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  • Der bessere Mensch

    So ähnlich und doch grundsätzlich verschieden: der Mensch und seine engsten Verwandten aus dem Tierreich. Kolumnist Eric schreibt darüber, was wir von anderen Menschenaffen lernen können.

    Alles, was man sieht, ist tot. Fast alles, wenn man von den paar Bäumen absieht, die vereinzelt auf der riesigen Fläche zermalmten Gehölzes stehen. Wie Bojen auf dem Meer stechen sie heraus, Blätter tragen sie schon lange nicht mehr. Auch ihre Stunden sind bald gezählt, rollen doch die nächsten Bulldozer heran. Bald wird Feuer die schon trostlose Umgebung in eine glühende Hölle verwandeln. In einem letzten Akt der Hoffnung hangelt sich jemand an einem Baum empor, wohl kaum begreifend, was hier vor sich geht. Wir befinden uns auf der Insel Borneo und dieser jemand ist ein entfernter Verwandter: ein Orang-Utan.

    Das Bild dieser Szenerie stammt aus eine der jüngsten Dokumentationen von David Attenborough und macht mich unendlich traurig. Es ist ein weiteres Zeugnis menschlichen Zerstörungswahns. Ein Wahn, der uns bekannt ist, doch von vielen Menschen (in entscheidenden Positionen) allzu oft verdrängt wird. Mich bedrückt nicht nur die künstlich erschaffene Trostlosigkeit einer ursprünglichen Quelle der Artenvielfalt. Vor allem das Leid dieses uns so ähnlichen Tieres ist für mich unerträglich.

    Im 19. Jahrhundert sorgte Charles Darwin noch für Widerspruch, als er die Konstanz von Arten infrage stellte und den menschlichen Ursprung von einer „niederen Herkunft“ annahm. Heute ist es gängiger Schulstoff, auch wenn viele Personen den menschlichen Ursprung immer noch gerne losgelöst von der Welt betrachten. Doch: Uns laust nicht nur manchmal der Affe, wir sind es auch. Sowohl der Mensch als auch der Orang-Utan gehören zur Familie der Hominidae, die sich noch einmal unterteilen lässt in Homininae (Mensch, Schimpanse, Gorilla und verwandte Fossilformen) und Ponginae (Orang-Utan). Am nächsten verwandt sind wir übrigens mit dem Schimpansen, wo circa 98 Prozent der Gene mit unseren übereinstimmen.

    Kolumnist Eric lächelt in die Kamera, im Hintergrund sind Orang Utans in einem Zoogehege zu sehen

    Die Orang-Utan-Gang und ich. Foto: Eric Binnebößel

    Schon immer faszinierten mich Menschenaffen. Seitdem ich in Leipzig lebe, wurde diese Begeisterung jedoch verstärkt. Denn eine meiner ersten Amtshandlungen in der neuen Stadt war, mir eine Jahreskarte im Zoo zu kaufen, um auch wirklich die zahlreichen Vergünstigungen für Studierende auszunutzen. Seitdem mache ich dort des Öfteren den ein oder anderen Spaziergang, um den Kopf frei zu bekommen. Am besten geht das meiner Meinung nach in der Menschenaffenanlage, dem „Pongoland“.

    Jeder Besuch ist Entertainment pur, verstehen doch die tierischen Bewohner*innen ihr künstlerisches Handwerk. Dass die Zuschauer*innen zum Klatschen animiert werden, kommt nicht selten vor. Miteinander kampeln und Purzelbäume schlagen gehört ohnehin zur Tagesroutine. Seit den vielen Abstechern zu den Tiergehegen gelange ich auch immer mehr zu der Überzeugung, dass es nicht Forrest Gump war, der Elvis Presley für seinen Hüftschwung bei „Hound Dog“ inspirierte, sondern ein Schimpanse bei einem missglückten Paarungsversuch…

    Menschenaffen sind in vielerlei Hinsicht unterhaltsam und spannend. Mich erstaunen immer wieder ihre Kletterkünste. Aus dem Grund wünsche ich mir des Öfteren, selbst von Ast zu Ast schwingen zu können – mit dem Wissen, dass dies ein sehr lustiger Anblick wäre. Aber auch die Kraft von Gorillas ist erstaunlich: Was diese Tiere mit einer Hand zerdrücken können, schaffe ich noch nicht einmal mit beiden Händen zusammen. Neben einem ausgewachsenen Silberrücken sieht selbst Dwayne „The Rock“ Johnson wie ein ziemlicher Lauch aus.
    Doch vor allem sind Menschenaffen intelligent, was heute keine Überraschung mehr sein dürfte. Auf die vielen Tierexperimente muss ich wohl kaum verweisen. Ohnehin bestehen nicht viele Unterschiede zum Homo sapiens. Die Sprachfähigkeit oder das Vermögen, erlernte Verhaltensweisen an die nächste Generation weiterzugeben, sind wohl markante Differenzen. Das soll jedoch nicht heißen, dass wir nicht von ihnen lernen können. Zum Beispiel: Wie lebt man möglichst friedlich und im Einklang mit der Natur? Das Streben nach Macht und Gewinn unterminiert unsere Intelligenz. Was bleibt, ist eine qualmende Fläche voller Rauch.

    Natürlich sind Menschenaffen nicht die Engel auf der Welt. Auch (Gemeine) Schimpansen führen miteinander „Krieg“, oft grausam verbunden mit Kannibalismus. Doch nur der Mensch entzieht anderen Arten so sehr die eigene Lebensgrundlage, um die eigene Bequemlichkeit zu erhalten – mit dem Wissen, dass man es eigentlich besser könnte.

    Vielleicht sollten wir uns eher an den Bonobos orientieren. Diese sind nämlich außerordentlich friedfertig und der Begriff der „Nächstenliebe“ bekommt hier eine vollkommen neue Bedeutung. Denn falls doch mal Stress aufkommt, wird dieser einfach mit Sex gelöst – auch zwischen Frauen. Das soll nicht heißen, dass man sich bei jedem anbahnenden Konflikt gleich anspringen muss. Doch alles ist besser, als ein Vernichtungskrieg, der Tausenden das Leben kosten. An alle Kriegstreiber dort draußen will ich deshalb schreien: Make love, not war!

    Die berühmte Verhaltensforscherin Jane Goodall sagte einmal: „Die größte Gefahr für unsere Zukunft ist die Apathie.“ Das Beispiel der beiden Schimpansen-Arten ist nur eine Metapher für unsere beiden Gesichter. Betonen wir unsere gute Seite, indem wir nicht gleichgültig mit der Lebensgrundlage aller umgehen. Denn der menschliche Ursprung zeigt, dass wir untrennbar mit der Natur verbunden sind.

     

    Foto: Charles J. Sharp; Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International Lizenz

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