende wirklich einfach eine lückenlose Dokumentation dessen, was passiert ist, da ist. Von daher kann ich jetzt nicht sagen, das hat sich dahingehend schon gezeigt, weil ich finde, dass trotzdem in der Zwischenzeit sehr absurde Entscheidungen getroffen wurden, die ich nicht nachvollziehen kann und die sich nicht mit unserem Recht auf ein faires Verfahren decken. Aber auf der anderen Seite fühlen wir uns dadurch definitiv ein Stück weit gesehen und abgesichert.

    Dieses ganze Verfahren läuft jetzt schon seit fast sechs Jahren. Was hat es dich bisher gekostet – aus materieller, aber auch aus emotionaler Sicht?

    Aus emotionaler Sicht bin ich einfach unglaublich wütend. Ich kann es nicht fassen, dass das so lange geht. Das ist aber natürlich auch genau das, was es tun soll: Ressourcen binden, Geld, Zeit, Kapazitäten, Menschen. Gleichzeitig ist es aber natürlich auch eine Aufgabe, die ich angenommen habe, weil ich ja auch wenig Einfluss darauf habe, ob ich Teil dieses Verfahrens bin oder nicht. Wenn ich es jetzt eh schon bin, kann ich wenigstens versuchen, das Beste draus zu machen, sodass ihnen diese Anklage irgendwann selbst um die Ohren fliegt. Daraus schöpfe ich auch irgendwie Motivation, weil es mich so wütend macht, dass ich denke „Jetzt erst recht“.

    In materieller Hinsicht wurden wir sehr erfolgreich unterstützt in den vergangenen Jahren mit verschiedenen Spendenkampagnen, die dafür sorgen, dass wir die Kosten, die wir haben, decken können, sei es, um die Anwält*innen zu zahlen oder Transportkosten zu begleichen oder alle anderen Kosten, die anfallen. Da haben wir sehr viel Unterstützung von Menschen, die mit uns solidarisch sind.

    Die Seenotrettung ist auch unabhängig von dem Prozess ein Engagement, das viele Risiken mit sich bringt. Was motiviert dich zu dieser Arbeit?

    Als ich 2016 damit angefangen habe, habe ich mir nicht gedacht „Ach, das probier‘ ich mal aus, das ist jetzt das, worauf ich Bock habe“, sondern das ist eher so passiert. Ich bin da ein bisschen reingerutscht. Ich glaube, generell bin ich einfach Aktivistin, weil ich sehe, dass unsere Lebensgrundlage darauf basiert, dass die Lebensgrundlagen anderer Menschen ihnen entzogen werden. Das macht mich auf eine Weise sehr privilegiert, gleichzeitig bringt es mich aber in eine Position, wo ich viel Verantwortung trage, und ich glaube, dieser Verantwortung muss ich irgendwie gerecht werden. Ich denke, das müssen wir alle. Und das heißt nicht, dass ich glaube, dass alle Menschen auf Seenotrettung gehen sollen. (lacht) Es gibt verschiedene Bereiche, in denen Menschen ihren Teil dazu beitragen können, dass gewisse politische Forderungen, die wir haben, auch im Alltag und in unserem Wirkbereich umgesetzt werden. Sei das jetzt auf unserer Arbeit oder in unserer WG, an der Supermarktkasse oder in der Straßenbahn. Dieser Verantwortung nachzukommen, ist definitiv ein Gefühl, das mich antreibt. Seenotrettung ist ja auch nicht das Einzige, was ich gemacht habe oder mache.

    Der Prozess nimmt wahrscheinlich einen großen Teil deiner Zeit in Anspruch. Inwiefern lässt er denn noch zu, dass du dich weiter engagierst?

    Ja, das ist ein bisschen eine Jonglage. Ich glaube aber, so jonglieren wir alle in unserem Leben die Verantwortungen, die uns wichtig sind und die wir miteinander in Einklang bringen wollen. Und ich denke, dass ich das schon ganz gut schaffe, mir die Zeit zu nehmen, die ich brauche, um trotzdem noch selbstbestimmt mein Leben zu leben, ohne meinen Alltag einzig und allein von diesem Prozess diktieren zu lassen, und gleichzeitig aber auch diesen Prozess als Plattform nutze, um meinen Aktivismus darüber zu kommunizieren und zu agieren.

    Ein Beispiel für dein Engagement außerhalb der Seenotrettung ist dein Podcast „Feminism on Ear“. Was hat Feminismus mit Seenotrettung zu tun?

    Was hat Feminismus nicht mit Seenotrettung zu tun? (lacht) Ich glaube, das Thema Machtausübung steht so ziemlich über allem. Und diese Dynamik, sei es global oder in unserem Alltag, spielt immer eine große Rolle. Wenn wir uns die Festung Europa als solche und Grenzen und Grenzgewalt anschauen, dann ist das nicht nur eine rassistische Gewalt, sondern auch eine patriarchale, weil das genau die Dynamiken sind, auf denen ein kapitalistisches System fußen muss. Diese Abwertung von Menschen, die anders sind, von Menschen, die nicht weiß und männlich sind, ist grundlegend dafür, dass das System sich legitimieren kann und dass mit Menschen an Außengrenzen, aber auch innerhalb Europas, so umgegangen werden kann. Wenn wir antikapitalistisch sein wollen, wenn wir antirassistisch sein wollen, dann müssen wir immer auch antipatriarchal sein, denn das eine hängt immer mit dem anderen zusammen.

    Wie kann dieses System verändert werden?

    Der politische Kampf, der dahinter steht, kann nur intersektional funktionieren und nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Und das eine ist natürlich, dass ich als Frau selbst betroffen bin von dieser Machtausübung, auch in Strukturen, die sich eigentlich groß auf die Fahne schreiben, das nicht tun zu wollen. Aber das ist ein Stück weit auch nachvollziehbar, denn wir sind alle Teil dieser Gesellschaft, und man kann das nicht einfach ablegen, indem man ein Lippenbekenntnis von sich gibt, dass wir jetzt alle antisexistisch sind oder uns den Aufkleber auf den Laptop kleben, wo irgendein Anti-Macker-Spruch draufsteht. Da gehört halt ein bisschen mehr dazu. Genauso gehört auch mehr dazu, zu sagen, ich bin antirassistisch, weil wir eben in einer weißen und männlich dominierten Gesellschaft großgeworden sind, und das sind Dynamiken, die so etabliert sind, dass sie uns schon gar nicht mehr auffallen. Das sichtbar zu machen, als Problem zu benennen und dann auch anzugehen, das ist unsere Aufgabe. Und wo anfangen, wenn nicht bei uns selbst, bei unseren eigenen Strukturen, wo wir diesen Dynamiken tagtäglich begegnen? Es ist richtig und wichtig, Forderungen zu stellen an die europäische Asylpolitik und die Außenpolitik und all das. Aber es ist genauso wichtig, diese Forderungen auch in unseren Alltag zu übersetzen und zu überlegen, was bedeutet das, wenn wir dem selbst gerecht werden wollen, und an welchen Stellen reproduzieren wir Dinge, gegen die wir eigentlich kämpfen?

     

    Foto: Selene Magnolia

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