Aus brauner Grube wird blaues Feld
Südlich von Leipzig entsteht der Solarenergiepark Witznitz. Er ist Teil des Strukturwandels der Braunkohleregion und soll hunderttausende Haushalte mit Strom versorgen können.
Zehn S-Bahn-Stationen südlich vom Leipziger Hauptbahnhof bildet die Gemeinde Neukieritzsch zusammen mit den Städten Böhlen und Rötha ein Dreieck. Auf diesem Gebiet entsteht gerade der Energiepark Witznitz, benannt nach dem ehemaligen Ort Witznitz. Dessen Anwohner*innen wurden in den 1940er Jahren umgesiedelt, bevor ihre Häuser im Loch des Braunkohletagebaus verschwanden. Laut Investor soll er einmal der größte Solarpark Europas werden.
Die umliegende Region ist seit Jahrzehnten durch den Braunkohleabbau geprägt. Die Örtchen liegen oft direkt an der Kante zum noch aktiven Tagebau Vereinigtes Schleenhain, und von fast überall sind die Schornsteine und Kühltürme des Kraftwerks Lippendorf zu sehen. Wegen des Braunkohleabbaus sind Seen entstanden und der Fluss Pleiße wurde verlegt. Nun soll auf 500 Hektar der Rekultivierungsfläche des ehemaligen Tagebaus ein Energiepark gebaut werden. Laut Bauunternehmen werden die Solarzellen einmal 650 Megawatt Strom produzieren, wovon ca. 200.000 4-Personen-Haushalte versorgt werden könnten.
Umgesetzt wird das Projekt von einer Unternehmenskooperation des Versicherungskonzerns Signal Iduna und des Unternehmens Move on Energy. „Move on Energy hat uns das Projekt vor etwa 2,5 Jahren vorgestellt“, erzählt Christoph Lüken, Abteilungsleiter Portfolio Management Infrastruktur bei HANSAINVEST. HANSAINVEST ist ein Tochterunternehmen des Versicherungskonzerns Signal Iduna und nach eigenen Angaben zuständig für die Kapitalanlagen des Konzerns in nachhaltige Infrastruktur. „Dann haben wir einen Plan geschmiedet, wie wir das umsetzen können, indem dort Know-How aus dem Photovoltaik-Bereich und dem Baubereich zusammenkommt mit unserer Kernkompetenz, das ist das Kapital.“
Wem gehört die Energiewende?
Damit die örtliche Bevölkerung ein Meer aus Solarmodulen vor der Haustür akzeptiert, soll sie auf verschiedene Art und Weise profitieren. Move on Energy wirbt mit einer optischen Begrenzung der Solarfelder durch breite Hecken. Außerdem sollen 13 Kilometer Rad- und Reitwege angelegt und Bänke aufgestellt werden, damit der Energiepark auch als Sport- und Erholungsgebiet dient. Für den Bürgermeister der Gemeinde Neukieritzsch, Thomas Meckel, stehen andere Vorteile im Vordergrund: „Zum einen, dass wir uns als Gemeinde nach außen hin als zukunftsträchtig darstellen und zeigen, dass wir für den Strukturwandel und den Energiewandel die entsprechenden Zeichen setzen wollen.“ Außerdem würden durch den Energiepark Steuereinnahmen in die Region fließen. Finanziell sollen die beteiligten Ortschaften auch durch eine neu gegründete Stiftung profitieren. Wolfgang Pielmaier, Technischer Leiter von Move on Energy, erzählt im Interview: „Das ist eine freiwillige Stiftung der beteiligten Unternehmen, die sich mit nichtkommunalen Ausgaben beschäftigt, zum Beispiel mit der Feuerwehr, dem Sport- oder Heimatverein, aber auch ansässigen Kindergärten, die sonst nicht gefördert werden würden.“ Der Park ist rein privatwirtschaftlich und nicht mehr als nötig in örtliche politische Strukturen eingebunden. Lüken von HANSAINVEST ist gerade auf diesen Aspekt stolz: „Der Energiepark wird komplett ohne staatliche Subventionen gebaut. Das ist nicht nur ein Commitment zum Umweltschutz oder zu nachhaltigen Investments, sondern es ist auch die Aussage damit verbunden, dass so etwas ohne Subventionen gehen kann.“
Gerade diese fehlende staatliche Kopplung kritisiert Tino Supplies vom Leipziger Umweltbund Ökolöwe auf Anfrage von luhze: „Es ist eine zentrale Großanlage, die Einnahmen werden durch die Investoren später abgeschöpft und verbleiben nur zu einem geringen Teil in den lokalen Wirtschaftskreisläufen. Wenn an dieser Stelle lokale Stadtwerke zum Zuge kämen, sähe das schon ganz anders aus.“ Stadtwerke statt Privatkonzern – das wäre Teil der Idee einer dezentralen Bürger*innenenergiewende, die der Umweltbund vorschlägt, auch um die Akzeptanz für den Strukturwandel in der Bevölkerung zu erhöhen. „Sie hält die Wertschöpfung aus der Energieproduktion in der Region, deutlich mehr Menschen profitieren auch ökonomisch.“ Das Land Sachsen lässt Fragen von luhze zu diesem Thema bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Umweltschutz im Solarpark
Der Solarpark soll der Energiewende dienen, gleichzeitig wird durch den Bau in die Natur eingegriffen. Der rekultivierte Boden, in den die Solarmodule verankert werden, besteht aus einer fruchtbaren Humusschicht an der Oberfläche, darunter kommt der aufgeschüttete Tagebau. Bislang wurde die Fläche zum Teil landwirtschaftlich genutzt. Die Umfunktionierung zum Solarpark habe laut Meckel im Gemeinderat auch für einige kritische Stimmen gesorgt. Lüken von HANSAINVEST wiederum verneint einen Verdrängungswettbewerb mit der Landwirtschaft. Außerdem soll es laut Move on Energy ein Pilotprojekt geben, in dem getestet wird, ob sich landwirtschaftliche Nutzung und Solarpark auch verbinden lassen. Abgesehen von der Landwirtschaft hätte die Fläche auch zu Wald oder Wiese werden können. „Rings um Leipzig gibt es viel zu wenig Platz für den Biotopverbund. Der Waldanteil in der Region Leipzig ist nicht gerade üppig“, betont der Vertreter des Ökolöwe. Außerdem „muss Photovoltaik viel stärker auf bereits versiegelte Flächen gelenkt werden, also zum Beispiel auf Dächer von Gebäuden“. Das sei insgesamt die umweltgerechtere Lösung.
So eine Bewaldung kommt allerdings laut Lüken von HANSAINVEST für die Fläche nicht in Frage, da der aufgeschüttete Boden völlig wertlos sei und für Bäume keine Möglichkeit zum Wurzeln biete. „Was da öfter mal wächst sind beispielsweise Birken. Die wachsen und wachsen und plötzlich sterben die ab, weil das Wurzelwerk durch die Humusschicht in den tieferen Boden möchte und dort nicht weiterkommt.“ Außerdem würden vor Ort zahlreiche Maßnahmen für den Umweltschutz getroffen. Pielmaier von Move on Energy erzählt von über 20 Kilometern Hecke, die gepflanzt werden sollen. Außerdem sollen auf etwa 160 Hektar großen Gebiet Nistkästen und Kreuzkrötengewässer angelegt werden und ein Habitat geschaffen werden, in dem zum Beispiel der Wiedehopf ein Zuhause findet. Laut dem Neukieritzscher Bürgermeister hat es keine konkreten Alternativpläne für die Fläche gegeben, als der Gemeinderat im letzten Jahr die Pläne für den Energiepark verabschiedet hat. Und so wird blau bald die neue Farbe der Braunkohleregion.
Fotos: Margarete Arendt
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