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  • Die Stille brechen – und das Tabu

    Wir sind ständig von Geräuschen umgeben. Manchmal blenden wir sie aus. Manchmal nehmen wir sie ganz bewusst wahr. Und wenn es dann wirklich mal leise ist, erscheint die Stille auf einmal ganz laut.

    Am besten einschlafen kann ich eigentlich, wenn es nicht komplett leise ist. Das Gefühl, von Menschen umgeben zu sein, die sich noch ein wenig miteinander unterhalten, beruhigt mich eher, als dass es mich vom Schlummern abhält. Wie ein Hintergrundbrummen, das die ganze Zeit anhält und nicht aufhört. Deswegen bin ich auch oft diejenige, die auf Partys früher einschläft oder zwischendrin mal kurz eine Stunde powernapt und dann später wieder mit dabei ist. Ich muss es ausnutzen, dass so viele Menschen an einem Ort sind und mir ein gutes Schlafgefühl vermitteln. Schließlich sitzen nachts in meinem Zimmer keine zehn Leute, die angetrunken diskutieren, wie lange es dauern würde, auf den Mars zu reisen. Womöglich ist das aber doch auch ganz gut so. Wer weiß, was ich sonst nachts so träumen würde.  

    So viel dazu. Hintergrundgeräusche sind also angenehm für mich. Oder zumindest nehme ich sie nicht als störend wahr. Mittlerweile habe ich sogar das Gefühl, dass ich aufwachen würde, wenn es zu still ist. Aber das weiß ich nicht so genau. Außerdem wohne ich direkt an einer Hauptstraße, das heißt: Auch hier ist alles am Rauschen. Menschen schreien, irgendwo ertönt Musik, die Straßenbahn rumpelt vorbei – Geräusche einer Großstadt eben. Stört mich das? Überhaupt nicht. Ich spreche hier aus der Sicht einer Generation, die immer überforderter damit ist, Momente im eigenen Kopf mit sich selbst zu verbringen. Die eigene Stimme hören und sich damit auseinandersetzen, was sie sagt? Och nö. Aber eine neue Doku auf Netflix über das Ökosystem Wald? Yes, please. Und das ist noch eine der guten. Wunderschöne Aufnahmen von Bäumen, während eine beruhigende Stimme erzählt, wie sich diese im Wald miteinander verständigen. Manchmal wird es auch nur schnell eine neue Folge Trash-TV. Ist auch egal, Hauptsache, irgendwas läuft.  

    Ich muss auch nicht aktiv etwas gucken. Hörbücher und Podcasts sind die beste Erfindung des Jahrhunderts. Kopfhörer rein und abtauchen in die nächste Story oder Diskussion zwischen zwei semiprominenten Persönlichkeiten, die ich eigentlich gar nicht richtig kenne. Und worüber unterhalten sie sich nochmal? Ach, keine Ahnung. Viel mitschneiden tu‘ ich manchmal auch nicht mehr. Aber wenn gar nichts mehr reingeht in den sowieso schon übervollen Kopf, dann gibt es ja immer noch Musik. Musik ist schließlich was anderes, das ist zum Abschalten da. Aber sind wir mal ehrlich, läuft der aktuelle Lieblingssong und lädt zum Mitsingen im Auto ein, dann ist der Kopf zwar irgendwie leer, aber meine Gedanken höre ich trotzdem nicht. Ist auch manchmal besser so. 

    Kolumnistin Annika liegt auf einer Picknickdecke und sonnt sich, neben ihr liegt ein kleiner Hund

    Mit geschlossenen Augen lässt sich die Stille noch besser genießen. Foto: Annika Franz

    Aber was wäre jetzt, wenn es still ist? Geht es darum, dann seine Gedanken hören zu können? Und sich endlich mal mit ihnen auseinanderzusetzen? Keine Ahnung, gute Frage. Natürlich ist es erstmal kein Muss. Wer aber mal an Orten gewesen ist, an denen alles ein bisschen zur Ruhe kommt und die Geräusche ein wenig sanfter sind als eine donnernde Straßenbahn, wird das Gefühl von schweifenden Gedanken kennen. Streichen wir jetzt mal die Utopie der vollkommenen Stille, um ehrlich zu sein, kann ich mir keinen Ort mehr vorstellen, an dem das so ist. Außer das Vakuum. Aber wer will schon unnötig viel Zeit im luftleeren Raum verbringen. Stille Örtchen sind, neben der Toilette (gut, ich gebe zu, das war nicht mein Bester), umgeben von Geräuschen, die dank ihrer Beschaffenheit in den Hintergrund treten können. (Und ganz kurz: So ein stilles Örtchen ist auch das Klo nicht mehr, vor allem, wenn man das Badezimmer schon mit dem Smartphone in der Hand betritt. So ehrlich müssen wir sein.) An stillen Örtchen gibt es also Geräusche, die wir vielleicht sogar als angenehm empfinden, und deswegen ein gutes Gefühl entwickeln, wenn wir sie hören. Für mich sind das auf jeden Fall sämtliche Geräusche der Natur. Wer hätte es gedacht.  

    Was Stille für uns ist und bedeutet, müssen wir also einfach selbst festlegen. Sind es die Geräusche von Bäumen im Wind, Rascheln von Blättern und das Summen von Insekten? Wasser in jeglicher Form? Oder reicht es schon, einfach nicht dieselben Geräusche zu hören, die man sowieso tagtäglich hört. Oder vielleicht auch sogar schon, einfach mal die Kopfhörer in der Tasche zu lassen, keinen Podcast anzumachen und die Geräuschkulisse auf sich wirken zu lassen. Das reicht für mich auf jeden Fall schon vollkommen aus. Wenn ich mich dann mal aktiv in meine selbstdefinierte Stille begebe, muss ich zugeben, dass ich dann auch nicht ganz in Ruhe gelassen werde. Schließlich gibt es ja immer noch meine innere Stimme, die das Prinzip noch nicht so ganz verstanden hat. Die springt dann von einem Themengebiet zum anderen und macht es mir auch nicht wirklich leicht. Aber ist ja auch kein Wunder. Wenn sie die ganze Zeit nicht zu Wort kommt, weil sie von irgendetwas übertönt wird. Sie kann ja auch nicht die ganze Zeit schreien. Deswegen ist es nur verständlich, dass sie dann, wenn sie mal dazu kommt, auch sehr viel zu erzählen hat. Ich bin nachsichtig mit ihr. Und lass sie machen.  

    Stille ist ein Tabu. Wir fühlen uns in ihr einsam und allein. Wir wollen sie nicht entstehen lassen. Diesen Sommer soll Stille für mich ein Zustand werden, in den ich mich gern begebe. Auch mit anderen Menschen. Und der sich nicht mehr unangenehm anfühlt. Wenn ich mit dem richtig liege, was ich vermute, können wir es also auch wieder ganz schnell entlernen. Und für uns entdecken, dass dieser Zustand sehr heilend sein kann. Uns mit anderen Menschen verbinden kann. Geräusche kann ich doch sowieso immer haben, und wenn ich die volle Dröhnung will, stelle ich mich Samstagabend im Club neben die Bassbox. Glaube, das macht meine Generation so. Dann sollte ich auch erstmal wieder bedient sein, mit den Geräuschen. Aber ansonsten: Ruhe. Stille. Ja! Ich freu mich drauf. Allerdings kann ich nicht versprechen, dass ich das Handy auf dem stillen Örtchen auch weglasse. Sorry.  

     

    Foto: Dall-E

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